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       # taz.de -- Unterwasser-Archäologe über seinen Job: „Ein bisschen Indiana Jones“
       
       > Florian Huber ist Unterwasser-Archäologe und hat kürzlich eine Enigma
       > gefunden. Ein Gespräch über Geisternetze in der Ostsee und grauen Alltag.
       
   IMG Bild: Ist gerne draußen: Florian Huber
       
       taz: Florian Huber, als da vor wenigen Wochen am Grund der Ostsee eine
       Enigma-Chiffriermaschine lag, haben Sie sofort erkannt, was das ist? 
       
       Florian Huber: Wir haben es vermutet. Wir sind in der Geltinger Bucht
       getaucht und mein Kollege, der als erster unten war, hat von einer alten
       Schreibmaschine erzählt. Da habe ich laut drüber nachgedacht, ob es eine
       Enigma sein könnte.
       
       Die Enigma war eine Art Schreibmaschine mit eingebauter Verschlüsselung,
       die die Nazis im Zweiten Weltkrieg nutzten. 
       
       Genau, und immerhin hat dort in der Geltinger Bucht eine Selbstversenkung
       von Kriegsschiffen stattgefunden. Den letzten Beweis hatten wir, als wir
       sie zwei Wochen später geborgen haben. Übrigens nach Rücksprache mit den
       Behörden – es gab Stimmen im Internet, dass wir das nicht hätten tun
       dürfen, aber ich bin promovierter Archäologe, habe das Fachwissen und auch
       die Genehmigung. Nicht alles sollte geborgen werden, aber hier handelt es
       sich um einen Einzelfund, der frei auf dem Grund lag und im Lauf der Zeit
       noch mehr beschädigt worden wäre. Vielleicht kriegen wir heraus, von
       welchem Schiff die Enigma stammt.
       
       Können Sie denn weiter daran forschen? Der Fund gehört dem Land, die Enigma
       liegt nun im Landesmuseum in Schleswig. 
       
       Das stimmt, aber es gibt eine ungeschriebene Regel, dass der Finder oder
       Ausgräber das erste Publikationsrecht hat. Natürlich sind nun die
       Restauratoren mit eingebunden, die Militärhistoriker und die Kollegen vom
       Computer-Museum in Paderborn, aber es ist mein Baby, und mein
       Wissenschaftlerherz schlägt dafür, mehr herauszufinden. Ich habe ein wenig
       freie Zeit, weil coronabedingt einige Expeditionen abgesagt worden sind,
       und die will ich nutzen. Am Schluss sollte eine Präsentation im Museum
       stehen, eine Fachpublikation, vielleicht eine populärwissenschaftliche
       Aufarbeitung.
       
       Der Fund brachte viel Aufmerksamkeit. Wie wichtig ist das für Sie und Ihre
       Arbeit? 
       
       Aufmerksamkeit gab es allerdings, denn natürlich ist das eine tolle
       Mischung: Geschichte, Technik, eine geheimnisvolle Codiermaschine – das ist
       ein Stoff, aus dem Hollywoodfilme sind. Trotzdem haben wir nicht damit
       gerechnet, dass wir förmlich überrannt werden. Es gab Glückwünsche von
       Kollegen aus aller Welt und Interviewanfragen aus der ganzen Republik und
       dem Ausland. Neulich rief ein Radiosender aus Kanada an. Das macht erst mal
       vor allem Arbeit, aber ich denke, Klappern gehört zum Handwerk, auch in der
       Wissenschaft. Auch Institutionen wie das Geomar legen zunehmend Wert auf
       Öffentlichkeitsarbeit.
       
       Sie haben bereits populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht, darunter
       in der Was-ist-Was-Reihe. Wie kam es dazu? 
       
       Als Kind habe ich die Was-ist-Was-Bücher gelesen, jetzt darf ich sie selbst
       schreiben, wie cool ist das denn! Zurzeit arbeite ich mit einem Kollegen an
       einem zweiten Band, ein dritter ist geplant. Wir machen das, weil es uns
       liegt und weil wir aus erster Hand von Orten berichten können, an die nicht
       jeder kommen kann. Wir halten auch Vorträge, etwa an Schulen. Nicht, um uns
       zu produzieren, sondern weil wir die Faszination für die Welt unter Wasser
       rüberbringen wollen.
       
       Sie sprechen immer von „wir“. Wer verbirgt sich dahinter? 
       
       Tauchen ist keine One-Man-Show, es geht nie ohne Team. Der eine steuert das
       Boot, der zweite macht Fotos oder filmt. Zum Schreiben tut man sich mit
       Kollegen zusammen, die Fachleute für Biologie oder Umweltschutz sind.
       
       Sie waren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ur- und
       Frühgeschichte der Uni Kiel und dort bis 2014 Leiter der Arbeitsgruppe für
       maritime Archäologie. Wieso haben Sie sich dann selbstständig gemacht.? 
       
       Das war ein Stück erzwungen: Meine Stelle ist ausgelaufen. Das ist ein
       Riesenproblem in der universitären Welt, dass viele Jobs befristet sind.
       Statt mich neu zu bewerben, habe ich mich mit Kollegen in gleicher Lage
       zusammengetan. Wir sind alle vom Fach und wissen, was Universitäten und
       Medien brauchen, also liefern wir als externe Dienstleister Gutachten und
       Bilder. Wir haben uns fortgebildet, uns Fotografieren und die Arbeit mit
       Drohnen beigebracht. Ich selbst bin so mittel, aber einige Kollegen
       fotografieren auf National-Geografic-Niveau. Wir filmen für die
       Fernsehsendung Terra X und moderieren inzwischen sogar. Aber der Sprung war
       gewagt. Rechnungen zu schreiben und Aufträge zu kalkulieren, das lernt man
       im Studium eher nicht.
       
