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       # taz.de -- Freispruch eines Journalisten: Doch kein Aufruf zur Gewalt
       
       > Sören Kohlhuber wurde vorgeworfen, bei den G20-Protesten in Tweets zu
       > Gewalt aufgerufen zu haben. Der Richter folgte der Anklage nicht.
       
   IMG Bild: Wirkt nach bis heute: Die „Wellcome to hell“-Demonstration beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg
       
       Hamburg taz | Knapp sieben Minuten dauerte die Verlesung der Anklage im
       Amtsgericht Altona. Am Freitagnachmittag hielt der Staatsanwalt dem
       Journalisten Sören Kohlhuber vor, beim G20 Protest in Hamburg am 6. Juli
       2017 über seinen Twitter-Account die Billigung und den Aufruf zu Gewalt
       betrieben zu haben. Er hatte angesichts der Ausschreitungen geschrieben,
       die Gewalt sei „von Staat und Polizei“ ausgegangen. Und: „Jede Flasche,
       jeder Stein hat heute seine Berechtigung.“
       
       Kohlhuber stritt zwar nicht ab, diesen Tweet gesendet zu haben, ließ den
       Vorwurf allerdings nicht gelten, auf diese Weise zur Gewalt aufgerufen zu
       haben. Darin hat er nun Recht bekommen: „Ich kann keine strafbare Handlung
       sehen“, sagte der Richter und sprach Kohlhuber frei. Die Staatsanwaltschaft
       hatte zuvor dargelegt, dass es ihr nicht allein um den Wortlaut der Aussage
       gehe, sondern dass auch die Adressaten aus der linken Szene zu
       berücksichtigen seien. Sie forderte eine Geldstrafe über 2.400 Euro in 40
       Tagesätzen zu 60 Euro.
       
       In seiner Einlassung hatte Kohlhuber erklärt, er habe sich nach den
       Ausschreitungen auf der „Welcome to Hell“-Demonstration in die schnell
       aufkommende und bundesweit geführte Debatte über Gewalt einbringen wollen.
       Für ihn sei unter Verweis auf wenige Hundert vermummte Personen mehr als
       10.000 Menschen das Recht genommen worden zu demonstrierten. Auch dass die
       Polizei eine genehmigte Demonstration gewaltsam anging, sei nicht
       verhältnismäßig gewesen.
       
       Weiter sagte er aus, dass die Exekutive auch beim Umgang mit den
       Protestcamps während des Gipfeltreffens in Hamburg vom
       Bundesverfassungsgericht zugesicherte Rechte verweigert habe. Er sprach von
       massiven Grundrechtseinschränkungen der Polizeigewalt, „welche vom
       Oberbürgermeister a. D. Olaf Scholz im Nachgang negiert wurde“. Kohlhuber
       beruft sich in seiner politischen Begründung auf das im Grundgesetz
       verbriefte Recht auf Widerstand. Richter und Staatsanwalt ließen diese
       Einlassung unkommentiert.
       
       ## Gezielte Provokation
       
       Einen weiteren Anklagepunkt hatte die Staatsanwaltschaft bereits zu Beginn
       des Prozesses zurückgezogen. Über Twitter hatte Kohlhuber am Tag der
       „Welcome to Hell“-Demonstration bekannt gemacht, dass sich drei Männer und
       eine Frau mit T-Shirts der rechtsextremen Identitären Bewegung im Umfeld
       der Demonstration bewegten. Seine Bilder wurden im Netz weiterverbreitet
       und die Rechtsextremist*innen auch tatsächlich nachweislich zwei Mal von
       unbekannten Personen angegangen.
       
       Allerdings: „Meine Bilder sollten keine Aufforderung zur Straftat sein“,
       sagt Kohlhuber, „sie waren als Warnung gemeint.“ Da die Personen mit
       Kameras unterwegs waren und aufgrund ihrer Kleidung eindeutig der
       Identitären Bewegung nahestanden, sei er davon ausgegangen, dass ihr
       Auftreten eine gezielte Provokation, „eine strafrechtliche Falle“ war.
       Kurz: Die vier wollten angegriffen werden, um es propagandistisch zu
       nutzen.
       
       Diesem Gedankengang folgte schließlich auch der Staatsanwalt: Dass jemand
       mit einem T-Shirt, das eindeutig rechte Gesinnung erkennen lässt, zu einer
       Demonstration von Linken und Antifaschist*innen geht, dürfte provokativ
       eingeordnet werden, betonte er in seinem Abschlussplädoyer. Die
       Verteidigung von Kohlhuber wies in ihrem Plädoyer zudem darauf hin, dass
       ihr Mandant als Journalist durch das Presserecht und die Meinungsfreiheit
       das Recht und die Pflicht habe, Sachverhalte zu kommentieren und
       einzuordnen. Sie forderte Freispruch.
       
       Das Urteil freut den nun nicht mehr Beschuldigten auch wegen seiner
       Außenwirkung. Damals hatten ein Focus- und ein FAZ-Journalist Kohlhubers
       Tweets aus dem Kontext gerissen zitiert und somit den Eindruck erweckt,
       dass er sich Angriffe auf die Rechtsextremist*innen wünschte. Es folgte ein
       massiver, tagelanger Shitstorm gegen Kohlhuber.
       
       14 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
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