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       # taz.de -- Streit ums Impfen: Feindbild Impfgegner
       
       > Menschen, die Impfungen ablehnen, werden als antiaufklärerisch
       > dargestellt. Doch diejenigen, die das behaupten, machen es selbst nicht
       > besser.
       
   IMG Bild: Warum arbeiten sich so viele ausgerechnet an Impfgegnern ab?
       
       Kennen Sie den? „Warum weint das zweijährige Kind eines Impfgegners? –
       Midlife Crisis!“ Witze sind das Erste, was Google zu [1][„Impfgegnern“]
       vorschlägt. Offenbar finden viele Leute diese lustig. Worüber lacht man
       gerne? Über das, was ängstigt. Das ist nicht verwerflich. Gefährlich wird
       es, wenn jemand nicht weiß, dass es keine rationalen Gründe für die Angst
       gibt, und noch gefährlicher, wenn er oder sie Gefühle zur Basis
       journalistischer Texte macht.
       
       Doch beim Thema Impfen drehen auch Journalist*innen schnell am Rad –
       lange vor der Pandemie. 141 Artikel zählt das taz-Archiv zum Stichwort
       „Impfgegner“ seit Juli 2012, etwa die Hälfte bezieht sich auf
       Masern-Impfungen, die andere auf Corona. Zum Vergleich: „Holocaustleugner“
       wurden im selben Zeitraum in 128 Artikeln erwähnt, „Klimasünder“ in 86. In
       der Zeit findet sich ein ähnliches Ergebnis.
       
       Impfgegner scheinen also ein wichtiges Thema zu sein, wobei selten
       definiert wird, wer darunter fällt. Stattdessen dient das Wort als
       Kampfbegriff, synonym verwendet für „globulischluckende Vollpfosten“. Aber
       sicher sind sich [2][Journalist*innen: Es werden immer mehr.] Richtig ist,
       dass die [3][WHO vor zwei Jahren warnte], weltweit würden zu viele Menschen
       nicht an Impfungen teilnehmen. Manche, weil sie Impfungen ganz oder
       teilweise ablehnen. Und [4][wenn Thüringens Innenminister der taz] sagt,
       dass sich gerade ein Teil der Impfgegner radikalisiert, dann wird er dafür
       gute Gründe haben.
       
       Aber: Es gibt keine Belege dafür, dass sie mehr werden. Im Gegenteil. Die
       Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) fragt seit 2012 alle
       zwei Jahre Einstellungen zum Infektionsschutz ab. [5][Nach der aktuellen
       Studie aus dem Jahr 2018] ist die Gruppe derjenigen, die Impfungen
       uneingeschränkt befürwortet, immer größer geworden und nur noch 2 Prozent –
       statt 4 Prozent im Jahr 2012 – lehnen Impfungen ganz ab. Entgegen der oft
       verbreiteten Annahme halten nicht Akademiker*innen häufiger Impfungen
       für überflüssig, sondern Menschen mit „mittlerem oder niedrigem
       Bildungsniveau“.
       
       Hochgerechnet auf alle Volljährigen gibt es danach aufgerundet anderthalb
       Millionen Impfgegner in Deutschland. Mit und ohne Kinder, mit und ohne
       Sendungsbewusstsein. Ob ihr Impfschutz schlechter ist als der von
       Impfbefürwortern? Wie bedrohlich sie sind? Und warum? Man weiß es nicht und
       hält Recherche nicht für nötig. Es grenzt an Verschwörungstheorie, [6][wenn
       die Welt wie im November raunt] „Und ihre Ansichten sind weiter verbreitet,
       als man annehmen könnte.“
       
       Den Nachweis darüber, dass Impfgegnertum eine ernst zu nehmende
       Diskursgröße wäre, blieben die Welt-Autoren genau so schuldig wie [7][die
       taz, die im März 2019 „massiv protestierende“ Impfgegner] dafür
       verantwortlich machte, dass Masernimpfungen zurückgingen. Wahr ist: In
       Deutschland sind die Impfquoten bei Kindern auch für Masern nach [8][einer
       vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Studie] gestiegen. In dieser
       steht, dass viele Eltern Masern-Impfungen nicht aus Borniertheit versäumen,
       sondern aus Zeitmangel, Angst vor Nebenwirkungen und Unwissen. Das ließe
       sich anders behandeln als mit einer Impfpflicht, wie sie 2020 eingeführt
       wurde. Dennoch begründeten damals die Kommentator*innen ihre
       begeisterte Zustimmung damit, dass nur so den Impfgegnern beizukommen sei –
       oft mit gehässigen Seitenhieben gegen Alternativmedizin und Waldorfschulen.
       