       Sie stammen aus München, haben dort, in Schweden und zum Schluss in Kiel
       Ur- und Frühgeschichte studiert. Hatten Sie bei Studienbeginn
       Indiana-Jones-Klischees im Kopf? Und wie spektakulär ist der Beruf dann in
       Wahrheit? 
       
       So ein bisschen Indiana Jones schwingt mit, aber man sitzt auch sehr oft
       vor dem Rechner. Die Realität holt einen schnell ein, und dann merkt man,
       ob es einen wirklich fasziniert. Mir war aber klar, dass ich gern draußen
       sein will, also suche ich mir entsprechende Projekte.
       
       Inzwischen sind Sie und Ihre Kollegen weltweit getaucht, in einer Höhle auf
       Mallorca, vor den Bahamas und Mexiko. Wie kommen Sie an solche Aufträge? 
       
       Es kommt keiner an und sagt, Herr Huber, hier sind 50.000 Euro, gehen Sie
       tauchen. Man muss Anträge schreiben, sich bewerben. Manchmal kann man sich
       mit Kollegen zusammentun, die speziell unser Fachwissen brauchen. Bei
       Fernseh-Drehs nutzen wir die Gelegenheit, Bilder und Filme für unser Archiv
       zu machen, die wir später in Vorträgen benutzen können. Oft streiten
       Forscherherz und Geschäftsführerkopf: Einige Aufträge möchte man machen,
       weil sie toll sind, aber zu schlecht bezahlt – darüber diskutieren wir im
       Team.
       
       Das Jahr 2020 war für viele Selbstständige schwierig. Wie ging es Ihnen? 
       
       Viele Projekte waren langfristig bewilligt, die konnten wir wahrnehmen.
       Aber Vorträge und Informationsveranstaltungen sind weggebrochen. Wir
       mussten erstmals auf die Rücklagen zurückgreifen, da macht man sich schon
       Gedanken. Denn natürlich ist Meeresforschung wichtig, aber nicht
       lebensnotwendig. Aber bisher sind wir gut durchgekommen.
       
       Zählen Sie als Taucher zu einer Corona-Risikogruppe? 
       
       Ja, die Infektion kann auf die Lunge schlagen, das kann das berufliche Aus
       bedeuten. Daher habe ich komplett die Kontakte reduziert, konnte
       Weihnachten auch nicht zu meinen Eltern nach Bayern fahren. An Bord achten
       wir alle extrem auf Abstand. Es ist echt eine saublöde Lage, wir müssen uns
       besonders vorsehen, aber trotzdem wollen wir Aufträge annehmen.
       
       Der Auftrag, der Sie in die Geltinger Bucht und zur Enigma geführt hat, kam
       vom WWF. Es ging um Geisternetze. Warum suchen Sie die? 
       
       Es handelt sich um herrenlos treibende Netze, in denen sich Meerestiere
       verheddern und qualvoll verenden. Laut Studien stammen bis zu 50 Prozent
       des Plastikmülls in den Meeren von der Fischerei. Weltweit sind
       Organisationen und viele Freiwillige dabei, diese Netze zu bergen. Zusammen
       mit dem WWF haben wir eine Methode entwickelt, sie zu finden. Wir sind zu
       diesem Zweck mit Kameras und Sonar unterwegs und suchen Signale, die auf
       Netze hindeuten. An den möglichen Fundstellen tauchen wir und am Ende
       werden die Netze geborgen. Das ist eine anstrengende, dreckige Arbeit, man
       zieht tote und lebendige Viecher mit hoch. Die Netze sind in so einem
       Zustand, dass sie als Sondermüll verbrannt werden müssen, an Recycling ist
       da nicht zu denken.
       
       Sie sehen den Zustand der Meere weltweit. Wie schlimm ist die Lage? 
       
       Schon dramatisch. Eigentlich weiß das jeder und wir sehen es besonders
       deutlich. Auf Helgoland brüten Basstölpel in Plastikfetzen und in der
       Ostsee gibt es keine Aale mehr. Auf den Malediven sind große Teile der
       Korallen abgestorben. Alle Kollegen berichten ähnliche Dinge.
       
       Möchten Sie da nicht manchmal Steine schmeißen? 
       
       Steine schmeißen nicht, aber es ist frustrierend. Das Krasse ist, wir
       wissen eigentlich, was richtig wäre: weniger Fisch essen, weniger CO2
       erzeugen. Aber wir sind nicht in der Lage, das umzusetzen. Ich selbst
       ballere auch CO2 raus, wenn ich für einen Dreh oder Tauchgang um die Welt
       fliege. Ich versuche, dafür an anderer Stelle zu sparen. Aber wenn man zu
       sehr den Zeigefinger hebt, habe ich Angst, dass die Leute abschalten. In
       unseren Vorträgen zeigen und berichten wir unsere Erfahrungen, zum
       Beispiel, wie traurig es ist, eine Eiderente aus so einem Netz zu
       schneiden. Das sind Momente, die einem nahe gehen. Das spüren auch die
       Leute und dann wollen sie mehr wissen.
       
       17 Jan 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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