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       # taz.de -- Koalition streitet über Leipzig-Krawalle: „Schwere Vertrauenskrise“
       
       > Auch nach sechs Stunden Ausschuss-Sondersitzung überwiegen die
       > Differenzen zu den „Querdenken“-Protesten in Leipzig. In der Koalition
       > kriselt es.
       
   IMG Bild: Demonstranten stehen vor einer Polizeikette und skandieren Sprechchöre, Leipzig am 7. November
       
       Dresden taz | Keine Spur von Burgfrieden in der sächsischen Kenia-Koalition
       nach dem Leipziger Eklat der Coronaleugner*innen vom vergangenen
       Wochenende. Nach sechs Stunden gemeinsamer Sitzung des Innen- und
       Rechtsausschusses am Donnerstag fanden nicht einmal die Partner*innen von
       CDU, Grünen und SPD zu einer gemeinsamen Bewertung.
       
       [1][Am vergangenen Samstag] demonstrierten in Leizpzig Zehntausende gegen
       die Coronamaßnahmen – unter ihnen etliche AnhängerInnen von
       Verschwörungsmythen und gewalttätige Rechtsextreme. [2][In ersten
       Reaktionen] waren bereits am vergangenen Sonntag Rücktrittsforderungen
       gegenüber Innenminister Roland Wöller laut geworden. Diese
       „unqualifizierten Forderungen“ seien vom Tisch, erklärte CDU-Innenpolitiker
       Rico Anton nach der stundenlangen Sitzung am Donnerstag im Sächsischen
       Landtag.
       
       Auch wenn eine solche Forderung laut nur noch von der oppositionellen
       Linken erhoben wird, ist kein einziges der erörterten Leipziger Probleme
       vom Tisch. „Erschreckend“ nannte es Linken-Innenpolitikerin Kerstin Köditz,
       wie es im Ausschuss „mehrere Stunden zu gegenseitigen Schuldzuweisungen“
       gekommen sei.
       
       Ihr Grünen-Kollege Valentin Lippmann bescheinigte der Polizei immerhin,
       sich im Gegensatz zu Innenminister Wöller selbstkritisch und lernbereit
       gezeigt zu haben. „Was vom Tisch ist, entscheidet nicht Herrn Anton“, ätzte
       Lippmann in Richtung des großen Koalitionspartners.
       
       ## Rücktrittsforderungen gegen Innenminister
       
       Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar äußerte sich nachdenklich. Die
       Maskenverweigerung der Demonstrant*innen sei absehbar gewesen, eine
       [3][Räumung aus polizeilicher Sicht nahezu aussichtslos], nachdem sich
       bereits mehr als 3.000 Bürger*innen am Augustusplatz versammelt hatten. Man
       müsse in Zukunft schon bei ihrer Anreise die Einhaltung der
       Versammlungsauflagen durchsetzen.
       
       Innenminister Wöller war noch weiter gegangen. „Die Demonstration hätte gar
       nicht beginnen dürfen“, schob er der Stadt Leipzig und dem im Ausschuss
       gleichfalls anwesenden Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal von der Linken
       die alleinige Verantwortung zu. Wohl wissend, dass Leipzig durch die
       faktische Begünstigung der Coronaparty in der Innenstadt durch das
       [4][Bautzener Oberverwaltungsgericht] die Hände gebunden waren.
       
       Ob des Auftritts des Innenministers im Stil einer seit 30 Jahren in Sachsen
       regierenden und immer recht habenden Staatspartei verlor der Polizist und
       Innenpolitiker der SPD Albrecht Pallas beinahe die Fassung. Der
       Ordnungsbürgermeister habe den Abwägungsprozess glaubwürdig dargestellt, im
       Ausschuss zumindest sei die Atmosphäre sachlicher gewesen. „Man muss die
       Frage stellen, ob Herr Wöller die Verantwortung überhaupt noch will“,
       verklausulierte Pallas die auch aus seiner Partei laut gewordenen
       Rücktrittsforderungen.
       
       Linke, Grüne und SPD sind sich jedenfalls einig, dass es eine „untaugliche
       Gefahrenprognose“ der Polizei und Abstimmungsprobleme mit der
       Versammlungsbehörde gab. Die Probleme würden in kommenden regulären
       Ausschusssitzungen weiter erörtert werden. Der Grüne Lippmann sprach von
       einer „schweren Vertrauenskrise der Koalition“. Es liege an der CDU, dieses
       Vertrauen wiederherzustellen. Das schwarz-rot-grüne Bündnis ist in Sachsen
       ohne Alternative, wenn eine Regierungsbeteiligung der AfD vermieden werden
       soll.
       
       ## Justizministerin steht hinter OVG-Entscheidung
       
       Ministerpräsident Michael Kretschmer befindet sich derzeit in Quarantäne
       und kann wenig zur Befriedung beisteuern, nachdem auch seine Stellvertreter
       Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und Umweltminister Wolfram Günter
       (Grüne) Kritik am leichtfertigen Umgang mit der Leipziger Demonstration
       geäußert hatten.
       
       In seiner Kritik am sächsischen Oberverwaltungsgericht hatte Innenminister
       Wöller am Mittwoch wiederum Unterstützung vom ehemaligen Justizminister und
       derzeitigen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth (ebenfalls CDU)
       erhalten. Die Begründung des Gerichts, die Polizei hätte das Limit von
       16.000 Teilnehmer*innen und die Maskenpflicht nur durchsetzen müssen,
       bezeichnete Mackenroth als „ein bisschen sehr lebensfremd“. Infolge der
       Missachtung aller Auflagen sei ein „fatales Signal“ von Leipzig
       ausgegangen.
       
       Sehr spät hatte sich die amtierende Justizministerin Katja Meier von den
       Grünen erst am Montagnachmittag in einer schmalen Mitteilung bedingungslos
       vor das OVG gestellt und sich jede Kritik an dessen unabhängigen
       Entscheidungen verbeten. Dafür wird es vorerst auch keinen Anlass mehr
       geben. Am Dienstag verschärfte das Regierungskabinett die
       Versammlungsvorschriften für die Zeit des zweiten Lockdowns. Bei
       öffentlichen Aufzügen in Sachsen dürfen nur noch maximal tausend Menschen
       demonstrieren.
       
       13 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Querdenker-Protest-in-Leipzig/!5726829
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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