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       # taz.de -- Streit um Rechtsstaat und EU-Haushalt: Ungarn und Polen blockieren
       
       > Der Streit um die Bindung von EU-Geldern an Rechtsstaatsprinzipien
       > eskaliert. Ungarn und Polen legen ein Veto gegen die Corona-Aufbaufonds
       > ein.
       
   IMG Bild: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (l) und Ungarns Regierungschef Viktor Orban (r)
       
       Brüssel taz | Ungarn und Polen haben das neue EU-Budget blockiert und damit
       eine schwere Krise ausgelöst. Zur Begründung verwiesen beide Länder auf den
       neuen Rechtsstaats-Mechanismus, mit dem das insgesamt 1,8 Billionen Euro
       schwere Budget vor Missbrauch geschützt werden soll. Der Streit dürfte
       jetzt auf den EU-Videogipfel am kommenden Donnerstag wandern, Kanzlerin
       Angela Merkel ist gefordert.
       
       Merkel hatte das Budget, das auch den schuldenfinanzierten
       Corona-Aufbaufonds enthält, beim EU-Gipfel im Juli durchgesetzt. Damals
       spielte der Rechtsstaats-Mechanismus nur eine Nebenrolle. [1][Erst Wochen
       später legte der deutsche EU-Ratsvorsitz einen Vorschlag vor, der dann vom
       Europaparlament noch einmal nachgeschärft wurde]. Dies führte jetzt zum
       Eklat mit Ungarn und Polen.
       
       Die ungarische Justizministerin Judit Varga [2][warf der EU Erpressung
       vor]: „Wenn es um die Zukunft unserer Kinder und Enkel geht, schließen
       Ungarn und die ungarischen Menschen keine Kompromisse, sei es, dass dies
       einen Freiheitskampf bedeutet oder ein einfaches Veto.“ Die polnische
       Regierung erklärte, der geplante Mechanismus bedeute „vollkommen
       willkürliche Entscheidungen“.
       
       Die Frage, ob EU-Mittel mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in
       Verbindung gebracht werden könnten, sei „grundlegend für die Zukunft
       Polens“, sagte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro. Für Polen gehe
       es darum, ob es ein souveränes Land innerhalb der EU sei oder „der
       politischen und institutionalisierten Versklavung unterworfen wird“.
       
       ## Am Morgen hoffte man noch, dass Ungarn und Polen bluffen
       
       Beide Länder fürchten, dass das neue Instrument zu Kürzungen von EU-Hilfen
       führen werde. Tatsächlich ist genau das geplant. Allerdings können
       Finanz-Sanktionen nur dann ausgelöst werden, wenn es neue Verstöße gegen
       den Rechtsstaat gibt, wenn die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag
       macht und der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit zustimmt. Die Hürden
       sind hoch.
       
       Merkel war Ungarn und Polen bei der Formulierung des
       Rechtsstaats-Mechanismus entgegen gekommen. Zudem hoffte man noch am
       Montagmorgen in Berlin, dass Budapest und Warschau nur bluffen und bei der
       Abstimmung am Nachmittag auf ein Veto verzichten würden. Doch diese
       Hoffnung ist nun zerstoben. „Wir sind zurück in einer Krise“, sagte ein
       hochrangiger EU-Diplomat.
       
       Ob und wie sich diese Krise lösen lässt, ist offen. Der deutsche
       Ratsvorsitz könnte versuchen, Ungarn und Polen noch umzustimmen. Auch eine
       Zusatzerklärung wird erwogen, die die Bedenken der beiden Länder aufnehmen
       würde. Danach könnte es eine zweite Abstimmung geben. Als wahrscheinlicher
       gilt jedoch, dass der Streit zur Chefsache wird und auf den EU-Videogipfel
       am Donnerstag wandert.
       
       Merkel könnte dort mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban und dem
       polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki sprechen. Eine
       öffentliche Aussprache birgt aber Risiken – es könnte zum offenen Streit
       kommen. So haben Frankreich und die Niederlande schon klar gemacht, dass
       sie auf dem Rechtsstaats-Mechanismus bestehen.
       
       ## Es drohen Verzögerungen beim Corona-Aufbaufonds
       
       Die Blockade kommt zu einem für die EU und Deutschland kritischen Moment.
       Das EU-Budget ist bisher der einzige greifbare Erfolg der deutschen
       Ratspräsidentschaft. Der Rechtsstaatsmechanismus war eine „rote Linie“ für
       das Europaparlament. Nun möchte niemand mehr dahinter zurückgehen. Merkel
       steckt in einer Zwickmühle.
       
       Zugleich drohen beim dringend benötigten neuen Corona-Aufbaufonds, der Teil
       des Budgets ist, weitere Verzögerungen. Die ersten Gelder aus dem 750
       Milliarden Euro schweren Fonds dürften nun erst im Frühsommer 2021
       ausgezahlt werden. Dabei tobt die Coronakrise jetzt schon, vor allem in
       Südeuropa droht eine neue Rezession.
       
       Der Europaabgeordnete Jens Geier warnte vor faulen Kompromissen. „Wenn die
       Verteidigerinnen und Verteidiger von Rechtsstaat und Demokratie sich in
       Geiselhaft nehmen lassen, haben wir verloren“, sagte der Chef der
       SPD-Gruppe im Europaparlament. Die AfD bezeichnete das Veto hingegen als
       letzte Chance, um den Gang in eine „Schuldenunion“ zu verhindern.
       
       16 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Parlament-billigt-Unionsetat/!5723928&s=Rechtsstaat/
   DIR [2] https://www.facebook.com/VargaJuditMinisterofJustice/posts/3879150082103919
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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