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       # taz.de -- Seenotretter über seine politische Agenda: „Sichere Fluchtwege bieten“
       
       > Der Seenotretter Julian Pahlke will für die Grünen in den Bundestag. Ein
       > Gespräch über Flucht, Schwarz-Grün und seine roten Linien in der Politik.
       
   IMG Bild: Im Mittelmeer nimmt das Drama weiter seinen Lauf: Rettung Libyscher Flüchtender im November
       
       taz: Herr Pahlke, Sie waren als Studierender im Vorstand des Vereins Jugend
       Rettet und sind bis heute im Bereich der Seenotrettung im Mittelmeer aktiv.
       Jetzt wollen Sie für die Grünen in den Bundestag. Warum? 
       
       Julian Pahlke: Ich war selber mehrfach auf dem Mittelmeer und habe dort
       gesehen, [1][was Politik anrichten] kann. Mit der zivilen Seenotrettung
       versuchen wir die Lücke zu schließen, die Regierungen dort hinterlassen.
       Wir bergen Leichen, retten – und stehen am Ende doch vor den geschlossen
       Häfen. In Europa landen gleichzeitig Tausende in Lagern wie Moria. Dabei
       haben sich allein in Deutschland über 200 deutsche Städte zu einem
       ‚Sicheren Hafen‘ erklärt. Doch der Innenminister [2][Horst Seehofer
       verbietet ihnen, Geflüchtete direkt aufzunehmen]. Wir haben als
       AktivistInnen viel erreicht, aber die Gesetze werden im Bundestag gemacht.
       Von dort aus will ich die Situation von Menschen auf der Flucht verbessern.
       
       Und wie? 
       
       Wir brauchen im Bundestag mehr Verteidiger*innen der Menschenrechte, die im
       Parlament die Perspektive von Bewegungen einbringen. Wir haben als
       Seenotretter*innen mit hunderttausenden Menschen demonstriert und mit der
       „Seebrücke“ dafür gesorgt, dass 200 Städte sich als „Sichere Häfen“
       positionieren. Das ist ein immenser Erfolg für unsere Arbeit. Weitere
       tausende Freiwillige haben immer wieder dafür gesorgt, dass unsere Schiffe
       auf dem Mittelmeer unterwegs sind, weil sie sich mit der Situation dort
       nicht abfinden wollen. Mit meiner Kandidatur will ich eine Brücke von der
       Straße ins Parlament bauen.
       
       Die Grünen haben im Bundestag und im EU-Parlament doch schon eine Reihe von
       Leuten, die Themen wie Flucht und Seenotrettung sehr engagiert bearbeiten. 
       
       Es stimmt, dass es in der grünen Fraktion viele wahnsinnig engagierte
       Menschen gibt. Aber meine Perspektive als Seenotretter ist im Bundestag
       neu. Ich habe bei meiner Arbeit für Sea Eye und Jugend Rettet immer wieder
       die Erfahrung gemacht, dass es entscheidend für die politische Arbeit ist,
       die Situation der Menschen an den Außengrenzen zu kennen. Ich will diese
       Perspektive jetzt ins Parlament einbringen. Durch die Klimakrise sind
       Flucht und Migration zentrale Themen meiner Generation.
       
       Bei den Grünen klafft oft eine teils enorme Lücke zwischen ihren Positionen
       in der Opposition und dem Handeln als Regierung. Wenn nächstes Jahr eine
       Schwarz-Grüne Regierung an der Kollaboration mit der libyschen Küstenwache
       festhalten würde – was würden Sie tun? 
       
       Seit 15 Jahren haben die Grünen nicht mehr im Bund regiert. Da ist die
       Lücke zwischen Regierungshandeln und Opposition vor allem eine zeitliche.
       Jetzt zum zweiten Teil der Frage: Ich trete für die kommunale Aufnahme
       flüchtender Menschen in Deutschland an. Aber natürlich wird es auch in der
       Regierungsarbeit Situationen geben, mit denen ich nicht einverstanden
       bin...
       
       Zum Beispiel? 
       
       Abschiebungen, oder das Zurückbringen von Geretteten nach Libyen. Das ist
       natürlich immer auch eine Sache von Zuständigkeit in der EU. Man kann da
       nicht über jeden Politikbereich bestimmen.
       
       In Österreich kann man sehen wohin das führt: In der schwarz-grünen
       Regierungskoalition bestimmt die hart konservative ÖVP die Innenpolitik
       praktisch allein. 
       
