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       # taz.de -- Pro und Contra Gottesdienste in Pandemie: Lockdown für alle – außer Gott?
       
       > Die Coronamaßnahmen werden strenger. Doch Gottesdienste dürfen weiter
       > stattfinden. Ein Für und Wider zu Andachten im Lockdown.
       
   IMG Bild: Alles dicht, aber Gottesdienste finden weiter statt, auch an Weihnachten. Ist das richtig?
       
       ## Pro
       
       Weihnachten ist das Fest der Liebe – und der Kirchen. Zu kaum einer anderen
       Jahreszeit erinnern sich die Menschen hierzulande an die etlichen und
       durchaus auch christlichen Werte, die ihnen unser Sozialstaat vermittelt.
       Solidarität, Nächstenliebe, Achtsamkeit, sozialer Zusammenhalt. Die
       Kirchen sind das bauliche Symbol dafür. Dank [1][Corona] befinden wir uns
       seit Monaten in einem Dauer-Ausnahmezustand. Mal waren die Einschränkungen
       unseres Alltags extrem hart, dann wieder lockerer – und nun droht uns der
       nächste scharfe Lockdown.
       
       Der selbstentlarvende Aufschrei, doch bitte jetzt auch die Gotteshäuser zu
       schließen, war sofort da. Warum auch nicht, wenn doch auch Kinos, Kneipen
       und Theater seit Wochen keine Besucher:innen mehr einlassen dürfen. Doch
       in dieser aus der Spur geratenen, verrückten Zeit wäre es das falsche
       Zeichen, [2][ausgerechnet die Pforten der Gotteshäuser geschlossen zu
       halten] und Freizeitvergnügen dagegen auszuspielen.
       
       Religionsfreiheit ist ein Grundrecht, das in unserer Verfassung verankert
       ist. Das gilt für alle Religionsgemeinschaften. Es ist ein hohes Gut und
       eine Errungenschaft, die nicht so einfach über Bord gekippt werden kann.
       Kritiker:innen werden sagen, dass Spiritualität ja auch im stillen
       Kämmerlein oder online gelebt werden kann. Doch so einfach ist es nicht.
       Religionsausübung bedeutet auch immer ein Zusammenkommen, nicht nur
       virtuell. Seit Monaten finden etliche kirchliche Initiativen schlicht nicht
       statt. Der Seniorentreff etwa, der Kreis der Eine-Welt-Aktivist:innen, die
       sich für Hilfsprojekte im globalen Süden engagieren.
       
       Verzichtbar? Nicht für Menschen, für die diese Treffpunkte eine
       Regelmäßigkeit, einen Halt im Alltag bedeuten. Corona macht die
       Verletzlichkeit unserer Gesellschaft sichtbar. Die Gläubigen brauchen die
       Kirchen und die Kirchen brauchen die offene Tür. Das schließt selbstredend
       nicht aus, dass es Hygienekonzepte geben muss, Staffelgottesdienste,
       Abstand und Maskenpflicht bei der Christmette. Wenn die Kirchen ihren
       Auftrag ernst nehmen, setzen sie ihre Anti-Corona-Vorschläge um. Darauf
       gilt es kritisch zu schauen.
       
       An Weihnachten geht es auch um Rituale. Die kann mensch gut finden oder
       nicht. Aber sie werden gebraucht, dringender denn je. Auch dafür sind die
       Gotteshäuser da.
       
       [3][ Tanja Tricarico ] 
       
       Die Autorin ist zahlendes Mitglied der katholischen Kirche.
       
       ## Contra
       
       Wenn [4][der harte Lockdown] jetzt in Gottes Namen nötig ist, woran kaum
       noch einer zweifeln kann, dann bitte schön für alle, natürlich auch für
       Gläubige aller Himmelsrichtungen. Die Religionsausübung ist nicht an einen
       Ort gebunden. Beten kann man auch zu Hause.
       
       Es ist bedauerlich, dass der gerade viel beklatschte Glaube der Kanzlerin
       an die Kraft der Aufklärung an den Kirchentüren endet, denn die sollen nach
       dem Willen von Angela Merkel auch im harten Lockdown ausdrücklich offen
       bleiben.
       
       Wer in einer gefährlichen Pandemie an die Vernunft und
       Verzichtsbereitschaft aller Menschen im Land appelliert, sollte nicht
       ausgerechnet bei seinen eigenen Glaubensgeschwistern Ausnahmen machen.
       Verbieten mag verfassungsrechtlich schwierig sein, aber die CDU könnte die
       Kirchen ja wenigstens zum Zumachen auffordern. Tut sie es nicht, geht
       Glaubwürdigkeit verloren – und das Verständnis der Ungläubigen für die
       Maßnahmen.
       
       Wenn alle nur noch aus triftigen Gründen aus dem Haus gehen dürfen, sollten
       auch Gotteshäuser schließen. Die Argumente für das Sonderrecht der
       Religionsgemeinschaften sind alles andere als triftig. Dass die meisten
       Kirchen auf die Hygienevorschriften achten, mag sein, ist aber ein
       schwaches Argument, ja fast eine Verhöhnung aller anderen Veranstalter in
       Kultur, Sport und Sozialwesen, die ebenfalls vorbildliche Abstandsregeln
       ausgetüftelt haben, aber trotzdem geschlossen bleiben müssen und von der
       Pleite bedroht sind. Im Gegensatz zu den Kirchen, die sich auf weiter
       fließende Kirchensteuern verlassen können.
       
       Sicher ist in großen Kirchen viel Platz für große Abstände, doch das gilt
       auch für die leeren Konzerthallen und Fußballstadien. Dass eh nur noch
       wenige Menschen in Gotteshäuser gehen, mag auf die meisten christlichen
       Kirchen zutreffen, aber nicht an Weihnachten. Und viele Moscheen, die
       religionsgerechterweise natürlich auch noch öffnen dürfen, sind auch an
       normalen Tagen gut besucht.
       
       Natürlich ist es traurig, wenn Gläubige jetzt keinen seelischen Beistand in
       der Gemeinschaft finden können. Aber [5][seelischen Beistand vermissen]
       auch jene, die ihn normalerweise in Jugendklubs, Sportvereinen oder bei
       Familientreffen finden. Denen sagt die Politik auch: Geht gerade leider
       nicht. Und wenn es gerecht zugeht, sehen das auch die meisten ein. Gott sei
       Dank.
       
       [6][ Lukas Wallraff ] 
       
       Der Autor ist Mitglied der evangelischen Kirche. Noch.
       
       10 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR [5] /Gutachten-vom-Sozialverband-zu-Einsamkeit/!5730500
   DIR [6] /Lukas-Wallraff/!a116/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
   DIR Lukas Wallraff
       
       ## TAGS
       
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