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       # taz.de -- Politische Agenda von Diego Maradona: Flexibler Rebell
       
       > Maradona präsentierte sich als Fürsprecher der Armen und Freund populärer
       > linker Staatsführer. Hinter diesem Bild verbergen sich einige
       > Widersprüche.
       
   IMG Bild: Maradona und Chávez geben sich 2011 einen Fist Bump, Fidel Castro steht im hippen Trainingsanzug daneben
       
       Es ist bekannt, dass Diego Maradona ein Freund Fidel Castros und anderer
       verbündeter linker Staatschefs Lateinamerikas war. Aber Castro, Chávez,
       Morales und Maduro waren nicht die Ersten, die von der Popularität des
       argentinischen Nationalhelden profitieren wollten. Und nicht alle waren
       links, im Gegenteil.
       
       Im September 1976, als Maradona mit nur 16 Jahren jüngster Spieler der
       argentinischen ersten Liga wurde, war der Militärputsch, der eine der
       brutalsten Diktaturen Lateinamerikas hervorbrachte, gerade ein halbes Jahr
       alt. [1][Die Junta bereitete sich auf die WM 1978 in Argentinien vor] – und
       es war nur der Einschätzung des damaligen Nationaltrainers zu verdanken,
       Maradona sei noch zu jung, dass er nicht zum Team gehörte, das als Teil der
       Propagandashow im eigenen Land die WM gewann und später in schamhafte
       Vergessenheit geriet.
       
       Maradonas erster Kontakt mit der Politik kam ein Jahr später, als er mit
       der U20-Auswahl die Junioren-Weltmeisterschaft in Japan gewann. Da hätte er
       eigentlich zum obligatorischen Militärdienst gemusst, aber die Junta
       stellte ihn und fünf andere frei, wenn sie – in Uniform und mit kurz
       geschnittenen Haaren – ihre Siegermedaillen präsentierten.
       
       Maradona war 21, als er das Argentinien der Junta zunächst Richtung
       Barcelona verließ. Manche Exil-Argentinier*innen glauben sich zu erinnern,
       dass er bei Auftritten in Europa seine Solidarität mit den 30.000
       „verschwundenen“ Oppositionellen kundtat. Aber tatsächlich politisch wurde
       Maradona erst in Italien, als er sich als Neapel-Spieler zu einer Art Robin
       Hood des verarmten und diskriminierten Südens aufschwang.
       
       ## Unkonventioneller Mensch und Fußballer
       
       Nach dem verlorenen Krieg um die Malwinen/Falkland-Inseln 1982 kam das
       Ende der argentinischen Militärdiktatur, und damit auch das Ende der
       Ambivalenz der Argentinier*innen gegenüber ihrer Nationalelf. Der
       Gewinn der WM 1986 in Mexiko war Maradonas größter Moment – und es war der
       erste wieder frei gewählte Präsident Raúl Alfonsín, der die siegreiche
       Mannschaft auf dem Balkon der Casa Rosada in Buenos Aires empfing.
       
       Maradona war auf der Spitze seines Ruhms, war längst durch den Fußball
       reich geworden, wurde aber nicht nur wegen seiner Zauberei am Ball geliebt.
       Er stellte sich als einer von unten dar – und das war er ja auch –, als
       Kind einer armen Familie aus einem Vorort von Buenos Aires. Ein
       unkonventioneller Fußballer und Mensch, ein Rebell, der machte, was er
       wollte.
       
       1987 reiste er zum ersten Mal nach Kuba, wurde von Revolutionsführer Fidel
       Castro empfangen – und für beider Image war der Ruhm des anderen eine
       Bereicherung. Es war der erste von unzähligen Besuchen. Mal schenkte
       Maradona dem Staatschef ein Trikot der argentinischen Nationalelf, mal
       einen Set Mate-Utensilien. Die Szene ist auf Video festgehalten: Castro
       bedankt sich und erinnert daran, dass auch Che Guevara immer Mate getrunken
       habe. Dann zieht er seine Uniformjacke aus und schenkt sie Maradona, der
       sagte: „Das ist das Größte überhaupt.“
       
       [2][Das ist nicht wirklich politisch durchdacht,] trifft aber sowohl den
       Rebellenimpetus als auch tief verwurzelte argentinische – und
       lateinamerikanische – antiimperialistische Gefühle. Dass Maradona in den
       1990er Jahren auch eine enge Freundschaft zum damaligen argentinischen
       Staatschef Carlos Menem entwickelt, steht politisch dazu im Widerspruch:
       Menem, wiewohl als Kandidat der peronistischen Partei gewählt, organisiert
       den neoliberalen Ausverkauf des Landes bis zum Zusammenbruch der Jahre
       2000/01. In den Augen der Bevölkerung bleibt er dennoch der Diego von
       unten.
       
       Im Jahr 2000 begibt er sich auf Einladung Castros nach Kuba, um in einer
       Klinik in Havanna seine Drogensucht zu behandeln. Ein argentinischer
       Journalist in Kuba erinnert an zahlreiche Treffen zum gemeinsamen Grillen,
       nicht selten mit spontaner Anwesenheit Castros selbst. Maradona drückt
       seine Freundschaft aus, indem er sich ein Che-Guevara-Tattoo auf die
       Schulter und eines von Fidel auf die Wade stechen lässt.
       
       Über Fidel Castro lernt Maradona auch Hugo Chávez kennen, den er nach
       Kräften unterstützt, Evo Morales in Bolivien, Rafael Correa in Ecuador. Mit
       Ernesto und Cristina Kirchner in Argentinien ist er politisch verbunden –
       das ungehobelte und immer wieder in Drogen und Krankheit versinkende
       Sinnbild der lateinamerikanischen Linksregierungen der 2000er Jahre.
       
       Als Fidel Castro am 25. November 2016 stirbt, bezeichnet ihn Maradona als
       seinen „zweiten Vater“. Auf den Tag genau vier Jahre später folgt er ihm
       nach – für einige Nachrufer in kubanischen Staatsmedien ein Beweis wahrer
       Verbundenheit.
       
       27 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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