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       # taz.de -- Höchste Pro-Kopf-Infektionsrate der Welt: Harter Lockdown in Österreich
       
       > Ab Dienstag gelten landesweit Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr.
       > Viele Geschäfte und alle Schulen müssen schließen.
       
   IMG Bild: Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober vor Verkündung der neuen Maßnahmen
       
       Wien taz | Nachdem Österreich dank des raschen Lockdowns relativ glimpflich
       durch den Coronafrühling gekommen ist, explodieren jetzt im Herbst die
       Zahlen. Gerechnet auf die Bevölkerung hat es die höchsten Infektionsraten
       weltweit. Deswegen verhängte die Regierung am Samstag einen neuen harten
       Lockdown, der rechtzeitig vor dem Weihnachtskaufrausch die Krankenhäuser
       entlasten soll.
       
       Im Wochenschnitt wurden zuletzt über 7.000 tägliche Neuinfektionen
       gemeldet. Das entspräche in Deutschland 70.000 Ansteckungen. Viele davon
       sind asymptomatisch, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Aber täglich
       müssen rund 40 neue Covid-19-Patienten auf die Intensivstationen. Von 2.000
       verfügbaren Intensivbetten waren am Samstag 584 mit Covid-19-Patienten
       belegt. 700 sind für Corona vorgesehen.
       
       Das sehr gut aufgestellte österreichische Gesundheitssystem gerät damit an
       seine Grenzen. Weniger, was die Beatmungsgeräte betrifft, sondern weil das
       geschulte Personal am Limit ist. Der Intensivmediziner Klaus Markstaller:
       „Die Triage ist de facto unausweichlich.“ Das heißt, demnächst werden Ärzte
       entscheiden müssen, welchem von mehreren Akutpatienten sie lebensrettende
       Behandlung zukommen lassen. Ein vor zwei Wochen verordneter Lockdown light,
       der vor allem Gastronomie und Hotels betrifft, hatte nicht die erhoffte
       Wirkung.
       
       Samstagnachmittag trat das „Corona-Quartett“ vor die Presse: Bundeskanzler
       Sebastian Kurz, Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP), Vizekanzler Werner
       Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne). Die
       Botschaft: Ab Dienstag null Uhr müssen alle Geschäfte schließen. Ausnahme:
       Lebensmittelhandel, Apotheken und Drogerien, Tierfuttergeschäfte, Banken
       und Post. Körpernahe Dienstleistungen wie Haareschneiden, Massage, Hand-
       und Fußpflege haben zu unterbleiben. Angestellte sollen, wenn möglich, im
       Homeoffice arbeiten.
       
       ## Kanzler Kurz: „Treffen Sie niemanden!“
       
       Es gelten Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr. „Treffen Sie niemanden!“,
       warnte Kurz. Parks und Gotteshäuser bleiben diesmal offen, aber die
       katholische Kirche verzichtet freiwillig auf öffentliche Messen.
       Vizekanzler und Sportminister Kogler ermunterte die Menschen, ins Freie zu
       gehen und Sport zu betreiben. Aber: „Tun Sie es allein.“
       
       Der Unterricht findet ab Dienstag auch in Pflichtschulen wieder nur
       virtuell statt. Nur die Kindergärten bleiben offen. Offen bleiben auch die
       Schulen für Kinder, deren Eltern nicht zu Hause bleiben können. Sie werden
       dort, so versicherte Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), in Kleingruppen
       betreut. Man habe aus den Fehlern im Frühjahr gelernt. Die Lehrpersonen
       seien heute besser auf den Distanzunterricht vorbereitet.
       
       Kanzler Kurz fügte am Sonntag in der TV-Pressestunde hinzu, dass besonders
       exponiertes Personal wie Lehrer*innen mit Massentests auf die Zeit nach dem
       Lockdown vorbereitet werden sollen. Den Vorwurf, zu spät gehandelt zu
       haben, wies er zurück. Er sei schon immer für „restriktives Handeln, frühes
       Reagieren und frühes Setzen von Maßnahmen“ gewesen. Aber „die Bereitschaft“
       sei nicht da gewesen. Damit meint er vor allem die Länder und den
       Koalitionspartner.
       
       SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Infektiologin und Ex-Gesundheitsministerin,
       hatte schon länger auf strengere Maßnahmen gedrängt: „Klar ist, dass
       gehandelt werden muss. Schulschließungen halte ich aber für
       verantwortungslos.“
       
       In dieselbe Kerbe schlägt auch FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl, dessen
       rechte Partei seit Monaten gegen den „Corona-Wahnsinn“ und gegen die
       Maskenpflicht auftritt: „Der Schaden für die Bildung und somit die Zukunft
       unserer Kinder und Jugendlichen ist immens und kann nur schwer
       wiedergutgemacht werden“.
       
       15 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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