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       # taz.de -- Merkel und das EU-Gipfeltreffen: Mit Mogelpackungen zum Erfolg
       
       > Ob Kampf gegen Klimawandel, Coronakrise oder Rechtsstaatsverfahren: Die
       > Einigung auf dem Brüsseler Gipfel ist ein eher müder Kompromiss.
       
   IMG Bild: Am Ende ihrer EU-Ratspräsidentschaft: Angela Merkels Bilanz ist, vorsichtig formuliert, durchwachsen
       
       Es war eine lange Nacht in Brüssel. [1][Bis zum Morgengrauen am Freitag
       haben die 27 Staats- und Regierungschef durchverhandelt]. Nun steht die
       Einigung zu einem schärferen Klimaziel. Bis 2030 will die EU ihre
       Treibhausgase um mindestens 55 Prozent absenken. Ende gut, alles gut?
       
       Ja, sagen Kanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel. Sie
       führten die Regie beim letzten Spitzentreffen unter deutschem Vorsitz. Und
       sie sehen sich am Ziel. Europa bleibe Vorreiter beim Klimaschutz, so
       Michel. Zudem habe man das „historische“ Finanzpaket gerettet.
       
       Nur zu gerne würde man Beifall klatschen. Beides war vor einem Jahr noch
       nicht absehbar. Damals plante die EU noch, ihren CO2-Ausstoß nur um 40
       Prozent zu senken. Und es war undenkbar, dass die EU 750 Milliarden Euro
       Schulden aufnehmen würde, [2][um ein Corona-Hilfsprogramm aufzulegen].
       
       Doch bisher stehen diese wegweisenden Beschlüsse nur auf dem Papier. Merkel
       hat für die Weichenstellungen so viele faule Kompromisse gemacht, dass man
       versucht ist, an der Substanz ihrer Europapolitik zu zweifeln. Die Erfolge
       könnten sich nur allzu schnell als Scheinerfolge erweisen.
       
       Besonders deutlich ist dies bei der Einigung zum EU-Budget und zum
       Corona-Hilfspaket. Merkel hat den Deal mit einer [3][Mogelpackung beim
       sogenannten Rechtsstaatsmechanismus] erkauft. Ungarn und Polen können nun
       weiter den Rechtsstaat abbauen und die Demokratie aushöhlen, ohne Kürzungen
       bei den EU-Hilfen fürchten zu müssen.
       
       Der neue Mechanismus wird erst 2022 wirksam und dann wohl auch nur
       Korruption bestrafen können. Von dem großen Versprechen zu Beginn des
       deutschen EU-Präsidentschaft, die Rechtsstaatsverächter beim Portemonnaie
       zu packen und die Subventionen zu kürzen, ist nichts übrig.
       
       Auch das „historische“ Finanzpaket ist bei näherer Betrachtung nicht so
       doll. Das EU-Budget für 2021–2027 ist geschrumpft, der Corona-Hilfsfonds
       wird frühestens im Sommer 2021 wirksam. Gegen die Folgen der aktuellen
       „zweiten Welle“ hilft es nicht – weshalb sich die Europäsche Zentralbank am
       Donnerstag genötigt sah, ein neues Notprogramm zur Stützung der Wirtschaft
       aufzulegen.
       
       Und was ist mit dem Klima? Schreitet die EU da nicht mutig voran? Nein,
       sagen Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung. Sie schreien
       „Verrat“, weil die Europäer zwar ständig neue Ziele ankündigen, aber keine
       Maßnahmen beschließen, um sie auch zu erreichen.
       
       Auch das Europaparlament ist enttäuscht. Die nun beschlossene Senkung des
       CO2-Ausstoßes um 55 netto Prozent reiche nicht aus, um die Pariser
       Klimaziele zu erreichen, kritisieren die Abgeordneten. Auch sie wittern
       eine Mogelpackung, weil die EU ihr neues Ziel nur mit diversen Rechentricks
       und teuren Zugeständnissen an die Kohle- und Atomenergieländer erreichen
       dürfte.
       
       Doch immerhin: Die 27 haben sich auf ein neues Ziel geeinigt – und das neue
       EU-Budget dürfte dazu beitragen, sich diesem Ziel auch zu nähern. Merkel
       ist es gelungen, den Laden zusammenzuhalten, was angesichts der vielen
       Egoisten gewiss nicht einfach war. Das ist ein Erfolg. Schade nur, dass er
       mit viel Mogelei erkauft wurde.
       
       11 Dec 2020
       
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