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       # taz.de -- Deutschlands gescheiterte Strompolitik: Lähmender Zentralismus
       
       > Die Politik lässt bei der Energiewende Bürgern und Unternehmen wenig
       > Spielraum. Die skandinavischen Länder machen da vieles besser.
       
   IMG Bild: Bizarr: Das noch junge Kohlekraftwerk Moorburg soll als eines der ersten abgeschaltet werden
       
       Das Kohlekraftwerk Moorburg ist zum Sinnbild einer abenteuerlichen
       Energiepolitik geworden. Es ist eines der jüngsten und modernsten in
       Deutschland, soll aber im Zuge des Kohleausstiegs als [1][eines der ersten
       abgeschaltet] werden. Klingt bizarr, ist bizarr.
       
       Dahinter steckt die Liebe der Bundesregierung zu Ausschreibungen; diese, zu
       abgekarteten Konditionen lanciert, verleihen ihr das Gefühl von Stärke und
       Gestaltungsmacht. Also wird nun alles Mögliche ausgeschrieben: der Neubau
       von Windkraft und Photovoltaik, von Biomasse und Kraft-Wärme-Kopplung. Und
       eben auch die Stilllegung von Kohlekraftwerken.
       
       Wer in diesem Ausschreibungsregime bereit ist, sein Kraftwerk für die
       geringste Prämie aufzugeben, bekommt den Zuschlag. Das suggeriert zwar
       einen Markt, hat mit effizientem Klimaschutz aber nichts zu tun. Und so
       läuft nun manche alte Möhre weiter, die weniger effizient arbeitet als das
       abgeschossene Kraftwerk Moorburg.
       
       Vernünftig ist anders. Man hätte entweder für Kraftwerke [2][den CO2-Preis
       erhöhen müssen], Schritt für Schritt. So wären die dreckigsten Meiler
       zuerst aus dem Markt gegangen. Oder man hätte Ordnungsrecht in Form des
       Emissionsschutzgesetzes bemüht (so wie in den Achtzigern beim
       Schwefelausstoß). Man hätte Grenzwerte definiert, wie viel CO2 pro
       Kilowattstunde emittiert werden darf. Das Limit hätte man über die Jahre
       verschärft – und auch so hätten die ineffizientesten Kraftwerke zuerst die
       Segel gestrichen. Aber das Ergebnis wäre dann weniger steuerbar gewesen –
       und das ist der Politik zuwider.
       
       Nach demselben Muster verweigert die Bundespolitik sich an vielen Stellen
       konsistenten Lösungen, in steter Angst vor einer Eigendynamik seitens der
       Wirtschaft. Ein Beispiel ist die verquere Organisation des Stromhandels.
       Die Politik tut so, als könne man Strom in beliebiger Menge von jedem
       Erzeuger zu jedem Verbraucher bringen. Ob es ausreichend Leitungen gibt,
       ist in dieser naiven Stromwelt ohne Belang – daher gibt es an der
       Strombörse nur einen Einheitspreis für ganz Deutschland.
       
       Nun ist freilich die Physik unbestechlich, daher müssen die
       Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) diese Fehlsteuerung korrigieren. Dieser
       regulatorische Eingriff heißt dann Redispatch, ist teuer und immer wieder
       anspruchsvoll. Dass die ÜNB trotzdem nicht über das System mosern, ist auch
       klar: Je mehr es aus dem Ruder läuft, umso mehr steigt der Druck, weitere
       Hochspannungsleitungen zu bauen. Und jede Leitung, über regulierte
       Netzentgelte bezahlt, bringt den ÜNB Geld. Daher gibt es außer ein paar
       Thinktanks nur wenige, die die einheitliche Preiszone in Frage stellen.
       
