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       # taz.de -- Gewerkschaftsgründung bei Google: Die Macht des Kollektivs
       
       > Eine Seltenheit im Silicon Valley: US-Beschäftigte von Google haben eine
       > Gewerkschaft gegründet. Ihr Potenzial sollte nicht unterschätzt werden.
       
   IMG Bild: Angestellte vor dem Google-Hauptquartier in Mountain View, Kalifornien 2018
       
       Don't be evil – sei nicht böse. Das langjährige Motto der Suchmaschine
       Google ist ein wenig verblasst, aber nicht vergessen. Am Montag erinnerten
       225 Angestellte und Honorarkräfte des Mutterkonzerns Alphabet an das
       Versprechen dieser Maxime. Mit einem PR-Coup, [1][inklusive Gastkommentar
       in der New York Times], gaben sie ihre gewerkschaftliche Organisation
       bekannt.
       
       Angesichts rund 200.000 Beschäftigter wirkt die Zahl der
       Gründungsmitglieder vielleicht klein. Und tatsächlich kann eine
       Gewerkschaft in den USA erst dann Tarifpartei sein, wenn sie von einer
       Mehrheit der Angestellten unterstützt wird. Jedoch gibt das
       US-amerikanische Arbeitsrecht auch einer Minderheitenvertretung diverse
       Möglichkeiten der Einflussnahme, nicht zuletzt über öffentlichkeitswirksame
       Aktion und Stellungnahme. Zumindest diesen ersten Test im Kampf um
       Aufmerksamkeit hat die [2][Alphabet Workers Union] bestanden.
       
       Gewerkschaftliche Organisation ist extrem selten bei den großen
       Digitalplattformen. Einerseits ist die ideologische Erzählung einer
       techno-utopischen Meritokratie, in der die Besten es am weitesten bringen
       und Leistungen mit grandiosen Boni belohnt werden, tief im
       Selbstverständnis vieler Angestellter verankert. Anderseits werden
       wiederholte Kritik oder gar koordinierter Protest mit ziemlicher Härte
       beantwortet. Entlassungen oder [3][forcierte „freiwillige“ Abgänge von
       Aktivist*innen kommen bei Google], wie bei anderen Konzernen, immer wieder
       vor.
       
       Selbst die Organisator*innen von Aktionen mit großer Beteiligung ihrer
       Kolleg*innen bezahlen ihr Engagement bisweilen teuer. Vier der sieben
       Angestellten, die 2018 zehntausende Google-Mitarbeiter*innen aus Protest
       gegen den Umgang des Konzerns mit sexueller Belästigung auf die Straße
       brachten, [4][arbeiteten ein Jahr später nicht mehr dort].
       
       ## Mehr Appell als Kampf?
       
       Umso bemerkenswerter und letztlich unausweichlicher ist der Versuch
       gewerkschaftlicher Organisation. Auch wenn das Mission Statement der
       Alphabet Workers Union streckenweise weniger nach Arbeitskampf, dafür mehr
       nach einem Appell an das Unternehmen klingt, sich auf seine Gründungswerte
       zu besinnen – also wieder gut zu sein –, sollten das Potenzial und die
       Signalwirkung dieser Gründung nicht unterschätzt werden.
       
       Es wird deutlich, dass Beschäftigte auf ganz unterschiedlichen Stufen der
       Hierarchie, vor allem aber inklusive der zwar immer noch gut bezahlten,
       aber dennoch prekär gehaltenen Honorarkräfte, kein Vertrauen mehr in ein
       gutwillig zu klärendes gemeinsames Interesse mit ihren Vorständen haben.
       Die Manifestation dieses Misstrauens in der Gewerkschaftsgründung ist der
       entscheidende Schritt, weg von der kalifornischen Ideologie, weg vom
       unbedingten Glauben an die alles in Frieden und Freude verbindende
       Technologie. Hin zu der an sich gar nicht so neuen Erkenntnis, dass
       langfristig organisiertes kollektives Handeln die einzig nachhaltige
       Strategie zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen ist.
       
       225 Menschen erklären also öffentlich, dass sie von ihrem Arbeitgeber
       verlangen, dass er sie fair behandelt, dass er für ein
       diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld sorgt und dass er seiner aus
       Marktmacht gewachsenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht
       wird. Die Zeit für dieses Begehren ist günstig gewählt. Der US-Kongress
       sucht noch immer nach Wegen, die Monopole der digitalen Plattformen zu
       beschränken. Die einen oder anderen Abgeordneten werden sicherlich Zeit für
       Gespräche, selbst mit einer kleinen Minderheitenvertretung, finden.
       
       Die Gegenmaßnahmen des Konzerns, das union busting, sind zweifellos bereits
       eingeleitet. Die Frage ist, wie gut sich die frisch gebackenen
       Kämpfer*innen für Arbeitnehmer*innenrechte schützen können. Gute
       Pressearbeit ist dabei das eine, geduldige Organisationsarbeit das andere.
       Und wenn schon Regierungen und Parlamente in aller Welt an der Regulierung
       der Plattformkapitalisten scheitern, heißt es ja vielleicht eines Tages von
       innen drin, tief aus dem Herz der Bestie: Algorithmen stehen still, wenn
       dein starker Arm es will!
       
       5 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nytimes.com/2021/01/04/opinion/google-union.html
   DIR [2] https://alphabetworkersunion.org/
   DIR [3] /Vorwuerfe-von-schwarzer-KI-Forscherin/!5730475
   DIR [4] https://www.wired.com/story/most-google-walkout-organizers-left-company/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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