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       # taz.de -- BDS-Beschluss im Bundestag: Geht’s auch eine Nummer kleiner?
       
       > Namhafte Kulturinstitutionen kritisieren den BDS-Beschluss des
       > Bundestags. Sie sehen die Freiheit von Kunst und Wissenschaft bedroht.
       
   IMG Bild: Das Mauerbild von Günther Schäfer an der Berliner East Side Gallery wurde 2018 besprüht
       
       Am Donnerstag lud der Arbeitskreis „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ zu
       einer Pressekonferenz. Der Arbeitskreis setzt sich aus namhaften Kultur-,
       Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen zusammen, darunter die
       Bundeszentrale für Politische Bildung, das Goethe-Institut, die
       Kulturstiftung des Bunds, die Stiftung Humboldt Forum.
       
       Anlass der Pressekonferenz sei „eine gemeinsame Erklärung zur
       Meinungsvielfalt in der öffentlichen Diskussion angesichts eines wachsenden
       Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft“, hieß es. In der Tat, das
       Oktoberfest-Attentat von 1980 ist bis heute nicht aufgeklärt; in jüngerer
       Zeit wurde ein antisemitischer Anschlag auf die Synagoge in Halle und in
       Hanau ein rassistisch motivierter Massenmord verübt. Der Münchner
       Terroranschlag von 2016 ist schon vergessen. Darum aber geht es dem
       Arbeitskreis nicht. Er ist ein Bündnis gegen den BDS-Beschluss des
       Bundestags. Seine Initiatoren halten diesen für eine Gefahr für die
       Freiheit von Wissenschaft und Kunst.
       
       Der Bundestag hat 2019 beschlossen, die BDS-Kampagne und ihren Aufruf zum
       Boykott von israelischen Unternehmen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen,
       Sportlerinnen zu verurteilen; Einrichtungen des Bunds sollen keinen
       Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht
       Israels infrage stellen, zur Verfügung gestellt werden, solche
       Organisationen und Projekte sollen auch nicht finanziell gefördert werden.
       Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen wurden
       aufgerufen, sich dem anzuschließen.
       
       Weil der Beschlussantrag pauschal BDS, alle beteiligten Organisationen und
       Einzelpersonen (von denen im Beschluss keine Rede ist) als antisemitisch
       bezeichne und die Zusammenarbeit mit Akteur*innen der israelischen und
       palästinensischen Zivilbevölkerung infrage gestellt zu werden drohe,
       stimmten einige Fraktionsmitglieder der Grünen nicht für den Antrag.
       
       Der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, hegt ähnliche
       Befürchtungen: Im internationalen Kulturaustausch müsse man mit Menschen
       sprechen, deren Positionen man nicht teilt. Es gelte „kulturelle
       Realpolitik“ zu betreiben, daher rate er zu einer „Überprüfung der
       BDS-Resolution“. Es bestehe die Gefahr, „dass wir Intellektuelle und
       Künstler ausschließen, mit denen wir in unseren Gastländern das Gespräch
       suchen müssen.“
       
       Ebert bringt das Beispiel einer Veranstaltung des Instituts in Ramallah,
       auf der ein palästinensischer Regisseur seine Teilnahme am Film eines
       deutschen Regisseurs über Jerusalem verteidigte, an dem auch jüdische
       Israelis beteiligt waren. Er rechtfertigte dies gegenüber einem
       hochrangigen Vertreter des BDS, der Palästinensern mit Ausschluss droht,
       wenn sie die offizielle palästinensische Linie missachten, laut der es kein
       kulturelle Zusammenarbeit mit Israelis geben darf. Das sei möglicherweise
       die erste und einzige Anti-BDS-Veranstaltung in den palästinensischen
       Gebieten gewesen, sagte Ebert. Richtig, so muss man mit dem Problem
       umgehen. Aber wäre eine solche Veranstaltung heute nicht mehr möglich?
       
       Die meisten auf dem Podium vertretenen Repräsentanten ihrer Institutionen
       machten deutlich, dass sie die Politik des BDS verurteilen, Boykotte
       ablehnen, so steht es auch in der Erklärung. Dann aber folgte das Aber. Da
       ist die Rede von „oft nur implizitem Druck, der auf unsere Institutionen
       ausgeübt wird“. Das sei deutlich geworden, als die Leiterin der
       Ruhrtriennale „vonseiten der Politik aufgefordert wurde, keine
       Künstler:innen einzuladen, die dem BDS nahestehen. Derartige Eingriffe
       produzieren ein Klima des Misstrauens und der Angst, des vorauseilenden
       Gehorsams und der Befangenheit.“
       
       Richtig, man soll nicht die ausgrenzen, die andere ausgrenzen. [1][Aber man
       darf sie kritisieren.] Insofern ist das Beispiel Achille Mbembe, das der
       Arbeitskreis anführt, gut gewählt. Mbembe hat 2018 selbst die Ausladung
       einer Intellektuellen und Friedensaktivistin von einer akademischen
       Konferenz in Südafrika betrieben – weil sie eine jüdische Frau mit
       israelischem Pass ist.
       
       „Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere
       historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch oder
       politisch pauschal zu delegitimieren“, heißt es weiter im Papier. Auch das
       ist korrekt, aber im Fall von Mbembe war die Kritik konkret, präzise und am
       Wortlaut orientiert. Mbembe wurde nicht von der Ruhrtriennale ausgeladen,
       er bekam in deutschen Zeitungen, auch der taz, ganze Seiten zur Verfügung
       gestellt, [2][um seine Position darzustellen].
       
       Es steht nirgends im BDS-Beschluss geschrieben, dass das Konzert des
       syrischen Oud-Spielers verhindert werden soll, weil er Sympathien für BDS
       hegt, auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem BDS ist nicht sein
       Gegenstand. Deutsche Gerichte haben dies, das Offensichtliche, bestätigt.
       
       Mehrfach fallen Begriffe wie „Selbstzensur“ und „vorauseilender Gehorsam“.
       Wer in einem totalitären System nicht um Arbeitsstelle oder gar Leib und
       Leben fürchten will, übt sich notgedrungen darin. Ist das die Lage? Am Ende
       der Pressekonferenz stellt ein Anwalt die naheliegende Frage ans Podium:
       „Wurde seitens eines Bundesministeriums Druck ausgeübt?“ Die Antwortet
       lautet: Nein.
       
       11 Dec 2020
       
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