URI: 
       # taz.de -- Coronamaßnahmen im Einzelhandel: Schlangen, Hamster und Mausklicks
       
       > In der umsatzstärksten Zeit des Jahres verschärfen Bund und Länder die
       > Coronamaßnahmen im Einzelhandel. Onlinekonzerne profitieren davon.
       
   IMG Bild: Eine Schlange vor einem Laden auf dem Kurfürstendamm: Berlin, Anfang Mai 2020
       
       Normalerweise beginnt in diesen Tagen die für den Einzelhandel
       umsatzstärkste Zeit des Jahres. Rund 20 Prozent des Jahresumsatzes werden
       in dieser Zeit vor Weihnachten erwirtschaftet. Doch wegen der Pandemie sind
       2020 die Zeiten nicht normal. Haben die Geschäfte vor allem in den
       Innenstädten unter der Schließung von Restaurants, Cafés, Kinos und
       Kultureinrichtungen bereits im November gelitten, kommt es für sie im
       Dezember noch dicker.
       
       Angesichts der weiter hohen Corona-Infektionszahlen haben sich Kanzleramt
       und die Ministerpräsident*innen der Bundesländer am Mittwochabend
       [1][auf eine weitere Verschärfung der Maßnahmen beim Einzelhandel
       geeinigt]. Bei Ladenflächen mit bis zu 800 Quadratmetern soll je 10
       Quadratmeter ein Kunde zulässig sein, ab einer Verkaufsfläche von über 800
       Quadratmetern ist nur noch ein Kunde auf je 20 Quadratmeter erlaubt. Vorher
       galt für alle Geschäfte einheitlich ein Kunde pro 10 Quadratmeter
       Verkaufsfläche. Abweichungen von dieser verschärften Regelung können Länder
       nur dann zulassen, wenn die Landkreise eine Inzidenz von weniger als 50
       Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen haben.
       
       Die Kritik des Einzelhandels ließ am Donnerstag nicht lange auf sich
       warten. Es gebe „keinen sachlichen Grund, unterschiedliche Regelungen für
       Verkaufsflächen über und unter 800 Quadratmetern zu erlassen“, wetterte des
       Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth. Er moniert, die
       bisherigen Hygienekonzepte im Einzelhandel hätten sich „sowohl in
       kleinen wie auch in den größeren Räumlichkeiten von Geschäften,
       Supermärkten, Kaufhäusern und Einkaufszentren bewährt“. Dafür haben viele
       Geschäfte auch viel investiert. „Viele Innenstadthändler stehen vor der
       Insolvenz“, befürchtet der HDE-Chef. Ohne staatliche Unterstützung sei das
       für sie nicht mehr zu stemmen.
       
       Auch aus infektiologischer Sicht machen diese Maßnahmen seiner Ansicht nach
       wenig Sinn. Vielmehr berge diese Neuregelung das Risiko, dass sich vor den
       Läden nun lange Schlangen bildeten und die Infektionsgefahr steigt. Gerth
       warnt: Bei anstehenden Kund*innen könnte das allgemeine Gefühl aufkommen,
       die Waren seien knapp. Die Konsequenz wären Hamsterkäufe im
       Lebensmittelhandel wie schon beim ersten Lockdown im Frühjahr.
       
       ## Amazon dürfte profitieren
       
       Ohnehin fürchtet der Einzelhandel, bei den Konsument*innen an
       Attraktivität zu verlieren. Schon lange vor der Pandemie gab es den Trend
       hin zum Onlinehandel. Dieser Trend dürfte sich in den letzten Wochen und
       Monaten massiv beschleunigt haben. Schon in den ersten drei Wochen des
       Teillockdowns im November sind die Umsätze im Innenstadthandel laut
       Handelsverband um durchschnittlich 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr
       eingebrochen. Im Bekleidungshandel lag das Minus sogar bei 40 Prozent. Für
       Dezember geht der Verband davon aus, dass Umsätze in Höhe von 2 Milliarden
       Euro vom stationären Handel in den Onlinehandel verlagert werden. „Die
       Verbraucher werden auch in Coronazeiten zu Weihnachten Geschenke kaufen“,
       sagt Gerth. „Unter den Bedingungen des Teillockdowns erledigen sie ihre
       Einkäufe aber lieber online.“
       
       Vor allem US-Onlineriese Amazon dürfte von dieser Entwicklung massiv
       profitieren. Die Gewerkschaft Verdi geht davon aus, dass Amazon allein in
       Deutschland den Umsatz seit Beginn der Coronapandemie um rund 40 Prozent
       gesteigert hat. Das Vermögen vom Unternehmenseigner Jeff Bezos liegt nach
       Angaben des US-Magazins Forbes bei über 180 Milliarden US-Dollar.
       
