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       # taz.de -- Turn-Weltmeisterin Schäfer über Gewalt: Tägliche Übergriffe
       
       > Die Turnerin Pauline Schäfer, Weltmeisterin 2017 am Schwebebalken,
       > berichtet von psychischer Gewalt durch eine Trainerin. Ein Dammbruch?
       
   IMG Bild: Deutsche Vorzeigeturnerin: Pauline Schäfer beim Sprung
       
       Vor drei Jahren platzte man beim Deutschen Turner-Bund fast vor Stolz wegen
       Pauline Schäfer. Weltmeisterin wurde die damals 20-Jährige im kanadischen
       Montreal. Eine Sensation, mit der wirklich niemand gerechnet hatte. 30
       Jahre lag der letzte goldene WM-Triumph einer deutschen Turnerin zurück.
       Die überwältigte Bundestrainerin Ulla Koch sagte kurz danach: „Es gibt
       keine Steigerung. Eigentlich müsste ich jetzt zurücktreten.“
       
       Nun sorgt Schäfer in diesen Tagen erneut für Aufsehen. Sie erhob
       [1][gegenüber dem Spiegel schwere Vorwürfe] gegen eine Trainerin am
       Chemnitzer Bundesstützpunkt. Gemeinsam mit fünf anderen Turnerinnen
       berichtete sie von Erniedrigungen, psychischer Gewalt und Trainingszwang
       trotz starker Schmerzen. Ehemalige Co-Trainerinnen bezeugen laut Spiegel
       die Berichte.
       
       Eine Aufarbeitung der Vorwürfe hat Turner-Bund-Präsident Alfons Hölzl am
       Wochenende versprochen. Pauline Schäfer habe „mit keinerlei negativen
       Konsequenzen zu rechnen“. Eine Versicherung von Hölzl, die eher erahnen
       lässt, dass man im Leistungssport vor nichts sicher ist. Der Stolz auf die
       Vorzeigeturnerin der Nation scheint gehörig abgenommen zu haben.
       
       „Erniedrigung, Kontrollverhalten, Manipulation, Psychoterror und
       Bodyshaming, all das stand auf der Tagesordnung“, berichtet Pauline Schäfer
       in einem Statement auf Instagram, das sie gemeinsam mit ihrer ebenfalls
       turnenden Schwester Helene verfasst hat. „Wenn ich dich sehe, könnte ich
       nur noch heulen.“ Das soll die beschuldigte 60-jährige Trainerin in Bezug
       auf ihr Körpergewicht gesagt haben, berichtete Pauline Schäfer dem Spiegel.
       Die Trainerin streitet alle Vorwürfe ab und hat mit juristischen Schritten
       gedroht.
       
       Späteres Verständnis 
       
       Im Alter von 15 Jahren zog Schäfer von Saarbrücken zum Leistungsstützpunkt
       nach Chemnitz. „Eine große Entscheidung meinem Sport zuliebe“, wie die
       Jugendliche damals erklärte. Und zwei Jahre später beschrieb sie das
       Verhältnis zu ihrer Trainerin in Chemnitz fast schon keck: „Sie weiß, wie
       sie mich im Griff hat. Und ich weiß, wie ich sie im Griff habe. 2018
       stellte sie einmal fest „die „Chemie“ (mit ihr) „habe von Anfang an
       gestimmt“.
       
       In ihrem aktuellen Instagram-Statement erklärt sie, Übergriffe Jahre als
       normal empfunden zu haben, weil sie es nicht anders kannte. „Wir haben
       lange gebraucht, um zu verstehen, dass unsere persönlichen Rechte täglich
       missachtet und körperliche Grenzen gänzlich ignoriert wurden.“
       
       Die Berichte über psychische und sexualisierte Gewalt im
       US-Leistungsturnen, die zuletzt [2][durch die Netflix-Doku „Athlete A“]
       noch einmal eine große Aufmerksamkeit erhalten haben, ermutigten zuletzt
       einige Turnerinnen in England und in der Schweiz, von ihren eigenen
       Gewalterfahrungen zu erzählen. Auch für Pauline Schäfer sind die
       Geschichten, wie sie berichtet, Anstoß gewesen, sich öffentlich zu äußern.
       Ein Schritt, der unbedingt nötig sei, um Athlet:innen in Zukunft Schutz vor
       jeglicher Gewalt zu bieten. Und sie schreibt mit ihrer Schwester:
       „Unterstützend bieten wir eine Anlaufstelle für alle, die sich mitteilen
       wollen.“
       
       Es ist ein Zeichen mit großer Signalwirkung. Die Prominenz von Pauline
       Schäfer in der deutschen Turnszene könnte dazu führen, dass der Turner-Bund
       bald weit mehr aufarbeiten wird als die Vorfälle am Olympiastützpunkt in
       Chemnitz.
       
       30 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/sport/turnen-gabriele-frehse-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-von-pauline-schaefer-a-c07acfe7-a461-43ed-ba01-5fa488bca4e1
   DIR [2] /Sexuelle-Gewalt-im-US-Sport/!5694139
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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