URI: 
       # taz.de -- Streit um den Jahn-Sportpark: Lieber nicht quick and dirty
       
       > Der schnelle Abriss des Jahn-Stadions ist vom Tisch. Stattdessen gibt es
       > nun ein Werkstattverfahren. Wer sind die Gewinner und Verlierer?
       
   IMG Bild: Markant, aber auch marode: das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion im gleichnamigen Sportpark
       
       Noch im Frühsommer sah alles danach aus, dass zum Jahresende die Bagger
       anrollen, um das Stadion im Jahn-Sportpark abzureißen. 14 Millionen Euro
       standen dafür im Haushalt schon bereit. Eine Bürgerinitiative, die dagegen
       protestierte, drang kaum nach außen durch. Eine lokale Posse, irgendwas mit
       Sport und Inklusion. Wen interessiert das schon?
       
       Ein halbes Jahr später ist alles anders. Bevor die Abrissbagger in den
       Prenzlauer Berg kommen, wird bei einem Werkstattverfahren nicht nur über
       das Stadion, sondern das ganze Areal debattiert, und zwar auch mit den
       Anwohnerinnen und Anwohnern. Parallel dazu wird ein Bebauungsplan erstellt,
       der 2022 fertig werden soll. Mit ihm, so teilte es die Senatsverwaltung für
       Stadtentwicklung und Wohnen am Montag mit, solle eine „geordnete
       städtebauliche Entwicklung“ gewährleistet werden.
       
       Was ist in diesem halben Jahr passiert? Wer hat sich gegen wen
       durchgesetzt? Wer sind die Verlierer und wer die Gewinner?
       
       „Wir hatten immer die Hoffnung, einen schnellen Abriss zu verhindern“, sagt
       Philipp Dittrich von der Bürgerinitiative Jahn-Sportpark. Rückblickend
       glaubt er, dass Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD), dessen
       Verwaltung die Abrisspläne vorangetrieben hat, von einer falschen Annahme
       ausgegangen sei. „Manche dachten, dass sie das Ganze voranbringen, wenn sie
       als Erstes das Stadion abreißen“, sagt Dittrich. „Aber das hätte bedeutet,
       man macht etwas kaputt, ohne etwas Neues in der Hand zu haben.“ Dittrich
       spricht in diesem Zusammenhang von einem Lernprozess. „Am Ende hätte es
       nämlich nur hässliche Bilder von einem abgerissenen Stadion im Wahlkampf
       gegeben.“
       
       Tatsächlich war die Sportverwaltung von Andreas Geisel die treibende Kraft
       hinter den Abrissplänen. Noch vor Corona träumte er davon, 2023 in einem
       Stadionneubau die Special Olympics World Summer Games für Sportler mit
       Behinderungen ausrichten zu können. Um das Ganze voranzutreiben, sollte das
       Stadiongelände aus dem Bebauungsplanverfahren herausgenommen und ein
       „Ersatzneubau“ nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches errichtet werden. Damit
       ist eine Baugenehmigung auch ohne B-Plan möglich, wenn sich der Neubau in
       Art und Nutzung nicht vom Vorgängerbau unterscheidet oder er sich „in die
       Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist“.
       
       Das aber haben nicht nur Philipp Dittrich und seine Bürgerinitiative
       infrage gestellt, die von Anfang an ein Gesamtkonzept für den Sportpark
       forderte. Auch die grünen und linken Bauexperten im Abgeordnetenhaus,
       Andreas Otto und Michail Nelken, machten nun öffentlich Druck gegen das
       Vorhaben. „Hier geht es nicht nur um Sport, sondern auch um
       Stadtentwicklung“, sagt Otto. Michail Nelken meint: „Ein
       zweitligataugliches Stadtion, wie es geplant ist, strahlt weit über den
       Kiez hinaus.“ Also müsse man auch über Verkehr und Erschließung sprechen,
       bevor Fakten geschaffen werden.
       
