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       # taz.de -- Risikoforscher zu Coronafolgen: „Gewinner sind Fahrrad und Auto“
       
       > Die Pandemie zeigt die Verletzlichkeit des Menschen, sagt Ortwin Renn.
       > Das mache die Gesellschaft sensibler – auch für Risiken wie den
       > Klimawandel.
       
   IMG Bild: Die Klimakrise sollte trotz Corona nicht in Vergessenheit geraten: Baumsterben im National-park Harz
       
       taz: Herr Renn, für die allermeisten Menschen in Deutschland ist die
       Erfahrung der Coronapandemie als plötzliche, konkrete und globale Gefahr
       etwas Neues. Beeinflusst das unsere Wahrnehmung bekannter, aber
       schleichender Gefahren wie Klimawandel oder [1][Verlust von Biodiversität]? 
       
       Ortwin Renn: Ja, ich denke schon. Umfragen zeigen, dass die Menschen die
       Gesellschaft heute als verwundbarer wahrnehmen als vorher. Dieses Gefühl
       kollektiver Verwundbarkeit durch das Coronavirus führt dazu, dass wir auch
       Gefahren wie dem Klimawandel sensibler begegnen und ihn realistischer –
       nämlich als bedrohlicher – einschätzen. Vorher war das Thema für den
       Einzelnen sehr weit weg, nach dem Motto: Wir müssen solidarisch sein mit
       den Fidschi-Inseln. Jetzt fühlen wir uns selbst betroffen. Das hat
       natürlich auch mit den vertrocknenden Wäldern und den Hitzewellen
       hierzulande zu tun.
       
       Man kann ja verschiedene Lehren aus der Pandemie ziehen: Erstens, dass
       kooperatives, vorausschauendes Handeln wirkt. Oder zweitens, dass sowieso
       jederzeit eine unkalkulierbare Katastrophe auftreten kann und ich besser
       mein Leben jetzt genieße und mir keine Sorgen um die Zukunft mache. Welches
       Szenario ist wahrscheinlicher? 
       
       Diejenigen, die Risiken bewusst ignorieren und in den Tag hinein leben und
       glauben, sie müssten sich um nichts kümmern, machen Gott sei Dank nur einen
       kleinen Teil der Bevölkerung aus. Der Mehrheit ist sehr bewusst geworden,
       dass Gefahren uns alle als Gesellschaft betreffen und wir ihnen kollektiv
       begegnen müssen.
       
       Aus Angst vor Corona waren die Menschen in diesem Jahr zu radikalen
       Verhaltensänderungen bereit. Können wir das auf die [2][ökosoziale
       Transformation] übertragen? 
       
       Da bin ich skeptisch. Natürlich hat die Coronapandemie Verhaltensroutinen
       außer Kraft gesetzt. Aber dass wir nach der Pandemie mehrheitlich
       nachhaltiger konsumieren, uns nachhaltiger ernähren oder fortbewegen, lässt
       sich daraus nicht ablesen. Sicher sehen beispielsweise viele
       ArbeitnehmerInnen einen Vorteil in weniger Dienstreisen. Die Unternehmen
       und Institutionen sparen Geld, für die MitarbeiterInnen sind
       Onlinekonferenzen weniger aufwändig. Da wird sich künftig viel mehr als
       früher im Netz abspielen, das ist ein Gewinn für die Nachhaltigkeit. Was
       die Mobilität insgesamt angeht, gibt es zwei Gewinner und einen Verlierer:
       [3][Gewinner sind das Fahrrad] und das Auto. Großer Verlierer ist der
       öffentliche Nahverkehr. Ich glaube nicht, dass alle Leute nach der Krise
       wieder auf den ÖPNV umsteigen, aber viele Leute werden beim Fahrradfahren
       bleiben, weil es ihnen guttut und ihnen als neue Erfahrung lieb geworden
       ist. Und zum für den Schutz der Biodiversität wichtigen Sektor der
       Landwirtschaft: Der Hauptgewinner der Krise sind hier die Discounter. Aldi
       hat in diesem Jahr rund 40 Prozent mehr Umsatz gemacht. Wenn die Leute in
       Zeiten der Verunsicherung in der Coronakrise einkaufen gehen, machen sie
       das lieber schnell und billig.
       
       Also kein Trend zu mehr Nachhaltigkeit? 
       
       Ich sehe nicht, woran man das ablesen könnte.
       
       WissenschaftlerInnen haben [4][darauf hingewiesen, dass es Pandemien
       wahrscheinlicher] macht, wenn Menschen in ungestörte Natur vordringen. Ihre
       Prognose: Wird diese Warnung Wirkung entfalten und den Schutz der
       Biodiversität voranbringen? 
       
       Im Alltag wird eine solche Meldung in Deutschland verpuffen, weil sich
       keiner angesprochen fühlt. Es ist ja nicht so, dass wir uns hier durch
       Fledermäuse gefährdet fühlen. Im Gegenteil: Das Zusammenleben von Mensch
       und Tier wird doch eher protegiert, wenn etwa Fledermäusen in Dachstühlen
       Unterschlupf gewährt wird.
       
       Sind Proteste wie die Querdenker-Bewegung gegen Coronamaßnahmen das, was
       uns erwartet, wenn die Politik Klima- und Artenschutz ernst nähme? Gäbe es
       dann eine aggressive Gegenbewegung? 
       
       Durchaus. Wir hatten ja schon vorher Proteste gegen das Establishment, die
       müssen sich grundsätzlich gegen irgendetwas richten. Man kann sich
       Querdenker-Ökologen vorstellen, die sich im Namen des Naturschutzes sehr
       lautstark gegen Klimaschutz artikulieren. Sie wären eine kleine, aber laute
       Minderheit, die sehr viel Aufmerksamkeit bekäme – unter anderem, weil die
       Parteien keine WählerInnen an den Rändern verlieren möchten.
       
       20 Jan 2021
       
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