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       # taz.de -- Die besten Kochbücher des Jahres: Oft kopiert, nie erreicht
       
       > Ruth Rogers und Rose Gray haben das River Café in London zur Legende
       > gekocht. Nun gibt es ihre Rezepte endlich in einer deutschen
       > Gesamtausgabe.
       
   IMG Bild: Alles im Griff: Ruth Rogers und Rose Gray in ihrer Küche, 2005
       
       Was ist Pappa al pomodoro? Ein typisches Gericht der toskanischen Küche,
       die [1][das Beste aus der Region vereint]: gutes Olivenöl, saftig-süße
       San-Marzano-Tomaten, Basilikum und Brot.
       
       Man kann das Gericht aber auch nur für zerstampfte Tomaten mit altbackenem
       Brot halten. Und sich wundern, dass ein Lokal so etwas auf der Karte stehen
       hat und dafür auch noch einiges an Geld verlangt. Ungefähr so muss es Ende
       der achtziger Jahre gewesen sein, als ein kleines Restaurant an der Themse,
       das „River Café“, den Menschen in London alles, was sie bisher über die
       italienische Küche zu wissen glaubten, streitig machte.
       
       Mehr als dreißig Jahre später ist das River Café weit über die Grenzen
       Großbritanniens bekannt. Es zählt zu der kleinen Reihe von Lokalen aus der
       Kategorie „Unikum“, die, oft kopiert und doch nie erreicht,
       Gastronomiegeschichte geschrieben haben. Nicht allein wegen des Essens,
       sondern auch wegen des Spiritus Loci, den der Ort ausstrahlt und der von
       zwei Autodidaktinnen geprägt ist: Rose Gray und Ruth Rogers.
       
       Begonnen hatte alles 1987 mit einer Kantine. In einem alten Lagerhaus hatte
       sich ein großes Architekturbüro eingerichtet, und die Mitarbeiter sollten
       versorgt werden. Aber als Ruth Rogers und Rose Gray das River Café
       aufsperrten, hatten sie weit größere Pläne.
       
       ## Mehr als Lasagne und Tiramisu
       
       Die Briten hatten bisher nur ferne Bekanntschaft mit der Küche anderer
       Länder jenseits von Frankreich und Indien gemacht. Das beliebteste
       Restaurantdinner bestand aus Shrimp-Cocktail, flambiertem „Steak Diane“ –
       [2][die Princess of Wales] war auf dem Höhepunkt ihrer Popularität – und
       Schwarzwälder Torte zum Nachtisch. Italienische Restaurants servierten
       Spaghetti bolognese, Lasagne und Tiramisu.
       
       Die beiden Köchinnen waren sich einig, sie wollten solche Klischees nicht
       reproduzieren. Sie hatten lange in Italien gelebt, Ruth Rogers mit ihrem
       aus Italien stammenden Mann Richard, der das Centre Pompidou gebaut hatte
       und nun eben das Architekturbüro in London gegründet hatte. Nun wollten sie
       möglichst originalgetreu nach London bringen, was sie dort kennengelernt
       hatten: eine einfache Küche, die mit wenigen, aber nur den besten Zutaten
       arbeitet und daher vor allem verwendet, was gerade Saison hat.
       
       Sie mussten nicht lange Überzeugungsarbeit leisten. Die anfängliche Skepsis
       über Gerichte wie die Pappa al pomodoro verflog rasch, vor allem nach einer
       begeisterten Kritik in der Times über einen Nachtisch namens „Chocolate
       Nemesis“, der noch heute ein Standard auf der Karte ist. 1997 folgte ein
       Michelin-Stern und das River Café wurde erst zum Stammlokal der
       Künstlerszene, schließlich zu einer Institution in der Stadt.
       
       Auch junge Köche zog es in das Restaurant. Viele der Rachs und Mälzers
       Großbritanniens, also bekannte TV-Köche wie Hugh Fearnley-Whittingstall,
       Ben O’Donoghue oder April Bloomfield, machten dort Station. Allen
       imponierte die Radikalität, mit der Rose Gray und Ruth Rogers von der
       Frische und Qualität der Zutaten aus dachten. Meist schrieben sie die
       Speisekarte erst um 16 Uhr. Der Küchenbrigade blieben dann noch zwei
       Stunden Zeit, bis das Restaurant aufsperrte.
       
