URI: 
       # taz.de -- Kriegsführer in Äthiopien: Einst Genossen, heute Erzfeinde
       
       > Äthiopiens Regierungschef Abiy führt Krieg gegen die Region Tigray. Mit
       > dessen Führer Debretsion verbindet ihn eine lange, wechselvolle
       > Geschichte.
       
   IMG Bild: Tigray-Führer Debretsion Gebremichael (l.) und Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed (r.)
       
       Nairobi taz | Sie sind ehemalige Rebellengenossen, und [1][jetzt sind sie
       Erzfeinde]. Auf der einen Seite der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed,
       auf der anderen Debretsion Gebremichael, Führer der
       Tigray-Volksbefreiungsfront (TPLF), die Regierungspartei in der Region
       Tigray. Die beiden dramatisch verzankten Männer haben vieles gemeinsam.
       
       Der 70-jährige Debretsion, geboren in Shire in Tigray, schloss sich bereits
       in den 1970er Jahren als Student der TPLF an, damals eine Rebellenbewegung
       gegen die marxistisch-leninistische Regierung von Diktator Mengistu Haile
       Mariam. Als Technikfreak spielte er eine wichtige Rolle in der Entwicklung
       von Apparaten, um die Kommunikation des Feindes abzuhören und dessen
       Radiosignale zu unterbrechen.
       
       Der 44-jährige Abiy griff 1991 gegen dieselbe Diktatur zu den Waffen – bei
       der Demokratische Partei der Oromo (ODP) im Süden Äthiopiens. Die stellte
       aber nur etwa 200 Kämpfer in der Rebellenkoalition EPRDF (Revolutionäre
       Demokratische Front der Äthiopischen Völker) gegen Mengistu, von deren
       100.000 Kämpfern ungefähr 90.000 aus Tigray stammten.
       
       Als Mengistu 1991 aus Äthiopien floh und die EPRDF die Macht übernahm,
       wurde die TPLF die dominierende Partei in Äthiopiens Politik, Wirtschaft
       und Armee. Abiy ging zum Militär, wo viele seiner Kameraden aus Tigray
       kamen. Debretsion entwickelte Äthiopiens Telekommunikationsinfrastruktur
       und wurde im Jahr 2012 Kommunikationsminister. Abiy wurde nach seiner
       Karriere in der Armee im Jahr 2015 Minister für Wissenschaft und
       Technologie.
       
       Drei Jahre später kandidierten Abiy und Debretsion gegeneinander innerhalb
       der EPRDF für die Position des Premierministers. Der TPLF-Leiter verlor.
       Abiy kam an die Macht.
       
       ## „Du bist zu unreif“
       
       Gegenüber der Financial Times sagte Debretsion, dass er damals Abiy gesagt
       habe: „Du bist zu unreif. Du bist nicht der richtige Kandidat.“ Trotzdem
       schienen die beiden Rivalen freundlich miteinander umzugehen. Debretsion
       unterstützte die Initiative von Abiy, mit Eritrea Frieden zu schließen.
       
       Nach dem blutigen Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea (1998–2000)
       mit 70.000 Toten war zwar ein Friedensvertrag unterschrieben worden, aber
       wirklichen Frieden gab es nicht. Tigray grenzt an Eritrea und litt am
       schlimmsten unter dem Krieg. Debretsion hoffte nun, dass die geschlossene
       Grenze zu Eritrea sich öffnen würde, mit positiven wirtschaftlichen Folgen
       für Tigray. Das passierte aber nicht, die Grenze war nur kurz offen.
       
       Der Bruch zwischen Abiy und Debretsion kam, als der Premierminister 2019
       die EPRDF auflöste, die sich 1991 aus einem Rebellenbündnis in eine
       Regierungskoalition regional und ethnisch basierter Parteien verwandelt
       hatte und ganz Äthiopien fest im Griff hatte. Abiy gründete an Stelle der
       EPRDF die Wohlstandspartei (PP), eine nationale Partei, die eine Einheit
       schmieden soll aus den rund 80 verschiedenen Ethnien im Land. Die TPLF
       schloss sich der PP nicht an, und damit war der Bruch vollzogen.
       
       ## Tigrayer fühlen sich marginalisiert
       
       Debretsion ist ein stolzer Tigrayer und hat einmal gesagt, dass seine
       Region der „Mutterleib“ der äthiopischen Nation sei. Wie viele andere
       Tigrayer findet er, dass seine Ethnie marginalisiert ist, seit Abiy
       Premierminister ist. Dazu glaubt er, dass eine Föderation eine bessere
       Struktur ist, um Äthiopien zu regieren.
       
       Während der EPRDF-Regierung wurde die bewaffnete Opposition im Land mit
       harter Hand unterdrückt, vor allem in der Somali-Region im Osten des
       Landes. Seit Abiy die Zügel ein wenig locker ließ, sind im ganzen Land
       gewaltsame Konflikte aufgeflammt. Es geht um regionale Macht, politischen
       Einfluss und wirtschaftliche Pfründen.
       
       TPLF-Chef Debretsion verließ die Hauptstadt Addis Abeba und zog sich zurück
       nach Tigray, wo er auch Vizepäsident der Regionalregierung ist. Er hat dort
       den Ruf eines Reformers, weil er auch neue politische Parteien zuließ, als
       Tigray im September gegen den Willen der Zentralregierung Wahlen abhielt,
       die die TPLF gewann.
       
       Debretsion musste Abiy gut genug kennen, um zu wissen, dass er mit dieser
       Herausforderung von Abyis Autorität mit dem Feuer spielte. Beide werfen
       sich jetzt gegenseitig vor, den Krieg angefangen zu haben. Und sicher ist,
       dass die beiden unversöhnlichen Haudegen nicht schnell Frieden schließen
       werden. [2][Beide glauben, wie schon oft in der äthiopischen Geschichte,
       dass nur Waffen Konflikte lösen].
       
       23 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krieg-in-Aethiopien/!5727155
   DIR [2] /Zuspitzung-des-Konflikts-in-Aethiopien/!5727069
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
       ## TAGS
       
   DIR Äthiopien
   DIR Tigray
   DIR Abiy Ahmed
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Krieg in Äthiopien: Afrika will vermitteln
       
       Eine AU-Troika soll in Äthiopien Gespräche zur Lösung des Tigray-Konflikts
       führen. Tigray weist äthiopisches Ultimatum zurück.
       
   DIR Zuspitzung des Konflikts in Äthiopien: Krieg gegen das eigene Volk
       
       Das Auswärtige Amt stellt den Konflikt in Äthiopien vor allem als
       humanitäres Problem dar. Das verhöhnt die Menschen im Kriegsgebiet.
       
   DIR Krieg in Äthiopien: Vorrücken auf Tigrays Hauptstadt
       
       Die Armee der äthiopischen Zentralregierung nimmt Gebiete ein, Tausende
       fliehen. In der Regionalhauptstadt Mekelle nehmen Versorgungsengpässe zu.
       
   DIR Bürgerkrieg in Äthiopien: Ein unausweichlicher Konflikt
       
       Wer sich darüber wundert, dass Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed in der
       Provinz Tigray so unfriedlich agiert, hat Äthiopien nicht verstanden.
       
   DIR Krieg in Äthiopien: Ein Massaker, viele Fragen
       
       Hunderte Zivilisten sollen bei Äthiopiens Offensive gegen die Region Tigray
       getötet worden sein. Wer hinter den Angriffen steckt, ist bislang unklar.