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       # taz.de -- Todestag von Oury Jalloh: Sie weigerten sich, zu schweigen
       
       > Vor 16 Jahren starb Oury Jalloh in Polizeigewahrsam. Damals sah es so
       > aus, als würde die Sache rasch vergessen. Das Gegenteil geschah.
       
   IMG Bild: Der Name und das Gesicht von Oury Jalloh haben heute Wiedererkennungswert
       
       Am ersten Todestag [1][Oury Jallohs], der heute vor 16 Jahren in einer
       Polizeizelle in Dessau verbrannte, versammelten sich 40 Menschen in der
       Dessauer Innenstadt. Die meisten waren afrikanische Asylsuchende. Sie
       versuchten die Erinnerung an das Unvorstellbare wachzuhalten, das sich
       schon in jener Zeit immer deutlicher herausschälte: dass Jalloh sich nicht
       selbst angezündet hatte, wie Polizei und Justiz bis heute behaupten,
       sondern lebendig verbrannt wurde.
       
       Kaum jemand mochte das damals glauben, kaum ein Medium interessierte sich
       für den Fall. Das wahrscheinlichste Szenario war, dass die Sache ebenso
       schnell als „ungeklärt“ im Vergessen versinken würde wie etwa die anderen
       beiden Todesfälle, [2][Hans Jürgen Rose und Mario Bichtemann], die nur kurz
       zuvor starben, nachdem sie in das Dessauer Revier gebracht wurden.
       
       Doch die Erinnerung an Jallohs Tod ist heute nicht verblasst oder gar
       verschwunden. Sie ist vielmehr immer stärker ins kollektive Bewusstsein
       eingedrungen.
       
       In den letzten Jahren versammelte sich an Jallohs Todestagen eine
       vierstellige Zahl von Menschen. Sie kamen mit Bussen aus dem ganzen Land,
       zogen vorbei am Gerichtsgebäude, in dem zwei der beteiligten Polizisten
       2008 freigesprochen wurden. Das Urteil hielt selbst der Vorsitzende Richter
       Manfred Steinhoff für einen Skandal: Polizisten hätten vor Gericht
       „bedenkenlos falsch ausgesagt“, sie hätten „dem Land Sachsen-Anhalt aufs
       Übelste geschadet“, klagte Steinhoff damals und schloss mit den Worten:
       „Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen.“
       
       ## Das Ziel ist kein Richterspruch, sondern zu überzeugen
       
       Andere aber redeten weiter. 16 Jahre haben die AktivistInnen der
       „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ nicht nachgelassen, die Erinnerung
       wachzuhalten. Bei einer Podiumsdiskussion vor zwei Jahren sprachen sie
       darüber, wie sie sich die „Aufklärung“, die sie fordern, vorstellen. Ein
       neuer – es wäre der dritte – Prozess interessiere sie nicht, sagten sie.
       Die Justiz habe gezeigt, was von ihr in dieser Sache zu erwarten sei:
       Nichts. Ihr Ziel, sagten die AktivistInnen, sei vielmehr, die
       Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was geschehen sei. Wenn sie imstande
       wären, vielen Menschen klarzumachen, dass die offizielle Version vom Tod
       Jallohs eine Lüge sei, hätten sie erreicht, worauf es ankomme.
       
       Vor allem durch ihre Arbeit kamen immer mehr Belege dafür ans Licht, dass
       Jalloh sich nicht selbst angezündet hat. Sie wurden diskutiert, verfilmt,
       flossen zusammen zu einer Gegenerzählung zu den Behauptungen der Justiz.
       Und sie schärften so das Bewusstsein dafür, wie rassistische Polizeigewalt
       in Deutschland ablaufen und enden kann – was auch eine wichtige Grundlage
       war, auf der die Black-Lives-Matter-Proteste im vergangenen Sommer aufbauen
       konnten.
       
       Die Öffentlichkeit ist kein Gericht. Und doch gibt es so etwas wie ein
       gesellschaftliches Urteil. Und in diesem ist der Name Oury Jallohs heute
       gleichsam Synonym für einen Polizei- und Justizskandal der dunkelsten
       Sorte.
       
       Es ist erst wenige Monate her, da erschien ein [3][300 Seiten langer
       Bericht], geschrieben von zwei Juristen, die eingesetzt wurden, weil die
       CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt auf Teufel komm raus einen
       parlamentarischen Untersuchungsausschuss verhindern wollte. Die beiden
       „Berater“ durften nicht einmal „Ermittler“ heißen und ihren Bericht, der
       letztlich das Handeln der Justiz verteidigt, darf man getrost zu den vielen
       Bemühungen rechnen, die ganze Sache ein für allemal zum Abschluss zu
       bringen.
       
       Doch man muss feststellen, dass das nicht funktioniert hat. Zurücktreten
       musste zwar niemand, aber losgelassen hat die Polizei, die Justiz und die
       Regierenden in Sachsen-Anhalt der Fall nie. Er haftet ihnen bis heute an,
       und das wird auf lange Zeit so bleiben.
       
       7 Jan 2021
       
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