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       # taz.de -- Gala der European Film Awards in Berlin: Warum wir uns abschießen müssen
       
       > Bei der sehr kleinen Gala der 33. European Film Awards siegte Tomas
       > Vinterbergs Tragikomödie „Rausch“. Paula Beer wurde als beste
       > Schauspielerin geehrt.
       
   IMG Bild: Paula Beer freut sich hinter ihrem Videofenster über den EFA-Preis als beste Schauspielerin
       
       Dieses Jahr hatte nur ein Thema. Seine Filme, die in den paar Monaten vor
       dem ersten und bis zum zweiten Lockdown europaweit liefen, hatten dagegen
       viele. So war eine traurige Diskrepanz zu fühlen bei der klitzekleinen Gala
       der 33. European Film Awards (EFA), welche die Woche über online verliehen
       und am Samstag mit den Hauptpreisen abgeschlossen wurden.
       
       Die EFA thematisierten diese Diskrepanz in einem Trailer, den man vor der
       Preisverleihung zeigte – er spielte in der Zukunft. Denn eigentlich hatte
       die Filmbranche in Reykjavík zusammentreffen wollen – alternierend mit
       Berlin, dem Gründungsort der Europäischen Filmakademie, feiert man
       traditionell jedes zweite Preisjahr in einer anderen europäischen Stadt.
       
       Doch im Vorfilm stand eine isländische Schauspielerin allein im
       Harpa-Konzerthaus der isländischen Hauptstadt – und sprach von den „35.
       Film Awards“, mit nicht Gutes verheißenden Titeln wie „The Great Pandemia“
       oder „Corona Games“.
       
       Man wird sehen, welche Geschichten in zwei Jahren wirklich erzählt werden –
       hoffentlich nicht nur von der Pandemie. Die echte Verleihung blieb in
       Berlin – im Museum „Futurium“, wo Moderator Steven Gätjen und seine Gäste
       Wim Wenders, Noch-Präsident der Akademie, Marion Döring,
       Noch-Geschäftsführerin, Agnieszka Holland, die neue Präsidentin, und
       EFA-Vorstand Mike Downey in gebührendem Abstand miteinander plauderten. Als
       Gegenüber hatten die fünf das symbolträchtige Bild dieses Jahres: Wände mit
       Videofenstern, hinter jedem winkte ein*e Nominierte*r.
       
       ## Eine negative Gemeinschaft, aber positiv gestimmt
       
       Um die Gewinner*innen zu ehren, gab es – neben einem Einspieler, in dem
       Kanzlerin Angela Merkel den scheidenden EFA-Chef*innen gratulierte – einige
       Präsenz-Laudator*innen, natürlich getestet: „Wir sind eine negative
       Gemeinschaft hier“, so Döring“, „aber positiv gestimmt.“ Was man fast als
       Motto für die ständigen Branchenprobleme nehmen könnte.
       
       Laudatorin [1][Vicky Krieps] konkretisierte: „Entweder bleibt man auf
       Abstand – was nicht geht, wenn man einen Film macht, oder man trägt eine
       Maske – was nicht geht, wenn man einen Film macht.“ „Drehbücher bekommen
       gerade den Stempel Covid-friendly“, so Holland lakonisch, „wenn nur ein bis
       zwei Menschen mitspielen, kein Sex, keine Gewalt und nur Außendrehs.“
       
       Das schränkt ein. In diesem Jahr jedenfalls war eine Geschichte der große
       Gewinner, die prä-covid entstand und eine gesellschaftlich ebenso akute
       Frage wälzt: [2][Thomas Vinterbergs bittere Tragikomödie „Another Round“,
       in der Mads Mikkelsen] einen Lehrer spielt, der durch einen permanenten
       Alkoholpegel sein Leben zu verbessern sucht, wurde viermal ausgezeichnet –
       „Beste Regie“, „Bester Film“, „Bestes Drehbuch“ und „Bester Schauspieler“.
       
       Über „Beste Schauspielerin“ in [3][Christian Petzolds „Undine“ freute sich
       Paula Beer] – mit einem Musik-Preis für „Berlin Alexanderplatz“ die
       einzigen deutschen Ehrungen.
       
       ## Starke Konkurrenz
       
       Inwieweit die Preiskonzentration angesichts starker Konkurrenz wie
       [4][Pietro Marcellos surrealer Jack-London-Adaption „Martin Eden“] oder Jan
       Komasas Imposter-Dramas „Corpus Christi“ an einer vielleicht auch mit dem
       Virus zusammenhängenden Trägheit der Akademie-Mitglieder liegt, sämtliche
       nominierten Filme zu schauen, lässt sich nicht evaluieren: Ein solches
       Wahlsystem hat eben seine Tücken.
       
       Und „Another Round“, der für Vinterberg in der schwersten aller
       persönlichen Krisen entstand – seine 19-jährige Tochter starb vor den
       Dreharbeiten bei einem Unfall –, ist ein so wertfreies wie
       meinungsstarkes Zeugnis davon, warum wir uns ständig abschießen müssen.
       
       Dass in einem an Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen armen Jahr ein
       Dokumentarfilm namens „Women Make Film“ einen Innovationspreis gewinnt, ist
       zudem bezeichnend – die Luft nach oben ist ein Orkan. Immerhin zeigten die
       Laudator*innen, neben Krieps Emily Atef, Annabelle Mandeng, Tyron Ricketts,
       Maryam Zaree, Kida Khodr Ramadan und Sabin Tambrea, wie vielfältig die
       Branche ist: Eine Lanze für Diversität zu brechen, und das ohne viel
       Aufhebens, macht Hoffnung.
       
       Und den Videofenster-Wänden lässt sich mit gutem Willen durchaus etwas
       abgewinnen. Sie erinnern an den Vorspann zur Muppet Show, mit den Puppen,
       die hinter ihren Fenstern winken: ein schönes Bild.
       
       13 Dec 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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