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       # taz.de -- Abschied von Jan Hofer: Endlich ohne Schlips!
       
       > Der „Tagesschau“-Chefsprecher hat seine letzte Sendung gemacht und am
       > Ende die Krawatte gelöst. Was bedeutet das genau?
       
   IMG Bild: Er entknotet sich: Jan Hofer in seiner letzten „Tagesschau“ am 15. Dezember
       
       Macht sich der Deutsche richtig locker, dann legt er seinen Schlips ab,
       zumindest in Situationen, in denen er Schlips trägt. Feierlichkeiten im
       familiären Rahmen etwa lassen sich oftmals in zwei Phasen unterteilen: die
       Mit-Schlips-Phase und die Ohne-Schlips-Phase.
       
       Mit Schlips geht es braver zu, gehemmter. Man sitzt an Tischen und tafelt,
       [1][Krawatten] werden mit Servietten bedeckt oder – eine aus
       szenegastronomischen Betrieben in München-Schwabing übernommene
       Schlipsschutztechnik – zwischen Knopf 2 und 3 unters Hemd gesteckt,
       manchmal baumeln sie auch frei und sind dann in Gefahr, von brauner
       Bratensoße befleckt zu werden. Doch das gehört dazu, Flecken erzählen eine
       Geschichte, rufen beim nächsten Fest Erinnerungen wach.
       
       Ob versteckt oder baumelnd, in der Mit-Schlips-Phase ist die Krawatte
       präsent und wirkt. Sie legt den Feiernden oder zumindest dem männlichen
       Teil der Festgesellschaft eine Art Fessel an. Das ist gewollt. Reden müssen
       angehört, umgedichtete Lieder gesungen, das Festmahl verzehrt werden. Aus
       dieser Funktion ergibt sich das etwas aus der Mode gekommene Synonym
       „Binder“.
       
       Es kommt dann der Moment, in dem der Gastgeber, manchmal auch der Älteste
       unter den Feiernden oder das Familienoberhaupt, den Schlips entknotet. Alle
       warten darauf, tun es ihm nach, es ist der Startschuss für ein rauschendes
       Fest.
       
       ## Hofer mit Krawattennadel in den 80ern
       
       Ob es das wird, hängt natürlich in erster Linie von der Feierwütigkeit der
       Gäste ab, an der Krawatte scheitert es sicher nicht. Sie ist nur das
       Zeichen für etwas Neues, gelockert bis zur Enthemmung. Interessant dabei
       ist auch die auf einem traditionellen Rollenbild beruhende Ordnung: Es ist
       der Schlipsträger – für gewöhnlich ein Mann –, der das Signal gibt.
       
       Und damit zu Jan Hofer. Als er am Montag, den 14. Dezember 2020, nach 36
       Jahren zum letzten Mal die [2][„Tagesschau“] um 20 Uhr moderierte, hat er
       den Übergang in sein Leben danach mit eben diesem Akt des Losbindens
       öffentlich begangen – und eine größere Form der Öffentlichkeit als diese
       Sendung gibt es nicht.
       
       Wir, die wir Klatschzeitschriften meiden und somit nichts wissen von seinem
       Leben außerhalb der NDR-Studios in Hamburg-Lokstedt, kennen Jan Hofer nur
       mit Schlips, konservierte Aufzeichnungen aus den achtziger Jahren zeigen
       ihn gar mit Krawattennadel, die den Binder noch zusätzlich fixiert.
       
       Die Seriosität in Person, unser allabendlicher Begleiter, nüchterner
       Präsentator des in Minutenbeiträge zusammengefassten mitunter grauenhaften
       Weltgeschehens. Das ist übrigens ein Vorzug [3][des Öffentlich-Rechtlichen
       Rundfunks]: die jeder Sensationsheischerei abholde Sachlichkeit in der
       Darstellung. So unemotional, dass es uns hier ja nicht zu sehr die Laune
       verdirbt.
       
       ## Jens Riewa neuer Chefsprecher der „Tagesschau“
       
       Kann man sich Jan Hofer denn nun derart gelockert vorstellen? Bei Jens
       Riewa, der ihm in der Rolle des Chefsprechers der ARD-„Tagesschau“ folgt,
       geht das ohne Weiteres. Er saß bei der Übergabe zu Hofers Abschied mit im
       Studio und hatte die Krawatte gleich ganz weggelassen.
       
       Bei Hofer aber kann man sich schwer ausmalen, dass er sich ohne Krawatte
       auch nur ansatzweise einem Rausch hingibt. Der Posten, den er sehr
       ordentlich über Jahrzehnte ausgefüllt hat, wird ihn geprägt haben, eine
       Déformation professionnelle, falls er überhaupt je ein Mensch ohne Schlips
       gewesen ist. [4][Gelegentliche Ausflüge ins leichte Fach] in Form von
       Talkshows haben kaum Spuren hinterlassen.
       
       Einem so vertrauten Geleiter durchs Leben wird man etwas mit auf den Weg
       geben dürfen: Möge Jan Hofer, der immer, wenn er im Dienst war,
       funktioniert hat, wie es von einem „Tagesschau“-Sprecher erwartet wird,
       diese neue Lebensphase zu seiner machen.
       
       19 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krawatte/!t5403229
   DIR [2] /Tagesschau/!t5010084
   DIR [3] /Oeffentlich-Rechtlicher-Rundfunk/!t5015122
   DIR [4] http://www.stein-management.de/infoJan.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Zimmermann
       
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