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       # taz.de -- Umgang mit Sportverletzungen: Volle Härte
       
       > Schmerz und Verletzungen gehören zum Sport dazu – nicht nur bei den
       > Profis. Alle wissen das und machen trotzdem weiter. Warum tun sie sich
       > das an?
       
   IMG Bild: Der Schmerz ist programmiert: Grandplatz im Amateurfußball, hier beim SC Urania Hamburg
       
       Hamburg taz | Ein stechender Schmerz schießt durch mein Knie, als mein
       linkes Bein bei einer Drehbewegung im Rasen hängen bleibt. Mir ist sofort
       klar, dass etwas gerissen ist – so laut, wie es geknirscht hat. Dabei hat
       die Saison doch gerade erst angefangen! Das erste Spiel hat meine
       Mannschaft, die Dritte des Oststeinbeker SV, in der [1][Kreisklasse] 2
       souverän gewonnen. Nun führen wir im zweiten Spiel gegen den MSV Hamburg,
       es steht 2:1 für uns.
       
       Doch nach einer halben Stunde ist das Spiel für mich gelaufen,
       wahrscheinlich sogar die gesamte Saison. Oder war’s das sogar komplett mit
       dem Fußballspielen? Ich habe Freunde, die sich mehrfach schwer am Knie
       verletzt haben und teilweise noch nach Jahren mit den Folgen kämpfen. Viele
       ehemalige Mannschaftskollegen mussten deshalb aufhören, vor allem aus Angst
       vor einer erneuten [2][Verletzung].
       
       Ich spiele seit meiner Kindheit mit großer Begeisterung, war zwar nie
       besonders gut, aber sehr ehrgeizig. Mit dem Talent bin ich in der
       Kreisklasse gut aufgehoben, aber die Einstellung ist ambitionierter. Im
       März, während des ersten Lockdowns, als Mannschaftssportarten verboten und
       Fitnessstudios geschlossen waren, habe ich getan, was ich mir seit Jahren
       vorgenommen hatte: Ich bin konsequent laufen gegangen, um mich konditionell
       zu steigern.
       
       Es hatte ein paar Jahre gedauert, bis ich verinnerlicht hatte, dass Fußball
       ein Laufsport ist. Früher, als Kind, bin ich meist verträumt über den Platz
       gejoggt und habe auf den Ball gewartet, statt ihm hinterherzujagen. Die
       Disziplin entwickelte sich erst mit dem Alter. Aber nun ist von einem
       Moment auf den anderen alles futsch, was ich mir in den letzten sechs
       Monaten erarbeitet habe. Das schmerzt, nicht nur im Knie.
       
       ## Aufgeben kommt nicht infrage
       
       Eine [3][Kernspintomografie] bringt Gewissheit: Das vordere Kreuzband ist
       gerissen, die übrigen Bänder und der Meniskus sind intakt. Die Diagnose
       klingt nach Glück im Unglück. Aber was bedeutet das konkret? Von den Profis
       weiß man, dass es mindestens ein halbes Jahr dauert, bis sie nach einem
       Kreuzbandriss wieder spielen dürfen. Bei uns Amateuren kann es deutlich
       länger dauern.
       
       Doch Aufgeben kommt nicht infrage, ich entscheide mich für eine Operation.
       Bis dahin gehe ich drei Mal pro Woche zur Physiotherapie. Nach einem
       Kreuzbandriss schwillt das Kniegelenk stark an und lässt sich weder richtig
       strecken noch beugen. Das versuchen die Therapeuten mit ein bisschen Druck
       wieder geradezubiegen. Angenehm ist das nicht, aber auch nicht ganz so
       schmerzhaft, wie ich befürchtet habe.
       
       Überhaupt bewahrheitet sich kaum eine der Horrorgeschichten, die andere
       erzählt haben: sechs Wochen Krücken, starke Schmerzen, kaum Bewegung und
       sehr viel Muskelmasse, die verloren geht. Schon am Tag nach der OP darf ich
       mit beiden Beinen auftreten und das operierte Knie leicht belasten. Wegen
       der hoch dosierten Schmerzmittel spüre ich kaum etwas.
       
       Auch danach, ein paar Wochen später, ist es gefühlt halb so wild. Warum
       stellen sich alle so an? Klar, es gibt Schöneres, als auf Krücken zu laufen
       oder eine Orthese zu tragen. Aber das alles ist doch kein Grund, die
       Fußballschuhe frühzeitig an den Nagel zu hängen.
       
       Ich fühle mich von Tag zu Tag besser, das Beugen und Strecken klappt auch
       schon ganz gut. Bis ich, geblendet durch den bisher sehr positiven Verlauf,
       etwas unvorsichtig eine falsche Bewegung mache und ich wieder diesen
       stechenden Schmerz im Knie spüre. Mein Arzt erklärt mir, dass sich im Knie
       Verklebungen gebildet haben, die sich lösen müssen. Das Schlimmste kommt
       also erst noch. Und es wird viele Monate dauern, bis die Mobilität im Knie
       wiederhergestellt ist.
       
       Lohnt sich der ganze Stress für ein bisschen Gekicke in der Kreisklasse?
       Oder sollte ich es doch lieber ganz sein lassen? Ich muss meine
       Entscheidung überdenken, ein zweites Mal würde ich mir diese Prozedur nicht
       antun wollen.
       
       Zum Glück habe ich die freie Wahl zu entscheiden, ob ich das Risiko in
       Zukunft noch mal eingehen will. Und ich kann mir Zeit lassen. Für Profis
       gilt das Gegenteil. Sie müssen an die Grenze ihrer Belastbarkeit gehen.
       Manchmal sogar weit darüber hinaus.
       
       Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Wochenendschwerpunkt in der gedruckten
       taz am wochenende oder [4][hier]
       
       1 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tief-im-Keller-der-Kreisklasse/!5203937
   DIR [2] /Barcelonas-Xavi-ist-fertig/!5132118
   DIR [3] https://www.netdoktor.de/diagnostik/kernspintomografie/
   DIR [4] /e-kiosk/!114771/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Jovanov
       
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