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       # taz.de -- Vor dem neuen Coronalockdown: Wissenschaft im Abseits
       
       > Wenn die Politik unangenehme Entscheidungen aufschiebt, vergrößert das
       > die Probleme. Das zeigt sich bei den Coronamaßnahmen – aber nicht nur
       > dort.
       
   IMG Bild: Hauptsache, Weihnachtsgeschäft, egal wie sich das auf den Intensivstationen auswirkt
       
       Durch die erste Phase der [1][Coronapandemie] ist Deutschland relativ gut
       gekommen. Neben etwas Glück und Disziplin war dabei vor allem eins
       entscheidend: Die Politik hat im Wesentlichen der Wissenschaft vertraut.
       Anders als etwa die populistischen Regierungschefs in den USA oder
       Großbritannien wurde vieles von dem aufgegriffen, was Virologen und
       Epidemiologen vorgeschlagen haben – mit dem Ergebnis, dass die erste Welle
       in Deutschland vergleichsweise niedrig blieb und schnell wieder abebbte.
       
       Mittlerweile [2][hat sich die Situation leider komplett verändert]. Die
       zweite Welle ist nicht wirklich gebrochen worden, nach einem kurzen Plateau
       steigen die Infektionszahlen vielmehr wieder dramatisch an. Und die Zahl
       der täglichen Coronatodesfälle liegt in Deutschland mit über 400 pro Tag
       bezogen auf die Bevölkerungszahl nicht mehr weit von der der USA entfernt,
       auf deren Versagen in der Coronakrise wir lange mit Verachtung (für die
       Verantwortlichen) oder Mitleid (für die Betroffenen) geschaut haben.
       
       Der Grund für die Katastrophe, die sich derzeit auf den Intensivstationen
       und in den Altenheimen abspielt, ist simpel: Anders als im Frühjahr werden
       die Aussagen der Wissenschaft von wichtigen politischen Akteuren derzeit
       nicht mehr ernst genommen – oder sogar offen angegriffen. Unter dem
       Eindruck, dass es im Frühjahr besser gelaufen ist als erwartet, wurde
       zuletzt lieber jenen geglaubt, die behaupteten, so schlimm werde es schon
       nicht kommen.
       
       Manche Fehler passierten dabei mit guter Intention – etwa in den Schulen
       auch bei stark steigenden Fallzahlen noch am Präsenzunterricht mit
       kompletten Klassen festzuhalten, um keine Kinder bildungsmäßig abzuhängen.
       Andere waren die Folge von massivem Lobbydruck: Shoppingmalls durften im
       Gegensatz zu Museen offenbleiben, Heimarbeit wurde nicht verpflichtend, wo
       immer sie möglich ist, und Flugzeuge, Busse und Bahnen durften weiter
       beliebig viele Passagiere dicht an dicht transportieren – trotz klarer
       Warnungen aller großen Wissenschaftsvereinigungen, dass es auf diese Weise
       nicht gelingen würde, die Zahlen im notwendigen Maße zu drücken.
       
       Und selbst jetzt, wo die Infektions- und Todeszahlen neue Rekorde
       erreichen, trauen sich viele Bundesländer nur zaghaft an neue
       Beschränkungen heran, [3][um das Weihnachtsfest – und das
       Weihnachtsgeschäft – nicht zu gefährden]. Dabei ist völlig klar, dass ein
       Lockdown umso härter und länger ausfallen muss, je länger man wartet, weil
       dann das Ausgangsniveau der Fallzahlen eben deutlich höher ist.
       
       Aus diesem Grund ist es doppelt unsinnig, die unangenehmen Entscheidungen
       aufzuschieben. Das führt nicht nur zu mehr schwer Erkrankten und Toten,
       sondern ist am Ende auch für die Wirtschaft der schlechtere Weg. Alle
       Studien zeigen, dass harte, kurze Beschränkungen am Ende weniger Schäden
       anrichten als zu weiche, die lange anhalten und trotzdem nicht reichen.
       
       Der härtere Lockdown auch für Teile der Schulen und Geschäfte, der wohl in
       der nächsten Woche kommen wird, hätte nicht nur besser gewirkt, wenn er
       schon drei Wochen eher beschlossen worden wäre, sondern er hätte dann auch
       deutlich kürzer ausfallen können – das zeigt die Entwicklung in [4][Ländern
       wie Belgien oder Frankreich], die diesmal früher und schärfer reagiert
       haben als Deutschland.
       
       Diese Kurzsichtigkeit, mit der wissenschaftliche Erkenntnisse von der
       Politik ignoriert werden, gibt es auch in anderen Bereichen, etwa beim
       Klimaschutz. Auch dort gilt: Wenn notwendige Entscheidungen aufgeschoben
       werden, erhöht das am Ende sowohl das menschliche Leid als auch die
       finanziellen Kosten. Hier wie dort muss die Politik endlich den Mut finden,
       wissenschaftliche Fakten ernst zu nehmen, statt sie aus Angst vor
       Lobbyisten, Opportunisten und Wissenschaftsleugnern so lange zu ignorieren,
       bis die Schäden unübersehbar sind.
       
       11 Dec 2020
       
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