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       # taz.de -- Weihnachten 2020: Ein großes Durcheinander
       
       > Da lohnt es sich, zu sortieren wie Aufräumpäpstin Marie Kondō. Was vom
       > Fest sollte in Zukunft bleiben? Was kann weg? Nichtchrist*innen geben
       > Auskunft.
       
   IMG Bild: „24. 12. 1994“ – aufgenommen in Marzahn; es stammt aus der Fotoserie „Der 24.12.“
       
       ## „Vieles ist hausgemacht“
       
       Katrin Raczynski, Vorstandsvorsitzende des Humanistischen Verbandes
       Berlin-Brandenburg mit Sitz in Mitte: 
       
       Sollte bleiben: Für viele nicht religiöse Menschen ist Weihnachten eine
       Zeit der Besinnung, der Freude und des Beisammenseins. In der dunkelsten
       Zeit des Jahres feierten die Menschen bereits lange bevor es die ersten
       Christen gab, dass die Tage wieder länger, heller und wärmer werden. In
       diesem besonderen Jahr kommt eine weitere Vorfreude hinzu: dass wir in
       naher Zukunft wieder ohne Angst liebgewonnene Menschen umarmen können.
       
       Kann weg: Vieles von dem, worunter wir an Weihnachten leiden, ist
       hausgemacht: Stress, der durch zu hohe Erwartungen an perfekte Tage
       entsteht. Es ist für viele von uns immer wieder eine Herausforderung, sich
       aus all dem Konsum und all den Verpflichtungen zu lösen, die uns jedes Jahr
       halb erschöpft auf Weihnachten zusteuern lassen. Aber die Sehnsucht nach
       bewusstem Verzicht, Entschleunigung und entspanntem Zusammensein ist groß.
       Und auch dieses Jahr haben wir wieder eine Chance, ein bisschen mehr davon
       gelingen zu lassen.
       
       ## „Keine Weihnachtsbäume“
       
       Vilwanathan Krishnamurthy, Gründer und Vorstandsmitglied des Sri Ganesha
       Hindu Tempels in der Neuköllner Hasenheide, Rentner: 
       
       Sollte bleiben: Das Weihnachtsfest soll immer bleiben, es ist sehr wichtig.
       Das gilt auch für Neujahr. Denn in der Winterzeit braucht man Wärme und
       Licht. Deshalb die vielen Kerzen und Lampen an diesen Festen. Dahinter
       steht auch der Wunsch, dass das neue Jahr ein besseres werden soll. Das
       gilt in diesem Jahr natürlich ganz besonders. Im Hinduismus ist die Natur
       sehr wichtig. Wir dürfen die fünf Elemente nicht beschädigen, sonst wird
       sich die Natur gegen uns wenden. Licht ist eines der fünf Elemente.
       Wenigstens einmal im Jahr wird an Weihnachten die Wärme, die Liebe, die
       Nächstenliebe gefeiert und die Familien – jung und alt – kommen zusammen.
       Das sollte bleiben.
       
       Kann weg: Weihnachtsbäume sind in Zukunft nicht mehr tragbar, denn durch
       das Fällen beschädigen wir die Natur sehr. Dafür muss man einen Ersatz
       finden, der sich wiederverwenden lässt. Nach den Festen bleibt auch viel
       Müll. Das müssen wir vermeiden.
       
       ## „Stärkerer Fokus auf andere“
       
       Nina Peretz, Vorsitzende der Freunde der Synagoge Fraenkelufer und
       Vorstandsmitglied dieser Kreuzberger Synagoge, stellvertretende Leiterin
       der Öffentlichkeitsarbeit des Paritätischen Berlin:
       
       Sollte bleiben: Wichtig ist, Licht in die Dunkelheit zu bringen. Das habe
       ich selbst gerade an Chanukka erlebt. Es ist ja kein Zufall, dass diese
       Lichtfeste in diese Zeit fallen. Es ist eine Zeit, in der man sich auch um
       andere, über die eigene Familie hinaus kümmert. Zum Beispiel um Menschen
       auf der Straße, die im Moment keine Tagesangebote haben und nicht betteln
       können. Oder um Menschen, die gerade einen freundlichen Anruf brauchen.
       Oder durch Spenden. Das sollte das ganze Jahr gelten, aber an Weihnachten
       liegt darauf ein stärkerer Fokus.
       
