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       # taz.de -- Coronaprovokateure im Bundestag: „Ein absoluter Tabubruch“
       
       > Die AfD hat Störer in den Bundestag eingeschleust, die Abgeordnete
       > bedrängt haben. Das Parlament prüft nun rechtliche Schritte – auch gegen
       > Parlamentarier.
       
   IMG Bild: Stört: die AfD-Fraktion
       
       Berlin taz | Die Störer bedrängten Abgeordnete im Bundestag, [1][filmten
       und beschimpften sie] – als Gäste von AfD-Politikern. Was am Mittwoch im
       Reichstagsgebäude geschah, hat nun ein Nachspiel. Im Ältestenrat des
       Parlaments drängten die Vertreter aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD
       darauf, alle Sanktionsmöglichkeiten zu prüfen.
       
       Es sei eine „sehr intensive Aussprache“ gewesen, sagte im Anschluss die
       Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann. Die
       Vorfälle im Reichstag seien ein „absoluter Tabubruch“ gewesen, der nicht
       hinnehmbar sei. Auch ihr Kollege von der Linkspartei, Jan Korte, sprach von
       einem einmaligen Vorgang. „Das muss Konsequenzen haben. Und das wird auch
       Konsequenzen haben.“ Haßelmann forderte, dass auch Sanktionen gegen
       Abgeordnete geprüft würden, die dafür verantwortlich seien. Sie gehe von
       einer „konzertierten Aktion“ aus.
       
       Nach taz-Informationen hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer aller
       Fraktionen, außer der AfD, Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu
       einer harten Reaktion gedrängt. Das ist ungewöhnlich: Normalerweise handelt
       das Gremium eher zurückhaltend. Die FDP-Fraktion prüft zudem eine
       Strafanzeige gegen die drei AfD-Abgeordneten. „Denkbar ist die Beihilfe zur
       Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans“, erklärte deren
       Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann.
       
       ## Der Bundestag beruft eine Aktuelle Stunde ein
       
       Die Regierungsfraktionen beantragten für Freitag auch eine Aktuelle Stunde
       im Bundestag zu den Vorfällen. Titel: „Bedrängung von Abgeordneten
       verurteilen – die parlamentarische Demokratie schützen“.
       
       Am Mittwoch hatte die rechte Aktivistin Rebecca Sommer – parallel zur
       Abstimmung über das neue Infektionsschutzgesetz im Bundestag und
       [2][Protesten von Coronaverharmlosern davor] – Abgeordnete auf den
       Parlamentsfluren bedrängt und sie mit einer Kamera nach ihrem
       Abstimmungsverhalten gefragt. [3][Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
       (CDU) beschimpfte] sie dabei als „Arschloch“ und „aufgeblasener, kleiner
       Wanna-be-König“. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der
       FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle wurden von Sommer bedrängt.
       
       Zumindest zeitweilig begleitet wurde sie von den Youtubern Ilia T. und
       Daniela S. sowie dem Verschwörungsideologen Thorsten Schulte, der auch
       unter dem Pseudonym „Silberjunge“ auftritt. Die Aktivisten bewegten sich
       unbegleitet im Bundestag und filmten einen Livestream. Dort begrüßten sie
       auch herzlich die nach rechts abgedriftete frühere Bürgerrechtlerin
       Angelika Barbe, die ebenfalls als Besucherin vor Ort war.
       
       Laut einem Sicherheitsbericht des Bundestags drangen die Gruppe zusammen
       mit Barbe später auch in Büroräume im sechsten Stock des
       Jakob-Kaiser-Hauses ein und filmte von dort die Corona-Kundgebung – „trotz
       der Proteste der anwesenden Bürobeschäftigten“. Die Bundestagspolizei sei
       darauf eingeschritten und habe die Gruppe aus dem Haus begleitet.
       
       ## Drei AfD-Männer luden die Störer ein
       
       Laut des Berichts waren die vier Aktivisten von AfD-Abgeordneten eingeladen
       worden: Rebecca Sommer von Petr Bystron, Ilia T. und Thorsten Schulte von
       Udo Hemmelgarn und Daniela S. von Hansjörg Müller. Alle drei AfD-Männer
       stehen den Coronaprotestierenden nahe und hatten teils auch die
       [4][Kundgebung vor dem Bundestag] besucht.
       
       Bystron und Müller hatten am Vormittag zunächst bestritten, die Aktivisten
       eingeladen zu haben. Hemmelgarn hatte eine Einladung nur für Schulte
       eingeräumt. Das Beschimpfen von Altmaier lehne er „komplett ab“, sagte er
       der taz. Auch die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland
       sprachen von einem „inakzeptablen Verhalten“. Die AfD-Fraktion habe aber
       nie Gäste mit dem Ziel eingeladen, Abgeordnete an ihrer Arbeit zu
       behindern.
       
