# taz.de -- Streit um EU-Corona-Gelder in Italien: Zerreißprobe für Regierung
> Italiens Koalition war von Anfang an eine Notlösung. Beim Zoff um das
> Geld aus dem Recovery Fund könnte es zum endgültigen Bruch kommen.
IMG Bild: Verteilungskämpfe in Rom
Rom taz | Steht Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte mit seiner
Koalition vor dem Aus – oder gelingt ihm ein Neuanfang? Schon auf der
Kabinettssitzung am Dienstag könnte es die Antwort geben. Liefern wird sie
die Kleinpartei Italia Viva (IV) des früheren Ministerpräsidenten Matteo
Renzi, die seit mehr als einem Monat mit dem Koalitionsbruch droht, wenn
Conte ihr nicht in zahlreichen Punkten entgegenkommt.
Renzi hatte seinen Feldzug gegen Conte im frühen Dezember begonnen.
Hauptgegenstand des Streits war [1][der Recovery Fund, der
Wiederaufbauplan, für den Italien aus dem EU-Haushalt 209 Milliarden Euro
erhalten soll]. Renzi störte sich sowohl an der inhaltlichen Ausgestaltung
des Plans als auch an Contes Vorstellungen, wie die Regierung die
Verwendung der Ressourcen managen sollte. Renzi verlangt eine deutliche
Erhöhung der für das Gesundheitswesen, die Schulen und die Infrastruktur
vorgesehenen Mittel. Zugleich legte er sein Veto gegen Contes Plan ein, das
Management einem sechsköpfigen Expert*innenkomitee anzuvertrauen; auf diese
Weise würden das Kabinett und die Koalition weitgehend ausgebremst,
monierte er. Ebenso droht Renzi Tag für Tag an, die beiden Ministerinnen
seiner Partei würden zurücktreten, gebe es keine Einigung.
Die seit September amtierende Mitte-links-Regierung steht damit vor ihrer
größten Zerreißprobe seit ihrer Bildung im September 2019. Seinerzeit hatte
der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, die erste Regierung
Conte platzen lassen, die die Lega an der Seite der
Anti-Establishment-Kraft Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) sah.
Salvini wollte schnelle Neuwahlen, um dann selbst Regierungschef zu werden.
Doch zu seiner Überraschung [2][einigten sich die beiden Erzfeinde, das M5S
und die gemäßigt linke Partito Democratico (PD)], auf eine neue Koalition,
in die auch die kleine radikal linke Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und
Gleiche) eintrat. Vor allem Matteo Renzi, damals noch in der PD, hatte
dieses neue, als reine Negativkoalition gegen die Lega auf die Welt
gekommene Bündnis favorisiert.
Doch kaum stand die neue Regierung, spaltete Renzi die PD und gründete
seinen eigenen Kleinverein Italia Viva, der jedoch in der
Regierungskoalition verblieb, mit nunmehr vier Partnern. Dass die Regierung
seitdem hält, lag nicht zuletzt daran, dass sie schnell mit dem
Coronanotstand konfrontiert war – und dass die beiden großen Partner M5S
und PD bei den Maßnahmen gegen die Pandemie und ihre sozialen Folgen
weitgehend an einem Strang zogen. Vor allem Conte erlebte während der
Pandemie einen deutlichen Popularitätszuwachs.
Renzi dagegen steht vor der Tatsache, dass seine Partei aus dem Umfragetief
von 2 bis 3 Prozent nicht herauskommt. Seine Antwort ist deshalb jetzt,
dass er Italia Viva mehr Profil im Bündnis verschaffen will, zur Not auch
mit einem Koalitionsdauerkrach.
Deshalb hegt Conte den Verdacht, Renzi gehe es weniger um die inhaltlichen
Punkte als darum, den Ministerpräsidenten auszuwechseln. Und wie schon im
Sommer 2019 ist es erneut ein Matteo, diesmal Renzi statt Salvini, der an
Contes Stuhl sägt. Als mögliche Lösung gilt ein Rücktritt Contes und dann
sofort die Bildung einer Nachfolgeregierung mit denselben Partnern und
demselben Regierungschef, aber einem runderneuerten Kabinett. Doch Conte
traut dieser Lösung nicht, da er vermutet, Renzi könne dann die Forderung
nach dem Wechsel an der Spitze der Regierung aus dem Hut zaubern. Sollte es
nicht zu einer Einigung in letzter Minute kommen, drohen Neuwahlen, die
jedoch für Renzis Partei das politische Aus bedeuten könnten.
11 Jan 2021
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## AUTOREN
DIR Michael Braun
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