       Verdi hat rund um den Einkaufstag Black Friday an sieben deutschen
       Versandzentren zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Denn Amazon weigert
       sich seit Jahren, Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels
       anzuerkennen.
       
       Dabei gebe es Alternativen zu Amazon. Zahlreiche stationäre Geschäfte
       haben ihren Onlineauftritt professionalisiert und bieten ihre Waren
       eigenständig im Versandhandel an. Mehr Umsätze auf diesem Wege würde
       durchaus dazu beitragen, ihre stationären Geschäfte zu bewahren.
       
       Auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt der Aufruf von
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in der Bild. Während Kanzlerin
       Merkel die Bürger am Mittwoch erneut explizit dazu aufforderte, möglichst
       zu Hause zu bleiben, plädierte Altmaier dafür, mit den Öffnungszeiten beim
       Einzelhandel möglichst „großzügig und flexibel umzugehen“ und für mehr
       verkaufsoffene Sonntage. Den Erhalt des stationären Einzelhandels
       bezeichnete er als „nationale, ja auch eine patriotische Aufgabe“. Was er
       aber meint, ist die Zeit nach der Pandemie.
       
       26 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bundestagsdebatte-ueber-Coronamassnahmen/!5731681
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lee
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Einzelhandel
   DIR Umsatz
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Friedrichstraße
   DIR Verdi
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Wir retten die Welt
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Freiberufler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Onlineshopping in Coronakrise: Zeit statt Zeugs
       
       Im Shutdown scheint das Onlineshopping nahezu alternativlos. Doch die
       Coronakrise ist eine Chance zum Umdenken, die so schnell nicht wiederkommt.
       
   DIR Verkaufsoffener Sonntag in Berlin: Vorglühen in der Friedrichstraße
       
       Der Samstag und der verkaufsoffene Sonntag unterscheiden sich kaum von den
       Werktagen: Nur an der Friedrichstraße wird es voller.
       
   DIR Senat erlaubt Geschäftsöffnungen: Sonntags shoppen mit Risiko
       
       Die Sonntage am 6. und 20. Dezember sind in Berlin verkaufsoffen, in
       Brandenburg aber nicht. Verdi fürchtet eine erhöhte Ansteckungsgefahr.
       
   DIR Coronabeschlüsse für Weihnachten: Preis der Lockerungen
       
       Bund und Länder geben mit den Ausnahmeregeln zu Weihnachten ihre
       Eindämmungsziele auf. Damit rückt ein bisschen Normalität im Alltag in
       weite Ferne.
       
   DIR Komakonsum am „Black Friday“: Die Steigerung von Gut: Güter
       
       Der „Black Friday“ ist die Mutter aller Konsumorgien. Die Industrie hält
       uns für Ökosozialschweine ohne Gewissen. Sie könnte damit richtig liegen.
       
   DIR Corona-Entwicklung in Deutschland: Alle dreieinhalb Minuten ein Toter
       
       Laut Robert-Koch-Institut sind am Donnerstag in Deutschland 426 Menschen an
       Covid-19 gestorben. So viel wie noch nie seit Beginn der Pandemie.
       
   DIR Coronamaßnahmen in Deutschland: Ruhephase bis Weihnachten
       
       Die Zahl der Neuinfizierten und der Covid-19-Toten ist weiter hoch. Bund
       und Länder verlängern Teillockdown. Über Weihnachten gibt es Lockerungen.
       
   DIR Aktuelle Entwicklungen in der Coronakrise: Neuer Höchstwert bei Todesfällen
       
       Binnen 24 Stunden wurden dem RKI 410 neue Corona-Todesfälle gemeldet.
       Kanzlerin und Ministerpräsidenten beraten über weitere Maßnahmen.
       
   DIR Berlins Selbstständige in der Krise: Die Stimmung ist wolkig bis trübe
       
       Viele Solo-Selbständige trifft die Coronakrise besonders hart. Wie geht's
       ihnen im Novemberlockdown? Sechs Protokolle.