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       # taz.de -- Kampf gegen Obdachlosigkeit in Hannover: Heimliche Hausbesetzung
       
       > In der niedersächsischen Landeshauptstadt haben Aktivist*innen gemeinsam
       > mit Betroffenen leer stehenden Wohnraum besetzt. Der Ort ist geheim.
       
   IMG Bild: Ankündigung wahr gemacht: „Jetzt besetzen wir“-Demo vor dem Opernhaus in Hannover
       
       Hannover taz | An einem kalten Dezemberabend ziehen Wolken über Linden.
       Maximilian (Name geändert) läuft mit mehreren Plastiktüten zielstrebig im
       Schein der Straßenlaternen durch Hannover. Nur wenige Leute sind noch
       unterwegs. Der ältere Herr strahlt Freude aus. Seit wenigen Tagen, so sagt
       er, gehe es ihm wirklich besser. Nach Jahren auf der Straße habe er nun
       eine Wohnung. „[1][Obdachlos] zu sein ist wirklich schrecklich, gerade zur
       Winter- und Coronazeit!“, erzählt er.
       
       Zwischen Altbauten irgendwo im Hannoveraner Innenstadtgebiet geht es in ein
       Wohnhaus. Durch einen langen Gang, die Treppen hinauf und durch Türen. Max
       achtet darauf, keinen unnötigen Lärm zu machen. Er will nicht auffallen,
       denn er möchte so lange wie möglich weiter hier wohnen.
       
       Gemietet hat er die Wohnung nicht, sondern mithilfe von Aktivist*innen
       besetzt. Bald sollen Mitbewohner*innen einziehen. Mit einem Augenzwinkern
       sagt er, er wolle keine Namen nennen, bedankt sich aber für die Hilfe. Mit
       einem Lachen erzählt er auch, dass das nicht das erste Mal sei, dass er
       sich Wohnraum einfach selbst nehme.
       
       Aktivist*innen des Kiezkollektivs haben geholfen. Am 14. Dezember ist in
       dem Internetportal [2][Indymedia] ein Text aufgetaucht, der auf die
       Besetzung hinweist. Motivation ist für die Gruppe – neben der unmittelbaren
       Hilfe im Angesicht der Pandemie – Immobilien der kapitalistischen
       Verwertungslogik zu entziehen.
       
       ## Aktionen angekündigt
       
       Seit mehreren Monaten hängen Plakate in der niedersächsischen
       Landeshauptstadt, die dazu auffordern, Leerstand zu melden. Gleiches
       forderte ein Redebeitrag bei der „Jetzt besetzen wir!“-Demonstration am 6.
       Dezember. Um den Rest werde sich gekümmert.
       
       Auf Worte sind in Hannover nun schon zum zweiten Mal in kurzer Zeit Taten
       gefolgt. Bereits nach der Demonstration am 6. Dezember hatten
       Aktivist*innen in der Schulenburger Landstrasse 197 die „Rote Reihe“, eine
       städtische Immobilie, als Wohnraum für Wohnungs- und Obdachlose [3][für
       mehrere Stunden besetzt] gehalten.
       
       Die Stadt erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und die Polizei
       räumte mit einer Stahlramme die Besetzung. Schnell war der Traum einer
       menschenwürdigen coronakonformen Einzelunterbringung, wie sie
       verschiedenste Initiativen und Betroffene fordern, aus.
       
       Hinter dem Standard, dass Aktivist*innen und Betroffene in Hannover
       gemeinsame Sache machten, werde aber nicht mehr zurückgefallen, kündigten
       Aktivist*innen in der Schulenburger Landstraße nach der Räumung über das
       Mikrofon eines Lautsprecherwagens an.
       