       [9][Ganz ähnlich argumentierte jüngst ein Spiegel-Online-Autor], der sich
       über die niedrigen Zustimmungsraten zur Covid-19-Impfung beklagte. „Ich
       glaube, die Impfskepsis vieler Deutscher ist Ausdruck einer wachsenden
       Öko-Esoterik, Naturverklärung und Technikfeindlichkeit in
       Gesundheitsfragen“, schrieb er im Dezember. Er erklärte auch, worauf er
       seinen Glauben begründet: „Fast 50.000 Heilpraktiker sind in Deutschland
       tätig, genaue Daten fehlen, doch ihre Zahl dürfte sich in den vergangenen
       20 Jahren etwa verdoppelt haben.“ Die Grünen – wer sonst – seien auch
       irgendwie schuld, weil die vor Gentechnik warnen würden.
       
       Klar, man kann jede Gelegenheit nutzen, gegen Esoterik (oder was man dafür
       hält) zu keilen – oder recherchieren. Zum Beispiel auf der Homepage der
       Universität Erfurt. Dort werden regelmäßig [10][Ergebnisse des
       Cosmo-Monitoring]s veröffentlicht, das „Wissen, Risikowahrnehmung,
       Schutzverhalten und Vertrauen während des aktuellen
       Covid-19-Ausbruchsgeschehens“ abfragt. Danach stieg die Impfbereitschaft
       bis Dezember wieder an und liegt bei 57 Prozent. Die anderen 43 Prozent
       halten Corona für ungefährlich oder zögern, weil sie kein Vertrauen in die
       Impfung haben oder den persönlichen Nutzen abwägen. Das kann man zum
       Fürchten finden – oder darauf setzen, dass der Mensch sich nicht nur an
       Telefon und Atomkraft gewöhnen kann, sondern auch an Covid-Impfungen.
       Keinen Einfluss auf die Impfbereitschaft hat laut Cosmo das Wissen darüber,
       dass es sich um einen genbasierten Impfstoff-Typ handelt. Auch ist die
       Impfbereitschaft höher bei Gebildeten, die eher verdächtig sind, zu viel
       Geld für Heilpraktiker*innen auszugeben.
       
       Diejenigen, die sich als Hüter der Aufklärung gerieren, die streng
       empirischen Kriterien folgen, tun dies also genauso wenig wie die, über die
       sie sich erheben mit ihren irrational gescholtenen Ängsten vor
       Nebenwirkungen. Das provoziert Polarisierung und wirkt erkenntnishemmend.
       
       Aber warum arbeiten sich so viele ausgerechnet an Impfgegnern ab? Was macht
       ihnen solche Angst? Warum sind klimaschädigende Vielflieger keine
       Witzfiguren? Die Küchenpsychologie legt nahe, dass man sich immer gegen das
       besonders stark abgrenzen muss, was einem nahe ist. Nicht nur in der
       Kreuzberger Blase, sondern auch in sich selbst. Auffallend ist jedenfalls,
       dass Impfgegnern an erster Stelle stets ihr Egoismus vorgeworfen wird. In
       einer hyperindividualisierten Gesellschaft verhalten sich aber alle auf die
       eine oder andere Weise unsolidarisch.
       
       14 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronavirus-in-Frankreich/!5740112
   DIR [2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article117689049/Die-Irrationalitaet-der-Impf-Gegner.html
   DIR [3] https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019
   DIR [4] /Radikalisierung-von-Impfgegnern/!5740554
   DIR [5] https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Infektionsschutzstudie_2018.pdf
   DIR [6] https://www.welt.de/politik/deutschland/article220259232/Verschwoerungsideologien-Jetzt-radikalisieren-sich-die-Impfgegner.html
   DIR [7] /Kommentar-Masernimpfung/!5579996
   DIR [8] https://link.springer.com/epdf/10.1007/s00103-019-02901-5?shared_access_token=yObdaLzMDz3KN7ONI1MlGve4RwlQNchNByi7wbcMAY7fv6nYLZulKxweFQmZaoP6cvCb6fuN6BqvQUk8pHv9Q9QqWO9-IHt8U7CA9QZ4Z4ZAZHtj08st0GBrRWYlE1-OIZclBgLw2g8BBwItIxbtfw%3D%3D
   DIR [9] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/impfgegner-eine-ueberdosis-german-angst-kolumne-a-00000000-0002-0001-0000-000174544026
   DIR [10] https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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