       Andere Länder machen es klüger. Selbst das kleine Dänemark kennt zwei
       Gebotszonen, Norwegen hat fünf, Schweden vier. Dann werden Kraftwerke in
       Regionen, in denen Strom oft knapp ist, von allein attraktiver. Und wo es
       häufig Überschuss gibt, werden alte Kraftwerke bevorzugt abgeschaltet. Doch
       die deutsche Politik fürchtet solche Marktentscheidungen. Sie hat lieber
       einen Einheitspreis, um dann – wie derzeit bei den Braunkohlekraftwerken –
       selbst die Abschalt-Reihenfolge definieren zu können.
       
       Der Drang Berlins, bis ins Detail zu steuern, durchzieht heute die gesamte
       Stromwirtschaft. Zum Beispiel auch beim [3][Mieterstrom]. Wie es einfach
       geht, beweist die Solarwärme: Vermieter können diese auf dem Dach gewinnen
       und unkompliziert an Mieter abgeben. Mit Solarstrom ginge das technisch
       ebenso. Aber hier schuf man komplizierte Regeln – allein um
       Solarstromerzeuger an kurzer Leine zu halten.
       
       ## Einfache Lösungen wären möglich
       
       Die Abneigung der Politik gegenüber schlanken und zugleich
       energiewendegerechten Lösungen offenbarte sich jüngst auch im Gezerre um
       Ü20-Photovoltaikanlagen; das sind solche, die nach 20 Jahren aus dem
       Fördergesetz EEG fallen. Erst nach peinlich langem Ringen ließ man sich für
       Kleinanlagen auf die naheliegende Lösung ein: Der Erzeuger kann den Strom
       vom Dach selbst nutzen und Überschuss zum Marktwert von wenigen Cent ins
       Netz speisen. Damit können jetzt immerhin einige Altanlagen auch ohne
       Förderung fortbestehen.
       
       Oft genug kommen die einfachen Lösungen jedoch nicht zum Zuge. Das
       Bestreben der Politik, die Energiewende zentralistisch und in ihrer ganzen
       Komplexität zu steuern, ist zum größten Hemmnis dieses gesellschaftlichen
       Großprojektes geworden.
       
       Statt sich auf die Definition von Rahmenbedingungen – praxisgerecht und dem
       Klimaschutz verpflichtet – zu beschränken, erstellt man lieber
       sozialistisch anmutende Fünfjahrespläne – wenn nicht gar solche für 30
       Jahre. Es beschämt, wie wenig man auf Marktmechanismen vertraut.
       
       Dass sich darüber nur wenige beschweren, ist zugleich plausibel. Politiker
       können sich angesichts einer Flut von Regelungen wichtig fühlen. Und die
       Energiewirtschaft – konventionell wie erneuerbar – hat gegen die
       kleinteilige politische Steuerung auch nichts Grundsätzliches einzuwenden,
       sichert diese doch den unterschiedlichsten Lobbygruppen maximalen Einfluss.
       
       ## Die Kunst der Kungelrunde
       
       Partikularinteressen lassen sich nämlich nirgends besser durchsetzen als in
       einem durchregulierten Energiewende-Regime. Wem es gelingt, in den
       politischen Kungelrunden einen ihm genehmen Paragrafen ins EEG zu
       schleusen, der hat das große Los gezogen. Im Sinn der Energiewende ist das
       nicht, schafft aber viele Profiteure.
       
       Will man Klimaschutz bestmöglich voranbringen, sollte die Politik
       puristisch agieren. Sie sollte im Wesentlichen einen angemessenen Preis für
       CO2 verordnen, denn diese Emissionen will sie ja senken.
       Marktwirtschaftlich ist das vertretbar, nennt sich Internalisierung
       externer Kosten. Oder auch Verursacherprinzip. Ansonsten sollte sie auf
       opulente Gesetze mit vielen Detailaspekten verzichten – und so den Bürgern
       und Unternehmen einfach mal die Chance lassen, sich im Sinne der
       Energiewende zu entfalten.
       
       7 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernward Janzing
       
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