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       # taz.de -- Urteil im Halle-Prozess: Täter weggesperrt, Umfeld unberührt
       
       > Der Attentäter von Halle muss lebenslang ins Gefängnis. Das Gericht hat
       > aber zu wenig Interesse am rechtsradikalen Nährboden der Taten gezeigt.
       
   IMG Bild: Der Täter bekommt vom Landgericht Magdeburg die Höchststrafe. Aber ist das genug?
       
       Die Höchststrafe war absehbar. Der Attentäter von Halle hat am 9. Oktober
       2019 zwei Menschen ermordet, eine Synagoge zu stürmen versucht und das
       Leben zahlloser Menschen dauerhaft verletzt. Die Taten gelten
       strafrechtlich als besonders verachtenswert, die Schwere der Schuld als
       besonders hoch, die Beweggründe als niedrig. [1][Der Täter wird
       lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung im Gefängnis
       sitzen] – mehr geht nicht. Und doch bleibt nach dem Urteilsspruch von
       Magdeburg die Frage: Ist das genug?
       
       Die im Prozess gefallenen Aussagen verdeutlichten eines: Wer bei einer
       ideologisch motivierten Tat nach Gerechtigkeit sucht, sollte den Blick auch
       mal vom Täter abwenden. Von Prozessbeginn an plädierte eine Gruppe
       Betroffener als Nebenklage dafür, über den Mythos des Einzeltäters
       hinauszuschauen. Wie verbreitet sind die vom Täter vertretenen Ideologien
       und in welchem Netzwerk, in welcher Gesellschaft konnte er sich ungehindert
       radikalisieren?
       
       Die Erkenntnisse der zuständigen Ermittler:innen fielen beschämend dünn
       aus. Relevante Plattformen, auf denen sich der Täter bewegte, schienen
       nahezu unbekannt, vorhandene Datenträger wurden nur oberflächlich
       gesichtet. Die Lücke, die durch dürftiges Engagement entstanden war, konnte
       nur ein wenig durch von der Nebenklage vorgeschlagenen Expert:innen gefüllt
       werden. Sicher ist es die Aufgabe der Strafjustiz, die Gesellschaft vor dem
       angeklagten Täter zu schützen. Doch wie nachhaltig ist der Schutz vor einem
       Täter, dessen ideologisches Umfeld unberührt bleibt?
       
       Beobachter:innen des Prozesses erlebten eine Richterin, die ideologische
       Ausführungen des Angeklagten abwehrte, seine Worte zumindest im
       Urteilsspruch nicht wiederholte, über den Gerichtssaal hinaus mit
       Betroffenen in den Austausch ging und den Nebenkläger:innen Raum gab. Sie
       stellte sich der Frage, was Strafjustiz leisten kann und was sie leisten
       sollte. Sie dehnte die Möglichkeiten und bewegte sich dennoch in den
       Grenzen ihrer Möglichkeiten.
       
       Der Urteilsspruch mag einen Schlusspunkt für den Angeklagten bedeuten. Aber
       viele Betroffene dürften darin keine Gerechtigkeit finden. Die
       ideologischen Motive wurden benannt. Was diese bedeuten und über den
       Verhandlungssaal hinaus an Konsequenzen bedürfen, kommt im Urteil zu kurz.
       
       Rassismus, Antisemitismus und Frauenhass sind keine subjektiven
       Befindlichkeiten, sondern kollektiver Hass. Solange sich Behörden, aber
       auch die Gesellschaft insgesamt als unfähig erweisen, diesen zu erkennen
       und entschieden zu bekämpfen, bleibt die Gefahr für die Betroffenen real.
       Wenn auch nicht durch diesen Täter.
       
       21 Dec 2020
       
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