       ## Jamie Oliver hat hier gelernt
       
       Auch ein gewisser Jamie Oliver lernte im River Cafe. Als Rose Gray 2010 mit
       71 Jahren starb, erinnerte er sich: „Roses Kochstil war alles andere als
       kontrolliert. Bei ihr schepperte es, und sie liebte es, Zutaten
       auseinanderzurupfen. Sie hackte, schnipselte und zerquetschte sie nach
       Herzenslust.“ Er habe im River Café das Kochen noch einmal neu gelernt.
       „Die beiden Köchinnen nahmen keine Rücksicht auf unsere bisherige
       Ausbildung.“
       
       1996 erschien das erste Kochbuch von Rose Gray und Ruth Rogers. Fünf
       weitere folgten, alle wurden Klassiker, aber nur wenige wurden ins Deutsche
       übersetzt. Das hat in diesem Jahr der Schweizer Echtzeit-Verlag nachgeholt.
       Seine Gesamtausgabe mit über 900 Rezepten ist ein Grundlagenwerk vor allem
       der norditalienischen Küche; auf Salsa, Pesto, Pasta, Gnocchi, Risotto,
       Polenta folgt ein Konvolut von Fleisch- und Fischrezepten.
       
       An der ein oder anderen Stelle schleichen sich Gerichte ein, die einem eher
       englisch vorkommen, wie Rinderfilet mit Meerrettichsauce, aber so von der
       italienischen Kochphilosophie getragen sind, dass es eben doch passt. Und
       übrigens: Für die Pappa al pomodoro gibt es nicht nur ein, sondern gleich
       ein halbes Dutzend Rezepte.
       
       „River Café – Alle Rezepte. Die italienische Küche von Rose Gray und Ruth
       Rogers“. Echtzeit, 784 Seiten, 62 Euro
       
       * * * 
       
       ## Drei weitere Bücher, die 2020 viel Genuss bereitet haben
       
       Wild mit Wild: In sechster Generation führt Viktoria Fuchs, Köchin und
       Jägerin, gemeinsam mit ihrer Schwester Kristin das Restaurant Spielweg im
       Schwarzwald – das dank der Wildküche von Vater Karl-Josef weit über Baden
       hinaus bekannt ist. Große Fußstapfen also, in die die zwei Töchter getreten
       sind, und was macht Viktoria? Sie tanzt darin. „Wildschwein Dim Sum“,
       „Rehtello Tonnato“ oder Maultaschen von der Gams sind nur drei der Rezepte
       aus ihrem ersten Kochbuch, die zeigen, wie unkonventionell Viktoria Fuchs
       sich dem Thema Wild nähert. /// Viktoria Fuchs: Fuchsteufelswild. Südwest,
       240 Seiten, 25 Euro
       
       Afrika, mon amour: Von Marokko über Madagaskar bis nach Namibia und
       Südafrika – ein Jahr lang reiste die Fotografin Maria Schiffer, um die
       alltägliche Küche der Menschen in zehn Ländern Afrikas zu dokumentieren.
       Herausgekommen ist ein bildgewaltiges Buch mit Kurzgeschichten, Porträts
       und knapp 50 Rezepten. Sie erzählen von überwältigender Gastfreundschaft,
       einer vielfältigen Esskultur und einem Kontinent, auf dem Frauen und Männer
       oft gemeinsam kochen und Küche und Esstisch die erste gesellschaftliche
       Feuerstelle sind. /// Maria Schiffer: Eating with Africa. DK, 240 Seiten,
       29,95 Euro
       
       Wein statt Tränen: „Der Garten von Schloss Schönbrunn ist nicht mehr unser
       Ideal“, sagt Fred Loimer. Er ist einer von zwölf Winzerinnen und Winzern,
       die Romana Echensperger in ihrem hochinformativen Buch über biodynamischen
       Weinbau porträtiert: leidenschaftliche Menschen, die sich von den
       Hilfsmitteln der Agrarindustrie frei gemacht haben und Wildwuchs zulassen.
       Sie produzieren exzellente Weine, und ihre Sorge gilt der Erde, auf der die
       Reben wachsen, mindestens so sehr wie dem Wein selbst. /// Romana
       Echensperger: Die Freiheit, den richtigen Wein zu machen. Westend, 288
       Seiten, 32 Euro
       
       7 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Zu-Besuch-bei-der-Fattoria-La-Vialla/!5531938
   DIR [2] /Tod-von-Prinzessin-Diana-vor-20-Jahren/!5436721
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörn Kabisch
       
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