       Kann weg: Damit, dass man die Tage vor Weihnachten im Kaufrausch verbringt,
       kann ich mich nicht identifizieren. Was dahinter steht, ist ja, dass man
       Aufmerksamkeit schenken möchte. Der Gedanke, dass man dafür jedes Jahr
       etwas Neues kaufen muss, kann weg.
       
       ## „Der Konsum muss weg“
       
       Ranjit P. Kaur, Mitglied der Gurdwara Sri Guru Singh Sabha (Gebetsstätte
       der Sikhs) in Reinickendorf und im Berliner Forum der Religionen,
       Software-Entwicklerin: 
       
       Sollte bleiben: Was ich gut finde, sind Feiern im Kreise der Familie, das
       sollte so bleiben, finde ich. Also Ruhe, gemeinsames Essen,
       Besinnlichkeit und einander Dankbarkeit zu zeigen. Das gehört auch zu
       unseren Festen. Die Sikh-Religion kennt drei Pflichten. Zum einen die
       Gottesanbetung, dann die ehrliche Arbeit und die weltlichen Pflichten –
       zum Beispiel der Familie gegenüber – und drittens: das ehrenamtliche
       Engagement, beziehungsweise das Teilen mit bedürftigen Menschen. Die
       Spendenaktionen an Weihnachten finde ich auch sehr gut. Weihnachtsfeiern
       und Weihnachtsmärkte müssten nicht sein, können aber bleiben. Sie sind
       gut für die Psychologie der Menschen in der dunklen Jahreszeit.
       
       Kann weg: Das Drumherum der Weihnachtsgeschenke, der Konsum, der Stress:
       Das muss weg. Es sollte Zeit sein, die man einander schenkt.
       
       ## „Verbindet Menschen“
       
       Fereshta Ludin, Autorin von „Enthüllung der Fereshta Ludin: Die mit dem
       Kopftuch“, Mitglied im Berliner Forum der Religionen, Lehrerin an der
       Islamischen Grundschule in Kreuzberg: 
       
       Sollte bleiben: Die besinnliche, hoffnungsvolle und wohlwollende,
       weihnachtliche Atmosphäre verbindet Menschen mit diversen
       Glaubensrichtungen und Überzeugungen. Diese positive Haltung kann über das
       ganze Jahr nach innen und außen fortlaufend in unsere Gesellschaft
       ausstrahlen.
       
       Kann weg: Negativität und Hass darf an keinem Fest Raum bekommen.
       
       ## „Lieber Wintersonnwende“
       
       Kevin Schröder, Regionalkoordinator Berlin-Brandenburg der Pagan Federation
       International Deutschland, Pfleger in einem Hospiz in Oranienburg: 
       
       Sollte bleiben: Wir im paganen Bereich feiern in dieser Zeit ja eher die
       Wintersonnwende oder die Saturnalien. Das sind Feste, die eine Pause und
       Bewusstsein ermöglichen – und ein Versprechen enthalten. Feste sind in
       unserem Verständnis Teil eines Kreislaufs, sie verändern sich. Generell
       werden sie individueller. Dieses Jahr zeigt, dass man auch alleine feiern
       und sich rituell etwas bewusst machen kann.
       
       Kann weg: Auf jeden Fall könnte der Konsumrausch und der Einkaufsstress
       weg. Die Menschen sind in dieser Zeit oft so gereizt und geladen. Es heißt
       oft, das Einkaufen „das war immer so, das muss so sein“. Das stimmt aber
       beides nicht. Weg kann auch der einseitige Bezug aufs Christliche in dieser
       Jahreszeit. Auch andere Religionen feiern Ende Dezember ihre Feste.
       
       Alle Protokolle: Stefan Hunglinger
       
       24 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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