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       # taz.de -- Corona und die Impfstoffstrategie: Der Markt hätte es gerichtet
       
       > Die Regierung unterstützt die Pharmakonzerne in der Impfstoffentwicklung.
       > Im Gegenzug hätte sie die Firmen verpflichten müssen, Lizenzen zu
       > vergeben.
       
   IMG Bild: Dringend gesucht: Weitere Einheiten zum Impfen gegen das Covid-19-Virus
       
       Gesundheitsminister Jens Spahn und mit ihm die Europäische Union haben bei
       ihrer [1][Impfstoffstrategie gegen Corona einen Fehler gemacht], der sich
       nun rächt: Sie hätten als Treuhänder öffentlichen Kapitals mehr, wie man
       sagt, return on investment fordern sollen. Und zwar in Form eines Zugriffs
       auf die Technologien, deren Entwicklung mit Milliarden Euro gefördert wird.
       Diese müssten in der Logik öffentlicher Güter weltweit frei zugänglich
       sein, in der Logik des Schutzes geistigen Eigentums könnten die Patente bei
       den Entwicklern bleiben, die durch Lizenzzahlungen monetär entlohnt würden.
       
       Es wird 2021 zwar genug Impfstoff geben, um die Pandemie zu stoppen, aber
       die Produktion läuft zu langsam an. Es macht einen gewaltigen Unterschied,
       ob bereits im März die vulnerabelsten Gruppen in Deutschland durchgeimpft
       sind oder erst im Juni. Jede Woche Verzögerung kostet Menschenleben, jede
       Woche Lockdown treibt mehr Menschen in den Ruin oder die Verzweiflung. Doch
       eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft und eine von einer Deutschen geführte
       EU-Kommission haben sich auf den Erfolgsmeldungen über die schnelle
       Impfstoffentwicklung ausgeruht.
       
       [2][Ihre Strategie war simpel]: Die öffentliche Hand unterstützt
       Pharmafirmen mit Milliarden, Behörden beschleunigen die Zulassung der
       Impfstoffe, indem sie jedes Fitzelchen Daten über Wirksamkeit und
       Sicherheit auswerten, sobald es da ist – und nicht erst in aller Ruhe, wenn
       die klinischen Studien fertig sind. Parallel bestellte die EU gebündelt
       Impfdosen, deren Wirksamkeit noch nicht erwiesen war. Die Hersteller
       wussten: Sie werden die Dosen los, egal ob sie wirken oder nicht. Dafür
       begannen sie frühzeitig mit der Produktion. Parallel kümmerte sich die
       Politik um den Aufbau der Impflogistik und vermied, zumindest innerhalb der
       EU, ein Wettbieten der Nationalstaaten. Bis dahin ging der Plan auf.
       
       Aber jetzt, Anfang 2021, ist die Lage desolat, täglich erliegen Tausende
       dem Virus, und wir alle sollen und müssen uns isolieren. [3][Es ist
       logisch, dass in der Situation viele fragen, ob das mit der
       Impfstoffproduktion nicht schneller hätte gehen können]. Es tat sich sogar
       eine skurrile, marktsozialistische Koalition aus Linker und FDP auf, die
       gleichermaßen forderten, der Impfstoff von Biontech müsse schneller
       produziert werden in Lizenz, zur Not Zwangslizenz von mehr Herstellern.
       
       Die Idee ist richtig. Aber die Debatte darüber hätte vor einem halben Jahr
       geführt werden müssen. Wenn Jens Spahn jetzt sagt, man könne einen
       komplexen mRNA-Impfstoff nicht einfach mal so irgendwo in Lizenz
       herstellen, liegt er richtig – unterschlägt aber natürlich, dass es sein
       Job gewesen wäre, sich frühzeitig um dieses Problem zu kümmern.
       
       Politische Führung wäre gewesen, Hersteller wie Biontech, Pfizer,
       AstraZeneca oder Moderna früh mit weniger Zuckerbrot und mehr Peitsche dazu
       zu bringen, ihre Technologien anderen Herstellern gegen Lizenzen zur
       Verfügung zu stellen. Die Weltgesundheitsorganisation fordert genau das
       seit April, [4][C-TAP] heißt die Idee, die auch Entwicklungsländer
       ermächtigen könnte, Vakzine herzustellen, statt auf Almosen zu warten.
       Blaupausen derartiger Lizenzverträge existieren, sie kamen bereits im Kampf
       gegen HIV zum Einsatz. Die Pharmakonzerne würden nicht enteignet. Die
       Maßnahmen wären mit Welthandelsrecht vereinbar. Nur macht bis heute niemand
       mit: EU und Bundesregierung hatten außer warmen Worten für die Initiative
       bisher nichts übrig.
       
       Dabei wäre C-TAP genau jene marktsozialistische Linke-FDP-Lösung gewesen:
       ein harter staatlicher Eingriff. Danach hätten Regierungen,
       Generikahersteller oder völlig neue Akteure wie NGOs oder Stiftungen
       überall auf dem Planeten eigene Lösungen für eine schnellere
       Impfstoffproduktion erarbeiten können. Es wäre eine Entfesselung der
       Marktkräfte gewesen, die in dem Fall heilsam hätte sein können.
       
       1 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Patentexperte-ueber-Zwangslizenzen-bei-Impfungen/!5740924
   DIR [2] /Der-Corona-Impfstoff-von-Biontech/!5733717
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   DIR [4] https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/global-research-on-novel-coronavirus-2019-ncov/covid-19-technology-access-pool
       
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   DIR Ingo Arzt
       
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