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       # taz.de -- Nach Unfall mit E-Scootern in Bremen: Ein Hindernis zum Mieten
       
       > Im Sommer stürzte Klaus Bopp über herumliegende E-Scooter und verletzte
       > sich schwer. Der Bremer ist blind und fordert nun, die Roller zu
       > verbannen.
       
   IMG Bild: Mieten, fahren, wegwerfen – so handhaben es viele
       
       Bremen taz | Klaus Bopp leidet heute noch unter den Folgen seines Unfalls.
       Arbeiten kann er ein halbes Jahr, nachdem er Ende Juli in der Bremer
       Neustadt auf dem Weg zur Arbeit über zwei quer auf dem Gehweg liegende
       E-Scooter gestürzt war und sich schwer verletzt hatte, immer noch nicht.
       Oberschenkelhalsbruch lautete die Diagnose nach dem Unfall. Es folgten eine
       Operation und Reha. Bopp ist blind, sein weißer Langstock hatte die Scooter
       nicht erfasst.
       
       „Eine ganz blöde Stolperfalle“, nennt Bopp die vermutlich umgestürzten
       Roller gegenüber der taz. Zumal er mit ihnen, im Gegensatz zu
       Verkehrsschildern oder Fahrrädern, nicht gerechnet hatte. Er habe keine
       Möglichkeit gehabt, sich abzufangen – zu weit werde der Körperschwerpunkt
       bei so einem niedrigen Hindernis nach vorn verlagert.
       
       Er habe mit den Schmerzen seines Lebens gekämpft, heißt es in Bopps
       Unfallbericht. Doch das war noch nicht alles: Die Polizisten hätten ihn
       zunächst als Unfallverursacher behandelt und gesagt, dass er wahrscheinlich
       [1][für etwaige Schäden an den Scootern aufkommen] müsse. Zu seinem Glück
       ging es den Rollern vergleichsweise gut. Aber der Fall zeigt: Die
       Haftungsfrage ist ungeklärt.
       
       Mit seinem im November gestellten Antrag beim Bremer Verwaltungsgericht auf
       eine einstweilige Verfügung will Bopp „ein für alle Mal die
       Barrierefreiheit für behinderte Menschen sowie die Verkehrssicherheit und
       die Zustandshaftung für die E-Scooter klären lassen“.
       
       ## Angstfrei durch die Stadt
       
       Ihm geht es aber auch um Schadensersatz – die Rollerfirma, ihre
       Versicherung und auch die Stadt hätten sich bislang aus der Verantwortung
       gezogen. Und es geht ihm darum, dass er sich wieder [2][angstfrei durch die
       Stadt bewegen] kann. Seit dem Unfall sei er so verunsichert, dass er mit
       halbem Tempo unterwegs sei. „Ich möchte mich so bewegen können, wie ich es
       gelernt habe.“
       
       Deswegen fordert er vom Verwaltungsgericht, die vor rund einem Jahr von der
       Stadt Bremen erteilte Sondernutzungserlaubnis für die Rollerunternehmen
       zurückzuziehen. Oder alternativ, wenn das Gericht diesen Antrag
       abschmettert, die Erlaubnis an weitere Bedingungen zu knüpfen: Zum Beispiel
       solle es um Bopps Wohnort eine Sperrzone für die Roller geben, stadtweit
       sollten nur bestimmte Flächen zum Parken erlaubt sein und die
       Rollerunternehmen in Zukunft haften, wie es auch Autovermietungen müssen.
       
       Die Ansprüche stützt Bopps Anwalt Thomas Hiby „auf die Verletzung von
       Verkehrssicherungspflichten“. Bopp habe „zumindest aus der
       UN-Behindertenrechtskonvention Anspruch darauf, vor Gefahren geschützt und
       damit mit Menschen ohne Behinderung gleichgestellt zu werden“.
       
       Die E-Scooter von den Firmen Tier und Voi – von letzterer sind die Roller,
       über die Bopp fiel – gehören mittlerweile zum Bremer Stadtbild. Und sie
       beeinträchtigen auch Sehende, wenn sie falsch abgestellt sind: Menschen mit
       Kinderwagen, im Rollstuhl, mit Rollator oder Radfahrer*innen. Jeder der
       Anbieter darf momentan 500 Roller in der Stadt bereitstellen; ein Ausbau
       ist jedoch absehbar.
       
       Die Sondernutzungserlaubnis galt zunächst für ein Jahr; sie ist nun erst
       einmal kurzfristig verlängert worden. „Über die langfristige Verlängerung
       wurde bisher nicht entschieden“, sagt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin von
       Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Fest stehe aber, dass die
       sicherzustellende „Restgehwegbreite“ trotz geparkter Roller von eineinhalb
       auf 1,80 Meter erweitert werden soll.
       
       Auch die Reaktionszeit für die Unternehmen, falsch geparkte Fahrzeuge
       umzustellen – derzeit sind es 24 Stunden –, solle reduziert werden.
       „Perspektivisch“ gehe es auch um feste Abstellflächen in der Stadt; deren
       Umsetzung sei aber kompliziert.
       