       Der Hebel, den beide in der Hand hatten, waren die 14 Millionen an
       Abrissmitteln, die der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erst noch
       freigeben musste. Otto und Nelken verlangten eine Überarbeitung der
       Machbarkeitsstudie durch den Senat. Gleichzeitig versuchten sie,
       Senatsbaudirektorin Regula Lüscher davon zu überzeugen, dass ein
       Stadionneubau ohne B-Plan rechtlich schwierig sei. Zwar ist die
       Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in diesem Falle nur die
       ausführende Behörde für den Sportsenator. Aber quick and dirty geht auch
       nur, wenn hinterher keine Scherben zusammengekehrt werden müssen.
       
       Bei einer Beratung von Sportsenator Geisel und Bausenator Sebastian Scheel
       (Linke) mit den Fachpolitikern der Koalitionsfraktionen wurden Abriss und
       Neubau dann abgeblasen. Dass dabei auch der Wechsel von Bausenatorin Katrin
       Lompscher zu Sebastian Scheel eine Rolle gespielt haben könnte, bestreitet
       die Bauverwaltung. In der Sportverwaltung ist man sich da nicht so sicher.
       
       Geisels Sprecher, Martin Pallgen, gab sich dennoch als guter Verlierer.
       „Wir tragen den Kompromiss mit“, sagt er der taz. Gleichwohl habe man sich
       eine „schnellere Lösung“ gewünscht.
       
       Nach außen tragen aber wollte den Kompromiss weder seine Verwaltung noch
       die von Bausenator Scheel. Denn das Treffen, auf dem der Abriss abgeblasen
       wurde, fand bereits am 2. Oktober statt. Öffentlich wurde alles aber erst
       vergangene Woche. Und die Bauverwaltung verkündete am Montag mit dem
       B-Plan-Verfahren einen Beschluss vom 13. November.
       
       Gut möglich, dass bei Geisel und Scheel die Angst umgeht, sich die Hände an
       der Sache verbrennen zu können. Denn nicht jeder teilt die Meinung von
       Grünen und Linken. Sport- und Behindertenverbände befürchten zum Beispiel,
       dass mit der Verschiebung des Neubaus auf 2026 auch die Finanzierung auf
       dem Spiel stehen könnte.
       
       25 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR Andreas Geisel
   DIR Sebastian Scheel
   DIR Berlin Prenzlauer Berg
   DIR Innensenatorin Iris Spranger
   DIR Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
   DIR Andreas Geisel
   DIR Prenzlauer Berg
   DIR Para-EM
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Konflikt um Berliner Jahnsportpark: Noch ist das Stadion nicht verloren
       
       Der Berliner Senat will das Jahnstadion abreißen, eine Bürgerinitiative übt
       heftige Kritik daran. Auch die Grünen sind nicht einverstanden.
       
   DIR Jahnsportpark wird doch nicht abgerissen: Senat muss klein beigeben
       
       Das marode Jahnstadion in Prenzlauer Berg sollte schnell abgerissen werden.
       Doch da hat der Sportsenator seine Rechnung ohne den Bezirk gemacht.
       
   DIR Neubau des Berliner Jahnstadions: Tabula Rasa im Mauerpark?
       
       Zwar betont die Sportverwaltung, dass die Hinterlandmauer und der Hügel im
       Mauerpark bleiben sollen. Eine Simulation zeigt aber das Gegenteil.
       
   DIR Streit um Berliner Jahnsportpark: Welches Stadion hätten Sie gern?
       
       Der Senat will das Jahnstadion abreißen, ohne zu wissen, was danach kommt.
       Das sorgt für Ärger. Grüne wollen zuerst die anderen Flächen sanieren.
       
   DIR Start der Para-EM in Berlin: Zum Abflug bereit
       
       Am Montag beginnt in Berlin die Para-EM mit über 700 AthletInnen. Das
       sportliche Niveau ist gestiegen. Aber an der Inklusion hapert es noch
       teilweise.