# taz.de -- Armee und Miliz in Belarus: Auf der Seite des Volkes?
> Sicherheitskräfte schreiben einen offenen Brief. Begehren sie gegen den
> Staat auf? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge
> 43.
IMG Bild: OMON-Sicherheitskräfte kümmern sich vor allem darum, friedliche Proteste aufzulösen
Der bekannte und einflussreiche oppositionelle Telegram-Kanal NEXTA, der
1.686.604 Abonent*innen hat, hat einen offenen Brief noch aktiver und
ehemaliger Angehöriger der belarussischen Strafverfolgungsbehörden
veröffentlicht. Darin wird gefordert, die Präsidentenwahl in Belarus für
ungültig zu erklären und neue Wahlen durchzuführen, die internationalen
Regeln entsprechen. Darüber hinaus drücken die Verfasser ihre
Unzufriedenheit aus: Wegen der Aktionen von Führungskräften des
Sicherheitsapparats sei ihr Beruf in den Augen der Gesellschaft
diskreditiert worden.
„Die offensichtliche [1][Fälschung der Ergebnisse der belarussischen
Präsidentenwahl] vom 9. August 2020 kommt einer kompletten
Bankrotterklärung unseres Rechtssystems gleich, hat die Gesellschaft
gespalten sowie die Unabhängigkeit und Souveränität unseres Landes bedroht.
Die ungerechten Wahlen sind in den Augen der Weltgemeinschaft zum
Hauptgrund für gesellschaftliches Chaos, den schnellen Verlust
außenpolitischen Einflusses, die Zerstörung ökonomischen Potenzials sowie
den Niedergang des sportlichen und kulturellen Images der Republik Belarus
geworden.
Wir alle wissen, dass die Mehrheit von uns anständige Menschen und echte
Profis auf ihrem Gebiet sind. Nichtsdestotrotz ist die Mehrheit unserer
Kollegen gezeichnet von der Ausführung verbrecherischer Befehle aufseiten
einer Gruppe von Leuten, die sich in unserem Land illegal an der Macht
halten.
Unter dem Deckmantel des Patriotismus verteidigt diese Gruppe, indem sie
gegen die Verfassung verstößt, ausschließlich ihre materiellen Interessen.
Diese Leute versuchen, mit unseren Händen den Willen des belarussischen
Volkes zu unterdrücken, um ihre Posten und ihr gesetzeswidrig erworbenes
Eigentum zu sichern“, heißt es in dem Brief.
Aus Sicherheitsgründen werden die Unterschriften im Verborgenen gesammelt
(das war auch im Fall [2][des Briefes der belarussischen Ärzt*innen] so,
den rund 6.000 Personen unterschrieben haben). Die Liste wird erst
veröffentlicht, wenn eintausend Unterschriften zusammengekommen sind. Dem
OMON, der sich vor allem darum kümmert, friedliche Proteste aufzulösen,
gehören übrigens rund 1.500 Mitarbeiter an. Das jedoch bedeutet: Wenn in
der Armee dahingehend die Stimmung kippt, die Krise zu lösen und im Land
die Vorherrschaft von Recht und Gesetz wiederherzustellen, dann ist die
Wahrscheinlichkeit einer „Palastrevolution“ keine Illusion mehr.
Wenn Miliz und Armee zum Volk überlaufen, wird es mit dieser
surrealistischen Hölle, in der wir seit über vier Monaten leben, endlich
vorbei sein. Ich möchte sonntags spazieren gehen, egal welche Farbe meine
Kleidung hat, und nicht immer Angst haben müssen, vor den Augen von Kindern
festgenommen zu werden. Ich will keine vorbeifahrenden Wasserwerfer mehr
sehen, die auch bei Minustemperaturen ständig einsatzbereit sind. Ich
möchte nicht länger diese absurden und manchmal offen groben Aussprüche der
Macht an meine Adresse hören. Und: Ich will in einem freien Land leben. In
meinem freien Land.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
17 Dec 2020
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