       Am Nachmittag änderte der AfD-Abgeordnete Bystron seine Aussage. Rebecca
       Sommer sei ursprünglich von einem anderen Abgeordneten eingeladen worden,
       sagte er nun der taz. Als dieser erkrankt fehlte, habe sein Büroleiter
       „behilfsweise“ die „Journalistin“ eingeladen. Das Bedrängen von Altmaier
       relativierte Bystron: Rebecca Sommer habe viele Abgeordnete „interviewt“,
       ohne Probleme. „Dass Herr Altmaier vor ihr geflüchtet ist, zeigt, dass er
       unbequemen Fragen ausweichen wollte.“
       
       ## Sicherheitsvorkehrungen waren verschärft
       
       Wegen der Coronaproteste hatte der Bundestag am Mittwoch seine
       Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Dürfen Abgeordnete sonst sechs Gäste
       auf eigene Verantwortung mit ins Parlament nehmen, wurden an diesem Tag
       alle Besucher angemeldet – und waren so klar den sie einladenden
       Abgeordneten zuzuordnen. Laut Sicherheitsbericht gab es bei den vier
       Provokateuren nur bei einer Person Einträge in der Datei der
       Bundestagspolizei. Diese habe beim Betreten eine polizeiliche Ansprache
       erhalten und sei auf die Einhaltung der Hausordnung hingewiesen worden.
       
       Wirtschaftsminister Altmaier plane keine Strafanzeige, hieß es aus seinem
       Ministerium. Der CDU-Politiker äußerte sich aber „bedrückt“, dass
       Abgeordnete bedrängt wurden. Er selbst hatte auf Bedrängen von Rebecca
       Sommer seine Zustimmung zum Infektionsschutzgesetz geäußert, weil seine
       Wähler dies so wollten. Darauf hatte die Aktivistin ihn als „völlig
       abgehoben“ beschimpft.
       
       Sommer war bereits bei Veranstaltungen der AfD und Werteunion aufgefallen
       und wandelte sich von einer Flüchtlingshelferin zu einer
       Rechtsaußen-Vertreterin. Der Verschwörungsideologe Thorsten Schulte hatte
       bereits im Vorfeld auf seinem Telegram-Kanal angekündigt, am Mittwoch im
       Bundestag zu sein, um sich dort gegen die „Merkel-Speichellecker“
       einzusetzen. Er und andere seien „ordnungsgemäß angemeldet“.
       
       ## Auch Bundestagsbüros aufgesucht
       
       Die Bundestagspolizei geht weiter zudem Hinweisen nach, wonach
       Corona-Verharmloser am Mittwoch auch Bundestagsbüros aufgesucht haben
       sollen. Laut Sicherheitsbericht seien am Mittag zwei Personen mit laufender
       Kamera unangemeldet in einem Bundestagsbüro aufgetaucht und hatten dort
       eine Petition abgeben wollen. Sie sollen sich als Mitarbeiter einer anderen
       Fraktion ausgegeben haben.
       
       Der AfD-Abgeordnete Johannes Huber hatte am gleichen Tag ein Video
       veröffentlicht, in dem er sich von einer anderen Person filmen ließ, wie er
       die Büros der SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach und Rolf Mützenich sowie des
       CDU-Fraktionschefs Ralph Brinkhaus aufsuchte und versuchte „Petitionen“ von
       Gegnern der Corona-Maßnahmen zu übergeben. In dem Video kritisiert auch
       Huber einige der Politiker als „unbelehrbar“.
       
       Inzwischen hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in einem
       Brief an alle Abgeordneten gewandt. Er spricht darin von „sehr ernsten
       Vorfällen“, die bei Abgeordneten und Mitarbeiter:innen „vielfältige
       Befürchtungen und Ängste“ ausgelöst hätten. „Das dürfen wir im deutschen
       Bundestag nicht zulassen“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt.
       Er habe daher die Verwaltung gebeten, „alle rechtlichen Möglichkeiten zu
       prüfen, gegen die Täter und diejenigen vorzugehen, die ihnen Zugang zu den
       Liegenschaften des Bundestages verschafft haben“, so Schäuble weiter.
       Darüber hinaus lasse er prüfen, wie das Regelwerk des Bundestags ergänzt
       werden könne, um wirkungsvoller gegen Missbrauch wie am vergangenen
       Mittwoch vorzugehen. Ab neun Uhr wird der Bundestag an diesem Freitag über
       die Vorfälle debattieren.
       
       19 Nov 2020
       
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