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       # taz.de -- Neuer Direktor der Kestner-Gesellschaft: Ein Internationalist an der Leine
       
       > Adam Budak ist neuer Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover. Seine
       > vorherige Arbeit in Prag hatte er aus politischen Gründen aufgeben
       > müssen.
       
   IMG Bild: Kommt vom großen Museum zum Kunstverein: Adam Budak
       
       Hannover taz | Traurig, „natürlich traurig“ kommentiert Adam Budak die
       unglücklichen Begleitumstände seines Dienstantritts als neuer Direktor der
       Kestner-Gesellschaft Hannover, genau zum 1. November. Und da der 1966 im
       polnischen Krakau geborene Kunsthistoriker und Theaterwissenschaftler
       direkt von seiner alten Wirkungsstätte, dem Nationalmuseum in Prag, nach
       Niedersachsen wechselte, erwartete ihn nicht nur ein geschlossenes Haus –
       sondern er selbst musste auch erst einmal in Quarantäne.
       
       Sein Handy läuft noch unter tschechischer Nummer, die ersten Tage im neuen
       Büro verbrachte er dann damit, sich seinen zukünftigen Kolleg:innen anderer
       Kulturinstitutionen wohl nicht nur in Hannover zumindest per Telefon
       vorzustellen. Und ja: Er teilt ihre Enttäuschung, dass all ihre Angebote
       als verzichtbare „Freizeit“ aktuell dem bundesweiten Infektionsschutz zum
       Opfer fallen, woran auch ein Brandbrief niedersächsischer Kulturschaffender
       an den Ministerpräsidenten nichts zu ändern vermochte. „Aber“, so Budak,
       „ich will positiv denken.“
       
       Das muss er auch, zumindest was die seit langen Jahren stagnierenden
       Landeszuschüsse an sein Hannoveraner Haus anbelangt. Seiner Vorgängerin
       Christina Végh war es gelungen, für 2019 einmalig um 100.000 Euro erhöhte
       Landesmittel zu akquirieren, ansonsten wäre wohl ihre ambitionierte
       Ausstellung zur legendären Kunstschule California Institute of the Arts
       (Calarts) mit vielen aus den USA herbeigeschafften Exponaten zum Scheitern
       verurteilt gewesen – das wollte natürlich niemand verantworten.
       
       Végh, die im Februar 2020 die Leitung der Kunsthalle Bielefeld übernahm,
       zog noch während ihrer Zeit in der Kestner-Gesellschaft die Reißleine,
       reduzierte das Programm von jährlich vier, in der Regel
       Doppelausstellungen, auf nur noch drei. Die für 2021 durchstrukturierte
       Planung muss Budak nun umsetzen, erst 2022 kann er mit vollständig eigenen
       Ausstellungen beginnen.
       
       Sein genereller Optimismus wird ihn nun über mögliche, auch finanzielle
       Durststrecken hinweg tragen müssen: „Unsere Energie und unsere Leidenschaft
       sind ja kostenlos“, meint er. Und sowieso müsse sich ein Haus wie die
       Kestner-Gesellschaft nicht nur über Ausstellungen definieren. Es gebe auch
       andere Formate, die nicht so teuer, aber gleichermaßen wichtig seien. Da
       will Budak seine institutionskritischen Reflexionen ansetzen, als
       „Gastgeber“ die Potenziale des Hauses heben, es lebendig machen.
       
       Die zentrale, non-monetäre Ressource für seine Arbeit sieht Adam Budak
       ohnehin im gegenseitigen Vertrauen, der Zusammenarbeit, einer „Dynamik von
       Geben und Bekommen“, wie er es ausdrückt.
       
       Diesem Thema hatte er 2016, zum 220-jährigen Jubiläum der Nationalgalerie
       in Prag, eine programmatische Sonderausstellung in sechs Häusern des
       weitverzweigten Museumsbetriebes gewidmet. „Großzügigkeit – die Kunst zu
       beschenken“, so der Titel, versammelte Werke von Ai Weiwei bis Andy Warhol,
       alles globale Großkünstler. Wird er dieses Umfeld jetzt nicht vermissen?
       Jenes international gewichtige Museum mit eigenen Sammlungen alter und
       neuer Kunst, Kunsthandwerk, Architektur, Asiatika?
       
       Seine Vorgängerin wählte ja den naheliegenden Weg von einem Kunstverein zu
       einem nicht ganz unbedeutenden Museum, er kommt, umgekehrt, nun von einem
       großen Haus an eine kleine Einrichtung?
       
       Nein, meint Budak, die Nationalgalerie, an der er ab 2014 gearbeitet hat,
       sei eine bürokratische Maschine, ein postsowjetischer Albtraum bar
       jeglicher Systemtransformation. Er hatte dort als künstlerischer Leiter und
       Chefkurator, direkt dem Generaldirektor Jiří Fajt unterstellt, Freiheiten
       genossen, dessen Schwerpunkt mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunst
       Mitteleuropas ergänzte sich mit Budaks, der Moderne. Seine Rolle war die
       des „Dramaturgs“ für alle Sammlungen unter der „Intendanz“ Fajts gewesen.
       Zusammen hätten sie einiges bewegen können, meint Budak.
       
       Der Kinský-Palast etwa wurde für Sonderausstellungen freigeräumt, aber auch
       die „enzyklopädische Gemeinsamkeit“, eine übergreifende Identität aller
       Standorte geschärft. Als Fajt im Mai 2019 abberufen wurde – offiziell wegen
       finanzieller Misswirtschaft und Korruption, inoffiziell wegen seiner
       kritischen Haltung gegenüber Präsident Milos Zeman – empfand das auch Budak
       als deutliches, politisches Signal zu gehen. Da kam das Angebot der
       achtköpfigen Findungskommission für den Direktorenposten der
       Kestner-Gesellschaft Hannover wohl gerade zur rechten Zeit.
       
       Professionelle Verbindungen zu seiner Heimat Polen pflegt Adam Budak seit
       2003 nicht mehr, die politische Situation empfindet er dort als ähnlich
       restriktiv wie in Tschechien, sie würde internationale Ausrichtungen
       verhindern. Zu Budaks globalen Stationen zählen nicht nur Studien in
       England, sondern auch Tätigkeiten am Kunsthaus Graz, diverse Biennalen in
       Venedig, die 7. Manifesta, 2007 in Amsterdam, und das Hirschhorn-Museum in
       Washington. In Hannover freut er sich nun auf die Konzentration, das kleine
       Team, die Intensität der Arbeit. „Ich liebe Intensität“, setzt er nochmals
       nach.
       
       Bleibt ein einziger Wermutstropfen: Adam Budak schätzt auch die Mobilität,
       wie sein Lebenslauf ja unübersehbar zeigt. „Ich bin bisher nirgends lange
       geblieben“, benennt er es selbst. Vielleicht vermag Hannover, ihn eine
       Weile zu halten?
       
       8 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
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