       Die Koalition in Österreich ist nicht mit der Situation hier zu
       vergleichen. Da ging es auch darum, mit der FPÖ bekennende Faschisten aus
       der Regierung zu werfen und zu ersetzen. Das Modell ist allerdings
       gescheitert. Für mich steht fest: Man darf das eine nicht für das andere
       verkaufen.
       
       Was heißt das für Deutschland? 
       
       Wir dürfen zum Beispiel die Innenpolitik und das Klima nicht gegeneinander
       ausspielen. Ich würde mir etwas anderes wünschen als Schwarz-Grün. Aber
       sollte es dazu kommen und würden dann bestimmte Bereiche in einer
       schwarz-grünen Koalition ausgeklammert werden, das wäre fatal.
       
       In Baden-Württemberg sind die Grünen die stärkste Partei und da wird
       abgeschoben, dass es kracht. 
       
       Die Parteien sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Die CDU
       etwa vertritt in Schleswig-Holstein eine ganz andere Linie als in Sachsen.
       Das ist bei den Grünen nicht anders. Und ich kandidiere schließlich nicht
       für den baden-württembergischen Landtag, sondern für den Bundestag.
       
       Gäbe es für Sie rote Linien? 
       
       Ich bin gegen weitere Asylrechtsverschärfungen, wir brauchen gerade das
       Gegenteil. Ein starres und unmenschliches Grenzregime ist nicht der
       richtige Weg. Wir müssen Menschen sichere Fluchtwege bieten und sie nicht
       auf lebensgefährliche Fluchtrouten zwingen.
       
       Sie sind nicht der einzige aus einer Generation junger Aktivist_innen, die
       in den Bundestag wollen. Auch aus der Klimabewegung wird es Kandidaturen
       geben – teils bei den Grünen, teils wohl mit eigenen Parteien. Warum sind
       sie da nicht dabei? 
       
       Ich fühle mich bei den Grünen gut aufgehoben. Mitzugestalten ist da
       gewollt. Wenn neu gegründete Parteien an einer 5-Prozent-Hürde scheitern,
       sind das Stimmen, die wir eigentlich für linke Mehrheiten im Bundestag gut
       gebrauchen könnten. Viele „Sichere Häfen“ sind auf Initiative Grüner
       Fraktionen in den Kommunen entstanden.
       
       Die Seenotretter_innen sind Ziel von Hass und Hetze der Rechten. 2018
       schrieb die AfD-Bundestagsfraktion „Schlepper sind Verbrecher – die AfD
       stellt sie alle vor Gericht“ und zeigte unter anderem Sie persönlich an.
       Wie können sich solche Angriffe auf die Arbeit als Abgeordneter auswirken? 
       
       Ja, ich habe in der Vergangenheit einiges abgekriegt. 2018 hat die
       komplette AfD-Bundestagsfraktion mich angezeigt. Das Verfahren ist
       eingestellt worden. Und die AfD hat damit den direkten Beweis erbracht,
       dass Seenotrettung eben legal und kein Fall für Gerichte ist. Der Hass ist
       aber immens und wird vom politischen Arm des Rechtsterrorismus nahezu
       täglich gefördert. Das zeigt, wie wichtig ein demokratisches Gegengewicht
       im Parlament ist. Damals haben mich Grüne wie Hans-Christian Ströbele
       unterstützt und durch diese Zeit begleitet.
       
       Sie engagieren sich heute für die Seenotrettungs-NGO Sea Eye. Kann man da
       parallel Wahlkampf machen? 
       
       Ich habe mich in den letzten Monaten immer weiter zurück genommen und trete
       nicht mehr so oft für Sea Eye auf wie in der Vergangenheit. Sea Eye ist
       keine Partei, der Verein soll weiter agieren und durch meine Entscheidung
       nicht beeinflusst werden.
       
       Hat man es als Quereinsteiger aus der Bewegung in der Partei leichter? 
       
       Die Partei ist basisdemokratisch. Ich habe da keine Vorteile gegenüber
       anderen, die antreten. Ich wurde in der Partei sehr offen aufgenommen.
       Meine Erwartung von verkrusteten Strukturen und Hierarchien hat sich
       überhaupt nicht bewahrheitet. Mir hat das von Anfang an großen Spaß
       gemacht. Es gibt eine große Offenheit in der Partei, Menschen aus den
       Bewegungen aufzunehmen. Ich weiß das sehr zu schätzen.
       
       5 Dec 2020
       
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