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       # taz.de -- Justiz in Polen: Nächster Richter geschasst
       
       > Ein bekannter regierungskritischer Richter verliert in Polen seine
       > Immunität. Jetzt droht ihm ein Berufsverbot oder eine Haftstrafe.
       
   IMG Bild: Igor Tuleya, einer der bekanntesten Richter Polens, verliert seine Immunität
       
       Warschau taz | Igor Tuleya ist einer der bekanntesten Richter Polens. Seit
       Jahren setzt sich der heute 50-Jährige für den Erhalt des Rechtsstaats in
       Polen ein. Damit verärgerte er mehr als einmal die regierenden
       Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS).
       
       Am Mittwoch hob die von ebenjenen Nationalpopulisten neu geschaffene
       [1][Disziplinarkammer] am Obersten Gericht die Immunität von Tuleya als
       Richter auf, so dass ein reguläres Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden
       kann.
       
       Laut Urteil der Disziplinarkammer darf Tuleya ab sofort nicht mehr an
       Gerichtsprozessen teilnehmen, auch seine Bezüge wurden bereits um 20
       Prozent gekürzt. Zur Last gelegt werden soll ihm, dass er ein für [2][die
       PiS] unangenehmes Verfahren für die Medien öffnete, statt es unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Dabei war es um mutmaßlich
       rechtswidriges Verhalten von PiS-Abgeordneten bei einer wichtigen
       Abstimmung gegangen.
       
       Das Problem: Das Oberste Gericht, an dem die neue Disziplinarkammer
       eingerichtet wurde, entschied schon im Dezember 2019, dass die
       Disziplinarkammer kein Gericht nach polnischem und EU-Recht sei und ihre
       Urteile daher keine Rechtskraft besäßen.
       
       ## Folgenlose Rüge
       
       Im April 2020 forderte der Europäische Gerichtshof in einer einstweiligen
       Verfügung die Richter an der Disziplinarkammer auf, ihre Arbeit so lange
       ruhen zu lassen, bis die Legalität ihres Gerichts geklärt sei. Doch die
       Disziplinar-Richter ignorierten die Anordnung aus Luxemburg und strafen
       weiter fleißig regierungs- und PiS-kritische Richter ab – bis hin zum
       Berufsverbot. Zwar rügte die Europäische Kommission im Juni, dass Polen die
       einstweilige Anordnung des Europäischen Gerichts nicht umsetze, aber Folgen
       hatte dies für Polen keine.
       
       So soll das auch bleiben, wenn es nach der PiS geht. Anfang der Woche
       legten die Regierungen von Polen und Ungarn, gegen die mehrere
       EU-Rechtsstaatsverfahren laufen, ein Veto gegen den neuen siebenjährigen
       EU-Haushalt sowie das milliardenschwere Corona-Hilfspaket ein.
       
       Polen und Ungarn wollen erreichen, dass der Rechtsstaatsmechanismus, der
       erstmals die Kürzung von EU-Geldern für offenen Rechtsbruch von
       EU-Mitgliedern vorsieht, wieder gestrichen wird. Die endgültige Abstimmung
       über das Veto steht erst Anfang Dezember bei einem erneuten EU-Gipfel an.
       
       Doch schon jetzt zeigt Polen geradezu provokativ, wie wenig es Anordnungen
       aus dem Europäischen Gericht und Rügen der Europäischen Kommission
       interessieren. Tuleya soll nun selbst auf der Anklagebank sitzen und könnte
       mit Berufsverbot oder mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden.
       
       ## Kein Prozess
       
       Ankläger werden PiS-weisungsgebundene Staatsanwälte sein. Auch ihr Chef,
       der Generalstaatsanwalt und Justizminister Zbigniew Ziobro, war damals
       dabei gefilmt worden, wie er anscheinend post factum seine Unterschrift auf
       die Anwesenheitsliste einer Haushaltssitzung der Abgeordnetenkammer setzte.
       
       Ohne eine Mindestanzahl von Abgeordneten wären Sitzung und Abstimmung
       ungültig gewesen. Zu einem Prozess kam es letztlich nicht, da die
       Staatsanwälte das Verfahren zweimal niederschlugen.
       
       19 Nov 2020
       
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