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       # taz.de -- Trumps quälender Rückzug: Im Golfcart nach unten
       
       > 81 Millionen Stimmen für Biden hin oder her – für Trump waren auch rund
       > 74 Millionen. Und rund die Hälfte von ihnen glaubt, die Wahl sei
       > manipuliert worden.
       
   IMG Bild: Fast weggeweht: Trump Ballon
       
       Ob Donald Trump wohl schon heimlich ein paar Louis-Vuitton-Schrankkoffer
       gepackt hat? Für seine Verhältnisse ist er schließlich quasi
       zurückgetreten, ach was, im Staub davongekrochen, indem er die Einleitung
       der offiziellen Amtsübergabegespräche gestattete. Nach zweieinhalb Wochen
       voller Twittersalven über angebliche Wahlfälschung und Korruption war für
       einen Moment plötzlich alles friedlich-fromm. Trump flötete geradezu, er
       habe seinen Leuten „im besten Interesse unseres Landes“ empfohlen, dem
       Protokoll zu folgen und „zu tun, was getan werden muss“.
       
       Dass das schon viel früher hätte getan werden müssen – geschenkt. Dass der
       Sinneswandel nicht daran lag, dass Trump plötzlich ein kleines Lichtlein
       aufgegangen wäre, sondern mutmaßlich daran, dass ein Gericht nach dem
       anderen die Versuche seiner Anwält*innen lächerlich machte, mit flugs
       zusammengehäkelten Klageschriften noch ein paar Stimmen aufzuklauben –
       sei’s drum.
       
       Aber Trump ist nun mal kein Pausenclown, sondern ein Schulhoffiesling.
       Einer, der einem genau dann mit voller Wucht in die Magengrube boxt, wenn
       man gerade Luft holt. Und so dauerte die Erleichterung gerade einmal ein
       paar Stunden. Dann ging es umso doller weiter. Joe Biden dürfe das Weiße
       Haus nur dann als Präsident betreten, wenn er beweisen könne, dass seine
       „lächerlichen“ 80 Millionen Stimmen nicht gefälscht seien, ließ Trump
       seitdem unter anderem verlauten.
       
       „Na siehst du, Donald, es geht doch, du hast die Zahl der Stimmen
       wahrheitsgemäß benannt, das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt!“, möchte
       da die innere Kindergärtnerin rufen, die uns allen in den vergangenen vier
       Jahren gewachsen ist, während sie sich das Lachen bei der Vorstellung
       verkneift, dass sich der Präsident der Vereinigten Staatenquer über die
       Türschwelle des Oval Office legt. Einerseits.
       
       ## Ein Riesenbockmist
       
       Andererseits kann man gerade gar nicht so viel Whiskey trinken, wie es
       bräuchte, um nicht mehr daran zu denken, was das eigentlich alles für ein
       Riesenbockmist ist. 80 Millionen für Biden hin oder her – inzwischen sogar
       über 81 –, für Trump waren immerhin auch rund 74 Millionen. Und rund die
       Hälfte von ihnen glaubt laut einer Umfrage, die Wahl sei manipuliert
       worden.
       
       Meine persönliche Empirie sieht da noch viel düsterer aus. Mir ist in den
       vergangenen Wochen hier in den USA kein einziger Trump gewählt habender
       Mensch begegnet, der oder die NICHT daran glaubt. Demokraten und
       Demokratie, das ist für sie inzwischen synonym. Ein großes, zutiefst
       verachtetes Ganzes. Wie kann man diese Menschen noch erreichen?
       
       Das fragen sich gerade auch die Republikaner*innen, die allmählich
       merken: Wer mit Donald Trump im Golfcart nach oben fährt, der fährt auch
       mit ihm im Golfcart nach unten. Denn Trump steigert sich so sehr in sein
       Wer-nicht-für-mich-ist-ist-gegen-mich hinein, dass er seiner Partei auf dem
       Weg nach draußen auch noch das einzige kaputtzumachen droht, was ihr an
       Einfluss bleiben könnte: die Mehrheit im Senat. Um die zwei Sitze für
       Georgia gibt es Anfang Januar eine Stichwahl, und damit die Republikanische
       Partei die gewinnt, müssen mindestens alle ihrer dortigen Wähler*innen,
       die schon am 3. November abgestimmt haben, noch mal ran.
       
       ## Stimmen in der Klärgrube
       
       Da hilft es wirklich gar nicht, dass sich Trump, voller Schmerz und Wut
       angesichts der in Georgia nur ganz knapp verlorenen Wahl, ausgerechnet auf
       die dort regierenden Republikaner eingeschossen hat, die ihm diese Schmach
       nicht ersparten und sich weigerten, ein paar Tausend Demokratenstimmen in
       irgendeine Klärgrube zu kippen. Solchen Charakteren sei keine Wahl
       anzuvertrauen, giftet Trump seit Tagen. Man darf also gespannt sein, wie
       viele seiner Anhänger*innen am 5. Januar solchen Charakteren trotzdem ihre
       Stimme geben. Oder ob er damit gerade Biden den Wahlsieg mit bunten
       Zuckerstreuseln verziert.
       
       Mich fragt ja wieder keiner, ob ich Präsidentin werden will, deshalb packe
       ich jetzt auch meine Koffer und verlasse unter tosendem Protest (meines
       Magens, der nicht auf Grilled Cheese und Chicken Salad verzichten mag) das
       Land. Ob ich es jemals verstehen werde, wo es sich doch selbst immer
       weniger versteht? Wie auch, wird es doch von Leuten wie Ron DeSantis
       regiert, Gouverneur von Florida, der seit Neuestem Stadtverwaltungen per
       offizieller Verfügung daran hindert, Bußgelder für Verstöße gegen die
       örtliche Maskenpflicht einzutreiben. Am Dienstag dann wurde Florida der
       dritte US-Bundesstaat, in dem sich mehr als eine Million Menschen mit dem
       Coronavirus infiziert haben.
       
       So weit ist das alles gekommen. Und jetzt kommt was anderes. An dieser
       Stelle mache ich einen Knoten in den Roten Faden und sage: Thanks, Tschüss
       und Tschau! Es war mir eine Ehre. Bleiben Sie gesund.
       
       5 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johanna Roth
       
       ## TAGS
       
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