       Das geht Arne Frankenstein, Bremens Landesbehindertenbeauftragten, nicht
       schnell genug. Das Tempo „verkennt die Problematik“. Er bekomme viele
       Beschwerden über die E-Scooter. Deswegen fordert er vom Innensenator und
       auch von Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) eine Klärung der Haftung,
       gesonderte Abstellflächen und ein besseres Beschwerdemanagement.
       
       Die Sondernutzungserlaubnis, die den Unternehmen auch arbeits- und
       sozialrechtliche Vorgaben macht, könnte der Senat jederzeit nachbessern.
       Das ist nicht selbstverständlich: [3][Andere Städte] erteilen den Anbietern
       einfach so eine Erlaubnis. Der Bund sei aber auch gefragt, weitergehende
       Regeln voranzutreiben, sagt Gerdts-Schiffler.
       
       ## Bremen scheiterte auf Bundesebene
       
       Das sehen auch [4][Birgitt Pfeiffer (SPD)], Sprecherin für Menschen mit
       Beeinträchtigung, und [5][Mustafa Öztürk], innenpolitischer Sprecher der
       Grünen, so. Ihre Fraktionen hatten im Laufe des Jahres mehrere Anfragen zu
       den E-Scootern eingereicht. Auch sie beschäftigt der Sicherheitsaspekt der
       herumstehenden Roller.
       
       Denn ein großes Problem sei, dass in der Straßenverkehrsordnung (StVO) das
       falsche, also verkehrsbehindernde Abstellen der E-Scooter keine
       Ordnungswidrigkeit darstelle, sagt Öztürk. Eine entsprechende Änderung der
       StVO, die Bremen auf Bundesebene mit initiiert hatte, war aber gescheitert.
       
       So gibt es weder für Betreiber noch Nutzer*innen eine Motivation,
       rücksichtsvoll zu handeln – jedenfalls keine monetäre. Öztürk dokumentiert
       einige der Fehlverhalten: „Teilweise fahren junge Menschen zur Ampel,
       steigen ab, gehen rüber und lassen den Roller einfach stehen.“ Er will,
       dass das Thema bei der nächsten Verkehrsminister*innenkonferenz im nächsten
       Jahr noch einmal behandelt wird.
       
       Pfeiffers Idee ist, dass das bisher freiwillige Angebot, nach dem Abstellen
       der Scooter ein Foto an den Anbieter zu schicken, verpflichtend eingeführt
       werden könnte, um zu prüfen, dass sie nicht einfach hingeworfen werden. Sie
       will die Roller aber auch nicht „verteufeln“; sie seien schließlich ein
       [6][Gewinn für die Mobilität] in Bremen.
       
       ## Kritik an Anbieter Voi
       
       Die Politiker*innen beklagen, wie auch der Landesbehindertenbeauftragte,
       die Erreichbarkeit von Voi, obwohl diese [7][laut Nutzungserlaubnis gegeben
       sein m]üsse. Ansprechpersonen in Bremen scheint es nicht zu geben: Die
       einzige deutsche Telefonnummer von Voi, die im Internet zu finden ist, ist
       eine Lübecker.
       
       Dort geht tatsächlich jemand ran und bietet an, falsch abgestellte Roller
       entfernen zu lassen. Wie viele Menschen dafür in Bremen zuständig sind und
       wie lange das wirklich dauert, ist unklar. Voi schreibt auf Anfrage von
       einer schwedischen Mail-Adresse, dass sie „jederzeit“ erreichbar seien und
       bestätigt auch, dass eine Erweiterung des Angebots geplant sei.
       
       Wie es mit dem Fall von Bopp weitergeht, entscheidet sich in den kommenden
       Wochen. Verena Korrell, Sprecherin des Verwaltungsgerichts bestätigt den
       Eingang des Antrags. Momentan habe das Innenressort Zeit zu antworten. Dann
       werde das Gericht ohne eine mündliche Verhandlung einen Beschluss zum
       Antrag fassen. Über andere Verfahren oder Entscheidungen zu dem Thema „ist
       mir nichts bekannt“, sagt Korrell. Der Beschluss könnte also eine Art
       Präzedenzwirkung haben und ein wenig Ordnung ins Scooter-Chaos bringen.
       
       3 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Verbraucherzentralen-zu-E-Scootern/!5621377
   DIR [2] /Fehlende-Barrierefreiheit-in-Bremen/!5652438
   DIR [3] /E-Mobilitaet/!5614400
   DIR [4] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2020-11-19_Frage%201%20Landtag_ed47c.pdf
   DIR [5] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2020-10-07_Frage%204%20Stadtb%C3%BCrgerschaft_c09b1.pdf
   DIR [6] /Verkehrs-Thinktank-ueber-E-Scooter/!5621851
   DIR [7] https://www.bremen.de/leben-in-bremen/mobilitaet-und-verkehr/e-scooter-in-bremen
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Götz
       
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