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       # taz.de -- Aktivist:in über Gewalt gegen Trans*: „Ganz oben steht Selbstbestimmung“
       
       > Am „Transgender Day of Remeberance“ wird den Opfern trans*feindlicher
       > Gewalt gedacht. Offiziell wurden im vergangenen Jahr 350 Morde erfasst.
       
   IMG Bild: Freunde und Wegbegleiter gedenken der ermordeten trans* Personen in Mexico
       
       Der 20. November ist der Transgender Day of Rememberance (TDoR). An diesem
       Tag wird der trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen Menschen
       gedacht, die in den letzten zwölf Monaten aufgrund von Transfeindlichkeit
       ermordet wurden. Gabriel_Nox Koenig, Pressesprecher:in vom
       [1][Bundesverband Trans e.V.] erklärt, warum dieser Tag so wichtig ist. 
       
       Gabriel_Nox Koenig, was passiert am Transgender Day of Rememberance (TDoR)? 
       
       Nox Koenig: Seit 2008 veröffentlicht die Menschenrechtsorganisation
       Transgender Europe (TGEU) jährlich das [2][„Trans Murder Monitoring“].
       Diese Statistik dokumentiert, wie viele Menschen aus transfeindlichen
       Motiven im vergangenen Jahr ermordet wurden. Bis heute ist der 20. November
       ein weltweiter Gedenktag, an dem wir der Personen gedenken, die aufgrund
       von Transfeindlichkeit ermordet wurden.
       
       Der Tag geht zurück auf eine Mahnwache, die die Aktivistin Gwendolyn Ann
       Smith 1999 organisiert hat. Ein Jahr zuvor wurde die Schwarze trans* Frau
       Rita Hesters getötet – das Motiv war Trans*feindlichkeit. Bis heute wurde
       der Mord nicht aufgeklärt.
       
       Diese Woche war die weltweite Trans*gender Awareness Week. Der TDoR ist der
       letzte Tag dieser Woche. 
       
       Die Trans*gender Awareness Week wird dem TDoR vorangestellt, um die
       Lebensumstände von trans* Personen sichtbar zu machen. Es geht darum, ein
       Bewusstsein für die Mehrheitsgesellschaft zu schaffen: Oft wird vergessen,
       dass hinter dem TDoR Leben stehen. Die Leben der Menschen, die ermordet
       wurden, und die Leben der Personen, die täglich in einer trans*feindlichen
       Welt überleben müssen. Mit der Trans*gender Awareness Week soll der Fokus
       auf denjenigen liegen, die leben – und deren Lebensbedingungen wir
       verbessern wollen. Es soll nicht nur Gewalt im Vordergrund stehen. Es soll
       darum gehen, dass in Zukunft weniger Menschen sterben.
       
       Im „Trans Murder Monitoring“ wurden im vergangenen Jahr 350 Morde
       registriert. 
       
       Die Dunkelziffer ist höher. Die Daten werden aus Medienberichten gewonnen:
       Nur wenn darüber berichtet wird, dass eine trans* Person ermordet
       aufgefunden wurde, kann der Mord statistisch erfasst werden. Hier gibt es
       zwei unschöne Nebeneffekte. Zum einen skandalisieren Medien häufig Morde an
       trans* Personen, um damit viele Klicks zu generieren. Durch diese Berichte
       können die Morde statistisch jedoch überhaupt erfasst werden. Zum anderen
       gibt es viele Medien, die nicht sensibel für Realitäten jenseits der
       Zwei-Geschlechter-Norm sind. Daher kommt es oft vor, dass Personen falsch
       benannt werden– mit Namen oder Geschlechtseintrag, die nicht mehr korrekt
       sind. In der Statistik werden diese Morde daher nicht erfasst.
       
       Welche Erkenntnisse gibt es über die Morde an trans* Personen? 
       
       38 Prozent der Morde wurden auf der Straße begangen, 22 Prozent in der
       eigenen Wohnung. 62 Prozent der Ermordeten waren Sexarbeiter:innen und 98
       Prozent der Ermordeten sind trans* Frauen. Die Hälfte der in Europa
       ermordeten trans* Personen sind migriert.
       
       In einer Erhebung der Europäischen Menschenrechtsagentur aus 2019 hat sich
       gezeigt, dass in 56 Prozent der Fälle von schwerer körperlicher Gewalt an
       trans* Personen die Opfer die Täter:innen nicht kannten. Es geschieht viel
       Gewalt im öffentlichen Raum, auch aus spontanen Begegnungen auf der Straße
       heraus. In diesem Fall greifen die Täter:innen oft an, weil sie zum
       Beispiel die sogenannten Genderperformance der Betroffenen innerhalb der
       Zwei-Geschlechter-Norm nicht eindeutig verorten konnten.
       
       Warum ist der Anteil von Sexarbeiter:innen, trans* Frauen und Menschen, die
       migriert sind, so hoch?
       
