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       # taz.de -- Krieg um Bergkarabach: Nach Hause, ob tot oder lebendig
       
       > Der Gefangenenaustausch zwischen Armenien und Aserbaidschan ist
       > schwierig. Verwandte von armenischen Soldaten wollen das nicht hinnehmen.
       
   IMG Bild: Armenien, Jerewan: Ein Mann küsst den Grabstein eines gefallenen Soldaten
       
       Berlin taz | „Gebt uns die Leichen unserer Söhne zurück“, ruft die Menge.
       Seit Tagen demonstrieren Hunderte Eltern vermisster und gefangener Soldaten
       vor dem Gebäude der Regierung in der armenischen Hauptstadt Jerewan.
       Künstler*innen ziehen mit Hunderten Demonstrant*innen in einem
       Solidaritätsmarsch vom Charles-Aznavour–Platz im Stadtzentrum zur
       französischen Botschaft.
       
       Eine andere Aktion findet vor der russischen Botschaft statt. „Holt unsere
       Männer aus der aserbaidschanischen Gefangenschaft“, skandieren die
       Menschen. Auch Armeniens Präsident Armen Sargsyan hat in einem Brief an
       Präsident Wladimir Putin um Hilfe bei der Rückkehr seiner Landsleute
       gebeten, die in aserbaidschanische Kriegsgefangenschaft geraten sind.
       
       Am 10. November 2020 wurde der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um
       die Region Bergkarabach beendet. Ein [1][entsprechendes Abkommen] war unter
       Vermittlung von Moskau ausgehandelt worden.
       
       Das Dokument sieht auch einen Austausch von Kriegsgefangenen vor. Diesen
       sollen [2][russische Friedenstruppen] überwachen, die jetzt in der Region
       stationiert sind. Doch auch 23 Tage nach Kriegsende gibt es von armenischer
       Seite immer wieder Beschwerden, dass Aserbaidschan den Austausch von
       Gefangenen verzögere.
       
       ## Keine Angaben
       
       Nach Angaben des armenischen Gesundheitsministeriums wurden bislang 2.660
       Leichen identifiziert. Inoffizielle Quellen schätzen, dass die Zahl der
       getöteten Soldaten doppelt so hoch ist. Die Behörden geben keine Auskunft
       über die genaue Anzahl vermisster und gefangener Soldaten. In der
       armenischen Öffentlichkeit ist von 150 bis 300 vermissten
       Militärangehörigen die Rede. Aserbaidschan macht bislang überhaupt keine
       Angaben.
       
       Der armenische Menschenrechtler und ehemalige Justizminister Artak
       Zeynalyan vertritt mehrere Familienangehörige armenischer Gefangener beim
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Aktuell
       lägen 60 Anträge gegen Aserbaidschan vor, sagt er gegenüber der taz. Das
       heißt, die armenische Seite habe Beweise, dass 60 Personen in
       aserbaidschanischer Kriegsgefangenschaft noch am Leben seien.
       
       Demgegenüber habe Aserbaidschan fünf Anträge zu aserbaidschanischen
       Soldaten in armenischer Gefangenschaft dem Straßburger Gericht vorgelegt,
       sagt Zeynalyan.
       
       Menschen fahnden nach vermissten Soldaten auch über soziale Netzwerke. Es
       gibt eine Reihe von Facebook-Gruppen auf beiden Seiten mit Namen wie etwa
       „Ich suche einen Soldaten“.
       
       ## Geschlagen und erniedrigt
       
       Schon mehrere Familien haben ihre Söhne auf Videos erkannt, die im Netz
       verbreitet werden. Auf mehreren ist zu sehen, wie aserbaidschanische
       Soldaten armenische Gefangene schlagen, erniedrigen und zwingen zu
       wiederholen, dass Bergkarabach zu Aserbaidschan gehöre.
       
       Die Nichtregierungsorganisation Deutsch-Armenische Juristenvereinigung
       (DEARJV) mit Sitz in Nürnberg hat mehrere Strafanzeigen beim
       Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen aserbaidschanischer Kriegsverbrechen
       im Bergkarabach-Krieg erstattet. Die Juristen ergänzen ihre Anzeigen
       ständig mit neuen Straftatbeständen. Dabei geht es um Folter, Vertreibung
       und Erniedrigung von armenischen Soldaten sowie Zivilisten.
       
       Ein Problem bei dem Leichentransport ist, dass die von Aserbaidschan
       eroberten Gebiete vermint sind. Am vergangenen Samstag waren in der Region
       Fisuli mehrere Menschen gestorben, als unter ihrem Auto eine Panzermine
       explodierte.
       
       Das Rote Kreuz werde seine Präsenz in der Konfliktzone verstärken und
       weitere 400 bis 500 Mitarbeiter*innen in die Region entsenden, sagte Peter
       Maurer, Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, am
       Dienstag der russischen Agentur RBC. Maurer warnte, dass weitere zeitliche
       Verzögerungen katastrophale Folgen haben könnten.
       
       „Es kann zu Bodenverunreinigungen kommen. Die Identifizierung kann
       schwieriger werden, wenn die Leichen nicht vor Winterbeginn geborgen
       werden“, sagt er. Aus dem Krieg in den 90er Jahren würden noch 4.500
       Soldaten vermisst. In der Region ist der erste Schnee bereits gefallen.
       
       3 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tigran Petrosyan
       
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