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       # taz.de -- Ausstellung „Schaufenster“ in Berlin: Kein Ende ohne neuen Anfang
       
       > Die neue Ausstellungsserie „Schaufenster“ hat im Berliner Kunstverein Ost
       > begonnen. Sie zeigt Künstler:innen und ihre Ängste in Zeiten des
       > Umbruchs.
       
   IMG Bild: Alles verändert sich: Videostill aus Nina Kurtelas Arbeit Transformance, 2010
       
       Kunst kann auch unter den Bedingungen einer Pandemie mehr sein als eine
       weitere Videokonferenz. Die wichtige persönliche Nähe zum Werk lässt sich
       gegenwärtig im [1][KVOST (Kunstverein Ost)] ausgerechnet anhand von
       Videokunst erleben – selbstverständlich unter Einhaltung aller gebotenen
       Regeln. Im Schaufenster der Ausstellungsräume des Kunstvereins Ost an der
       Leipziger Straße in Berlin sind die Videoarbeit „Tranceformance“ der
       Kroatin Nina Kurtela und die Neoninstallation „The End of the Circle“ des
       Bulgaren Vikenti Komitski zu sehen. Eine sichere Art der Kunstbetrachtung
       und zugleich Auftakt der Reihe „SchauFenster“.
       
       Ursprünglich war eine weitere Videoperformance vorgesehen. Das kuratierende
       Team Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher hat sich aber zusammen mit dem
       KVOST-Vorsitzenden Stephan Koal dazu entschlossen, „The World Looks so Much
       Better from Above“ von Honorata Martin aus Gdansk nicht im Fenster laufen
       zu lassen.
       
       Wie in allen Arbeiten der Ausstellung geht es auch bei ihr um Unsicherheit
       und Ängste in einer Zeit, in der sich viele dem Umbruch ihrer vertrauten
       Lebenswirklichkeit ausgesetzt sehen. In ihrer Videoperformance steht
       Honorata Martin an der Dachkante eines Hochhauses. Sie ist bereits zu weit
       darüber hinaus nach vorn geneigt, um sich aus eigener Kraft noch auf die
       rettende Plattform zurückbewegen zu können.
       
       Vorm wahrscheinlich tödlichen Sturz in die Tiefe bewahrt sie lediglich noch
       ein nicht im Bild sichtbarer Freund, der sie mit der linken Hand an ihrem
       Pferdeschwanz hält. Eine existenzialistische Situation, in der es nur noch
       das Sein oder das Nichts für sie gibt.
       
       ## Alles ändert sich
       
       Inmitten der Hochhausarchitektur der Leipziger Straße und in der dieses
       Jahr für viele besonders einsamen Weihnachtszeit kann das für manche
       Betrachtende eine bedrohliche psychische Belastung bedeuten. Das Video wird
       daher lediglich auf einem Plakat angekündigt und ein Link angeboten. So
       können Betrachtende selbst entscheiden, ob und in welcher Umgebung sie sich
       diese starke Arbeit ansehen möchten.
       
       Nina Kurtela steht in ihrem Video auf vergleichsweise sicherem Grund still.
       Untypisch für sie, die eigentlich aus dem Tanz kommt. Bewegung überlässt
       sie in „Transformance“ anderen. Über fünf Monate hinweg hat sie sich
       täglich in den Weddinger Uferstudios fotografiert, die währenddessen um sie
       herum von Werkstätten der BVG zum heutigen Kulturstandort und Zentrum für
       zeitgenössischen Tanz umgebaut wurden.
       
       Ihr zuzusehen, wie sich die Welt um sie herum unaufhaltsam und drastisch
       verändert, ohne dass sie selbst Einfluss zu haben scheint, ist nicht nur
       für Kunstschaffende in diesem seltsamen Jahr 2020 ein Sinnbild.
       
       Es sind viele, wenn nicht die meisten, deren Umgebung sich gerade
       grundlegend umgestaltet. Sie werden sich an wandelnde Arbeitswelten
       gewöhnen müssen, an digital vermittelte Kontakte auch im Privaten und an
       einen Lebensstil, der sich wohl auch langfristig verändern wird.
       
       ## Leben ohne Sicherheit
       
       Alle in der Kultur Beschäftigten sind davon besonders stark betroffen und
       rücken jetzt, da es um ihre Existenz geht, in den Blickpunkt der
       Öffentlichkeit. Viele von ihnen lebten unterdessen auch schon vor der
       Pandemie in prekären Verhältnissen und ohne Sicherheit. Die zwiespältige
       Avantgarde-Situation, in der sie sich damit befanden und befinden, wird nun
       wohl für viele nachvollziehbar.
       
       Der Titel „The End of the Circle“, den Vikenti Komitski seiner Installation
       aus Neonröhren gegeben hat, kann da deprimierend wirken. Ebenso kann er
       aber auch nach Hoffnung und Aufbruch klingen. Komitski hat die Buchstaben
       des titelgebenden Satzes in einen Kreis gefügt, der sich wie eine Schlange
       in den Schwanz zu beißen scheint. Wo es ein Ende in einem unaufhaltbar
       scheinenden Vorgang gibt, muss es auch einen Anfang geben.
       
       Die drei Arbeiten stellen den Anfang einer Reihe im SchauFenster des KVOST
       dar. Zwar waren sie unter dem Eindruck der aufkommenden C-Krise
       zusammengestellt worden, die Art der Präsentation von Kunst ohne die
       Hemmschwelle, eine Galerie zu betreten, wird aber zu den Dingen gehören,
       die nach der Krise bleiben.
       
       18 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausstellung-in-Berlin/!5716121
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Bykowski
       
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