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       # taz.de -- Dritte Fußballliga: Kunst der Zerstörung
       
       > Verteidiger Jesper Verlaat von Waldhof Mannheim verkörpert den einst so
       > verehrten Typ des Fußballarbeiters. Eine Nostalgiereise mit dem
       > Abwehrrecken.
       
   IMG Bild: Abwehrstabilisator: Jesper Verlaat weiß, wie man guten Fußball verhindert
       
       Neun Tore hat der Waldhof kassiert in den letzten zwei Spielen, es waren
       neun höchst unterschiedliche Tore, aber sie haben alle etwas gemeinsam:
       [1][Jesper Verlaat stand nicht auf dem Platz.] Der Waldhof hat regelmäßig
       sehr dämliche Gegentore gekriegt diese Saison, auch wenn Jesper Verlaat da
       hinten mit drin stand, aber er hat den Ball herausgewollt. Mit schierem
       Willen bezwungen.
       
       Auf Fotos grinst er mit seinen fast schulterlangen blonden Locken und der
       kantigen Kinnlinie immer, aber auf dem Platz habe ich Jesper Verlaat bisher
       immer nur in zwei Gemütszuständen gesehen: entweder stocksauer oder kurz
       davor stocksauer zu sein. Jesper Verlaat ist Sanguiniker, vielleicht ist er
       privat sehr nett! Aber sicher nicht auf dem Platz.
       
       Ich hatte nie viel übrig für jene Spieler, die nichts tun als nur das Spiel
       kaputtzumachen; also jene Spieler, die in Deutschland höchstes Ansehen
       genossen haben bis Mitte der Nullerjahre noch. Es ist nichtdeutschen
       Fußballfans schwer zu vermitteln, warum man nach der WM 1990 Guido Buchwald
       plötzlich Diego genannt hat; bloß weil er Diego Maradona daran gehindert
       hatte, Diego Maradona zu sein. Das Ersticken der Kunst galt in Deutschland
       schon damals als ein Akt, der der Kunst selbst gleichzusetzen ist, das
       erklärt immerhin, warum in der Generation, die Guido Buchwald noch live
       erlebte, Lisa Eckhart so beliebt ist.
       
       Aber in der dritten Liga ist vieles anders, auch weil dort die ganze
       Weltbedeutung vom Fußball abfällt. In der dritten Liga sind die Träume
       überschaubar, und es bietet Anlass für ein Zuschauergefühl, dass ich über
       alles am Fußball schätze: nicht Jubel, nicht Euphorie. Sondern Nostalgie.
       
       Fußballkunst ist auch Arbeit 
       
       Jesper Verlaat ist da aus zweierlei Gründen prädestiniert, weil einerseits:
       wer selbst mal auf dem Platz stand, kennt solche Typen, hat mit ihnen
       zusammengespielt. Diese „Wir oder die“-Typen, die nichts vom Spiel
       verstanden außer davon, dass die Trikotfarben unterschiedlich waren und
       dass das etwas bedeutet. „Fußballarbeiter“ nannte man die früher, es war
       anerkennend gemeint, dabei waren es eigentlich Maschinenstürmer.
       
       [2][Fußballarbeiter sagte man nu]r, weil alle dachten, ein feiner
       Außenristpass in die Schnittstelle sei keine Arbeit, dabei ist es vielmehr
       Arbeit, das zu beherrschen als eine Grätsche.
       
       Und zweitens: Immer wieder tauchen Namen auf, die längst verloren geglaubte
       Erinnerungen aufploppen lassen. Wenn man den Jesper Verlaat googelt, steht
       rechts im Infokasten unter Eltern nur ein Name: Frank Verlaat. Es ist
       anzunehmen, dass Jesper Verlaat in voller Rüstung aus dem Oberschenkel
       seines Vaters hervorbrach an einem dusteren, nebelverhangenem
       Novembermorgen. Seine ersten Worte waren Kriegsgeheul. So wird das gewesen
       sein.
       
       Es hat einfältig beruhigendes für mich, Spieler aus mehreren Generationen
       kicken gesehen zu haben, da wird der eigene Alterungsprozess wohlig
       eingebettet. In der dritten Liga entfaltet sich dieser Zauber erst
       vollständig, weil das hölzerne Spielgeschehen viel Zeit lässt, Erinnerungen
       nachzuhängen. Und weil nicht jedes Fußballmedium schon 30 Bilderstrecken
       dazu fabriziert hat.
       
       Der Waldhof war eigentlich gut in die Saison gekommen. Wenn Jesper Verlaat
       zurückkommt, wird er viel zu tun haben.
       
       16 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Jesper_Verlaat
   DIR [2] /Diskussion-ueber-Jogi-Loew/!5729040
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frédéric Valin
       
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