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       # taz.de -- Flüchtlingslager auf griechischen Inseln: Wo es an allem fehlt
       
       > Wer als Flüchtling auf den griechischen Inseln lebt, für den wird es vor
       > Ort schrecklich. Die körperliche Unversehrtheit ist dort mehrfach
       > bedroht.
       
   IMG Bild: Ein Kind spielt im Flüchtlingslager Moria mit Spielzeugautos, Oktober 2019
       
       „Hier gibt es keine Verbesserungen, für niemanden.“ Der NGO-Mitarbeiter
       schüttelte den Kopf und ging weiter. Das war im Oktober, im
       Flüchtlingslager auf Samos, einem mehrfach überbelegten Elendscamp, in dem
       es über die Jahre immer mal wieder gebrannt hatte. Teile davon waren danach
       neu aufgebaut, neu arrangiert worden. Aber besser – nein, besser war es
       eben nicht geworden.
       
       Das ist leider eine Erkenntnis dieses Jahres – ach was, schon der
       vergangenen Jahre: [1][Wer als Flüchtling auf den griechischen Inseln
       lebt], für den wird es in der Regel während seiner Zeit vor Ort nicht
       besser. Es wird einfach nur schrecklich, oder eben schlimmer.
       
       Das Übergangslager in Kara Tepe auf Lesbos ist das bekannteste Beispiel.
       Nachdem das heftigst überfüllte Lager in Moria abgebrannt war, zogen die
       Menschen also in ein neues provisorisches Lager. Eines, in dem es an so gut
       wie allem fehlt, und wo sie sich kaum vor dem Regen schützen können, der
       das Behelfscamp etwa in der vergangenen Woche überflutete. War die Lage
       schon im abgebrannten Camp von Moria katastrophal – im Übergangslager von
       Kara Tepe ist sie definitiv nicht besser.
       
       Auch auf den anderen Inseln leben viele Kinder in den Camps und werden von
       katastrophalen Lebensumständen nicht nur an einer guten Entwicklung und
       Schulbildung gehindert. Die körperliche Unversehrtheit aller Bewohner*innen
       ist schlicht jederzeit in Gefahr. Wo Menschen sind, ist auch Ungeziefer.
       
       ## Babys mit Rattenbissen
       
       Und wo viele Menschen nah aufeinander in Zelten und zusammengebastelten
       Behausungen leben, kochen und essen, in die das Ungeziefer fast ungehindert
       eindringen kann? Dort werden Kinder zum Opfer von Rattenbissen – und ihre
       Eltern müssen ratlos zuschauen. „Wir haben sogar schon Babys gesehen, die
       mit Rattenbissen in unsere Klinik kamen“, sagte Jonathan Vigneron, der
       damalige Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen auf Samos, im Herbst der
       taz.
       
       Gleichzeitig gibt es in den Lagern noch andere Sicherheitsprobleme: Unter
       anderem Frauen und Kinder sind auf den schlecht beleuchteten, überfüllten
       Terrains der Camps einem großen Risiko sexueller und
       geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Davor warnen [2][NGOs schon
       lange]. Am Montagabend zum Beispiel fand man im Übergangslager von Kara
       Tepe ein dreijähriges Mädchen aus Afghanistan bewusstlos im Schlamm,
       berichtet ein örtliches griechisches [3][Nachrichtenportal] von Lesbos. Die
       Polizei ermittle, nach ersten Erkenntnissen aus ärztlichen Untersuchungen
       sei das Kind vergewaltigt worden.
       
       Apropos „Übergangslager“: Der Übergang dauert wohl bis September 2021. Bis
       dahin werde dort ein „neues, qualitativ hochwertiges Aufnahmezentrum“
       entstehen, das griechische und EU-Behörden gemeinsam leiten würden, hat die
       EU-Kommission Anfang des Monats erklärt. Neue Lager entstehen auch auf
       anderen Inseln, laut griechischen Behörden sollen sie über
       Brandschutzsysteme verfügen und „menschenwürdige Lebensbedingungen“ bieten.
       
       Gleichzeitig sind es „geschlossene Lager“ mit Einlasskontrolle und
       „doppelter Umzäunung“. [4][Auf Samos ist ein solches Lager schon weit im
       Bau fortgeschritten] – man darf es sich wie ein Gefängnis vorstellen, weit
       weg von normalem Leben, von Geschäften und den üblichen Supermärkten. Sogar
       einen Spielplatz mit Wippen, Schaukeln, einer Rutsche gab es im Oktober
       schon – ebenfalls meterhoch eingezäunt, als ginge von spielenden Kindern
       eine irrsinnige Gefahr aus.
       
       ## Journalist:innen am Zugang gehindert
       
       Wer Neubauten wie diese sieht, dürfte jedenfalls kein besonderes Vertrauen
       in die Behörden fassen, dass das Leben vor Ort besonders menschenwürdig
       sein wird – ohne Freiheit wird es womöglich abermals einfach anders
       schrecklich. Und wer wird dann noch Einblick haben?
       
       In den vergangenen Monaten berichteten Journalist*innen immer wieder davon,
       an der Berichterstattung gehindert worden zu sein. Das [5][war nach dem
       Brand auf Lesbos der Fall] und gilt wohl auch für das Lager in Kara Tepe,
       wie eine Wiener Journalistengruppe erfahren durfte, [6][die laut der
       Organisation Reporter ohne Grenzen am Zugang gehindert wurde].
       
       15 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fluechtlingslager-Moria-in-Griechenland/!5733705
   DIR [2] https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2018/10/women-daily-dangers-refugee-camps-greece/
   DIR [3] https://www.stonisi.gr/post/13639/sth-zoygkla-toy-kara-tepe-realtime?fbclid=IwAR3Dc3KF86AdlNb4xBOhjQLy78QgQeALK9e_pWhc3rEq603P9g3JZKUeVMo#.X9fQ5c3oPxI.facebook
   DIR [4] /Fluechtlingslager-im-griechischen-Samos/!5717602
   DIR [5] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/polizei-behindert-berichterstattung-aus-moria
   DIR [6] https://www.rog.at/pm/scharfer-protest-gegen-informationssperre-auf-lesbos-reporter-ohne-grenzen-rsf-oesterreich-kritisiert-zugangsverbot-fuer-wiener-journalistengruppe/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Oer
       
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