       Wenn es nach Max und denen, die ihn unterstützen, geht, soll das bei der
       neuen Besetzung ganz anders laufen. Bewusst wurde heimlich gearbeitet. Nur
       wenige sind über den Ort eingeweiht und das soll auch so bleiben. Das A und
       O sei, nicht aufzufallen, meint Max. Zum Besetzen habe er keine
       Alternative: „Das ist meine einzige Chance.“
       
       Jedes Mal, wenn er zum Wohnungsamt gehe, würde ihm gesagt, viele Menschen
       suchten eine Wohnung. Er könne darauf nur antworten, er sei auch einer von
       denen und auch auf der Straße. Er fühle sich verraten und helfe sich nun
       einfach selbst.
       
       Max ist nicht der Einzige, der unmittelbar handelt. Die Debatte über die
       Situation von Wohnungs- und Obdachlosen beschäftigt seit März die
       Stadtgesellschaft. Eine Hotelunterbringung war erst geöffnet, dann zweimal
       in letzter Sekunde nach Protesten verlängert und dann schließlich beendet
       worden.
       
       Die Stadt reagierte mit dem Housing-First-Projekt „Plan B – OK“. Im
       kommenden Jahr sollen Menschen dort mehrere Monate unbürokratisch ein Dach
       über dem Kopf bekommen, bis der Anspruch auf staatliche Hilfe geklärt ist.
       Zwei Stiftungen ging das zu langsam und diese verlängerten die
       Hotelunterbringung kurzer Hand mithilfe von Spendengeldern um mehrere
       Monate. Die Stadt verweist weiterhin an bestehende Notangebote, die wollen
       Betroffene aber selten wahrnehmen. Zu schlecht seien dort die Bedingungen.
       
       Auf einem Kissen, im Schein einer kleinen Taschenlampe auf dem Boden der
       besetzten Wohnung sitzend, erzählt Max von seinem Leben. Als er ein Junge
       war, sei er nach Hannover gekommen, hier zur Schule gegangen und wohne
       eigentlich schon immer hier im Viertel. Sein Vater sei einer der Ersten der
       Gastarbeiter-Generation gewesen und habe ihm einen Job bei Continental
       verschafft.
       
       Knapp 30 Jahre habe er bei der mittlerweile geschlossenen Conti Limmer
       gearbeitet und zur Renten- und Sozialversicherung beigetragen. Nach einem
       Bandscheibenvorfall wurde er arbeitslos. Auch Familie habe er gehabt, sei
       aber vor einigen Jahren nach dem Scheitern einer Ehe pleite auf der Straße
       gelandet.
       
       ## Hauptsache windgeschützt
       
       Einen trockenen Schlafplatz hatte Max zuletzt zwar gefunden. Der sei aber
       kalt und nicht wirklich windgeschützt gewesen. Toilette, Dusche oder gar
       Strom habe es dort nicht gegeben. Letzteres funktioniert genauso wie die
       Heizung auch in der besetzten Wohnung noch nicht.
       
       Das sei aber nicht so schlimm, findet der ältere Herr mit zerzaustem Bart
       mit Blick auf die Ecke, in der er es sich mit einer Matratze, einem
       Schlafsack, Decken und einigen Essensvorräten häuslich eingerichtet hat.
       Das Nötigste zum Leben, erzählt er, würden ihm Menschen im Viertel
       zustecken. Das erleichtere seinen Alltag.
       
       Nach wie vor sei sein größter Traum, eine eigene Wohnung zu haben. Letzte
       Nacht habe er das erste Mal in der Besetzung übernachtet, erzählt er mit
       einem Glitzern in den Augen. Er finde es hier sehr schön, hat aber auch
       Bedenken. „Man hat nachts so ein komisches Gefühl im Bauch, als ob
       jederzeit irgendjemand kommt und die Tür aufmacht.“ Trotz allem biete die
       Wohnung den lang ersehnten Rückzug und Komfort.
       
       20 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Obdachlose-in-der-Corona-Krise/!5723668
   DIR [2] https://de.indymedia.org/node/124949
   DIR [3] /Obdachlos-in-Zeiten-der-Pandemie/!5731050
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Trammer
       
       ## TAGS
       
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