       Da kommen mehrere Marginalisierungen zusammen. Die ergeben häufig tödliche
       Kombinationen: Rassismus, Sexarbeiter:innenfeindlichkeit und
       Trans*feindlichkeit. Trans* Frauen, Indigene und People of Color erleben
       generell viel mehr Diskriminierungen als trans* Personen anderer
       gesellschaftlicher Positionierungen. Mehrfachmarginalisierung führt häufig
       schon früh im Leben zu prekären Bedingungen. In vielen Fällen arbeiten
       diese Menschen als Sexarbeiter:innen, weil sie in der Gesellschaft bereits
       vorher starke Ausschlüsse erfahren, also beispielsweise obdachlos sind und
       nirgendwo sonst Geld verdienen können. Morde, die auf gruppenbezogener
       Menschenfeindlichkeit basieren, treffen diese Personen besonders häufig.
       
       Wo sterben die meisten Menschen? 
       
       Die meisten Morde sind in Nord- und Südamerika erfasst. Die Morde an trans*
       Personen sind dort medial präsenter. Das ist aber nicht nur positiv zu
       betrachten – die Aufmerksamkeit findet häufig auf eine skandalisierende und
       stigmatisierende Art und Weise statt. Ob das daran liegt, dass in anderen
       Ländern trans*feindliche Morde nicht als solche erfasst werden oder es
       tatsächlich weniger gibt, ist unklar und geht nicht aus der Statistik
       hervor.
       
       Sie sind im Bundesverband Trans* organisiert und setzen sich für Rechte von
       trans* Personen ein. Was fordern Sie? 
       
       Da haben wir eine lange Liste. Ganz oben steht Selbstbestimmung bezüglich
       der medizinischen und rechtlichen Transition. Die Politik diskutiert
       gerade, ob das Transsexuellengesetz (TSG) ersetzt werden kann. Das TSG
       regelt, wie Vorname und Personenstand in Deutschland geändert werden
       können. Grüne und FDP haben im Sommer Gesetzesentwürfe veröffentlicht, die
       das TSG menschenrechtskonform ersetzen können.
       
       Die Umsetzung des TSG geht oft mit übergriffigen und demütigen Fragen
       einher, etwa nach Sexpraktiken. Diese werden in den zwei
       Sachverständigengutachten gestellt, die erbracht werden müssen und mit
       denen das eigene Geschlecht bewiesen werden soll. Viele der Fragen haben
       überhaupt nichts mit der eigenen Geschlechtsidentität zu tun. Wir setzen
       uns dafür ein, dass das TSG abgeschafft wird. Außerdem wollen wir darauf
       aufmerksam machen, dass die Diskriminierungslast von trans* Personen sehr
       hoch ist.
       
       Viele trans* Personen haben psychische Probleme. Häufig wurde Menschen
       attestiert, dass das am Trans*-Sein liegt. Studien belegen etwas anderes:
       Wenn trans* Personen sich in einem unterstützenden Umfeld aufhalten, sind
       die psychischen Belastungen genauso hoch wie die von cis-hetero Personen
       (Anmerkung der Redaktion: Menschen, die sich mit dem bei der Geburt
       zugeschriebenen Geschlecht identifizieren und heterosexuell sind). Es ist
       die Diskriminierung, die trans* Personen jeden Tag erleben und die zu
       psychischen Belastungen führen.
       
       Wir setzen uns für Gleichberechtigung und die Anerkennung von Personen ein,
       die durch die Zwei-Geschlechter-Norm Diskriminierung und Gewalt erfahren.
       
       Trans* Personen veröffentlichen Bücher über ihre Erlebnisse, es gibt
       Instagram-Seiten von und für trans* Personen. Tut sich da nicht gerade
       einiges in der Gesellschaft? 
       
       Die Entwicklung fließt in zwei Richtungen. Einerseits steigt die Akzeptanz
       von trans* Personen. Andererseits gibt es besonders in den Medien oft die
       Erzählung, dass Menschen, die transitioniert haben, ihre Transition bereuen
       oder das TSG nicht aufgeweicht werden soll, um Menschen vor undurchdachten
       Entscheidungen zu bewahren. Studien zeigen jedoch, dass nur 0,5 bis 1
       Prozent einzelne Transitionsentscheidungen bereut. Es muss noch mehr
       Akzeptanz geschaffen werden.
       
       Für jüngere Leute ist das Internet ein riesiger Fortschritt. Dort gibt es
       Communities von Trans* und nicht-binären Menschen. Viele ältere Menschen
       sind in dem Glauben aufgewachsen: „Mit mir stimmt etwas nicht“. Sie haben
       erst als Erwachsene Konzepte und Begriffe gelernt, mit denen sie
       beschreiben können, was sie fühlen.
       
       Gibt es Gedenkveranstaltungen am TDoR? 
       
       Durch die Coronapandemie gibt es in diesem Jahr nur wenige
       Gedenkveranstaltungen. Viele Organisationen haben stattdessen
       Online-Workshops organisiert oder streamen Lesungen.Der 20. November ist
       ein Totengedenktag. Das ist kein leichter Tag. Deshalb sind Veranstaltungen
       wichtig, gerade auch in Coronazeiten. Sie geben den Menschen das Gefühl,
       dass sie nicht allein sind.
       
       20 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundesverband-trans.de/
   DIR [2] https://transrespect.org/en/tmm-update-tdor-2020/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christina Gutsmiedl
       
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