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       # taz.de -- Flüchtlingskinder im Homeschooling: Digitales Lernen ausgeschlossen
       
       > Homeschooling ist für Flüchtlingskinder besonders hart: Nur wenige haben
       > Computerzugang, viele Heime noch immer kein oder zu schwaches Internet.
       
   IMG Bild: Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) präsentiert einen der Schul-Laptops (Dezember 2020)
       
       Berlin taz | Homeschooling ist für viele Eltern und Kinder eine enorme
       Belastung. Umso mehr gilt dies für Familien, die nicht einmal die
       elementaren Voraussetzungen für einen gelingenden digitalen Unterricht
       haben: schnelles Internet und die passende Hardware. Viele Geflüchtete
       können ein Lied davon singen. Denn auch zehn Monate nach Beginn der
       Pandemie gibt es in vielen Gemeinschaftsunterkünften kein ausreichendes
       WLAN, berichten FlüchtlingshelferInnen der taz.
       
       „Nach unserer wie auch der Erfahrung anderer Initiativen reicht das
       Internet in den meisten Heimen noch immer nicht aus, um von den
       Bewohnerzimmern aus digitalem Unterricht zu folgen – ganz abgesehen von der
       Schwierigkeit, sich in einem Zimmer zu konzentrieren, in dem man keinen
       Arbeitsplatz hat und die kleinen Geschwister um einen herum spielen“, sagt
       Amei von Hülsen-Poensgen von der Initiative Willkommen im Westend.
       Christian Lüder von Berlin hilft ergänzt: „Dazu hat kaum ein Kind bisher
       ein versprochenes mobiles Endgerät tatsächlich erhalten. Infos zu
       besonderen Angeboten der Schulen für benachteiligte geflüchtete Kinder
       werden entweder gar nicht oder nicht in Übersetzungen kommuniziert. Damit
       werden Integration und Beschulung massiv verhindert und eine ohnehin
       benachteiligte Gruppe wird weiter abgehängt.“
       
       Schon im ersten Lockdown hatten Flüchtlingsinitiativen die mangelnde
       Internetausstattung von vielen Unterkünften des Landesamts für
       Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) beklagt. Dieses hatte dann die Betreiber
       „mit der temporären Ausweitung des WLAN-Empfangs auf die Wohnräume
       beauftragt“, erklärt Sprecher Sascha Langenbach. Inzwischen seien 60 von 78
       Unterkünften mit WLAN auf den Zimmern der BewohnerInnen ausgestattet.
       
       Abgesehen davon, dass damit immer noch knapp ein Viertel der rund 20.000
       BewohnerInnen von LAF-Heimen kein WLAN hat und man sich dort mit Sticks
       behelfen muss, die teils privat von BewohnerInnen gekauft werden müssen und
       nur begrenztes Datenvolumen haben (Zoom-Konferenzen „fressen“ bekanntlich
       viel): Die ehrenamtlichen HelferInnen überzeugt das nicht. „Selbst wenn
       sich das LAF und der Betreiber bemühen, genügt oft die Bandbreite des WLAN
       nicht für alle BewohnerInnen oder alle Gebäude“, sagt Ines Stürmer von
       Pankow hilft, ähnliches berichtet Lüder.
       
       ## Neubauten mit Stahlbeton
       
       Besonders bestürzend ist die Neuigkeit, dass ausgerechnet die Neubauten des
       LAF hier Probleme machen. Laut Felicitas Karimi, Beraterin für Geflüchtete
       beim Verein Mittelhof in Zehlendorf, gibt es in der Gemeinschaftsunterkunft
       Beelitzhof in Zehlendorf (480 Plätze), die erst voriges Jahr eröffnet
       wurde, kein WLAN für die BewohnerInnen, da keine leistungsfähige
       Datenverbindung nach außen vorhanden ist. Auch in der Leonorenstraße in
       Steglitz (449 Plätze, 2019 bezogen) habe die Verbindung eine so niedrige
       Leistung, dass das WLAN immer wieder ausfällt.
       
       Beide Gebäude seien aus Stahlbeton und daher so abgeschirmt, dass ein
       Internetempfang auch per Handy kaum möglich sei. „Im Lockdown beraten wir
       die Geflüchteten per Telefon, Email und Videochat. Ohne Handyempfang und
       Internet ist jedoch sowohl die Beratung als auch das Homeschooling sehr
       schwierig“, erklärt sie. Zwar gebe es in beiden Heimen je einen
       Gemeinschaftsraum mit Computerarbeitsplätzen – aber dies sei viel zu wenig
       für Dutzende Kinder, die online lernen und sich die Geräte mit den
       Erwachsenen teilen müssen.
       
       In dem Spandauer Heim, wo Familie S. wohnt, ist der Gemeinschaftsraum wegen
       Corona ohnehin geschlossen. Die Familie wohnt zu siebt in zwei kleinen
       Zimmern, in dem einen Eltern und der 3-jährige Sohn, im anderen vier
       Mädchen. „Ich mache meine Arbeit mit dem Handy auf dem Bett“, sagt Sara.
       Die achtjährige geht in die Grundschule, ihre drei älteren Schwestern in
       Willkommensklassen. Und die 16-jährige Aya erzählt: „Mit einem Computer
       könnte ich besser arbeiten, gerade wenn wir viele Hausaufgaben haben. Und
       wir lernen alle in einem Zimmer, da ist es schwierig sich zu
       konzentrieren.“ Immerhin gibt es in ihrem Heim WLAN, sie können mit ihren
       Handys gucken, welche Aufgaben sie in den Heften bearbeiten müssen. Ihre
       Antworten fotografieren sie und schicken diese den LehrerInnen.
       
       Aber auch Nachhilfe findet, wo es sie gibt, dieser Tage online statt und
       braucht entsprechende Ausstattung. Das Landesjugendwerk (LJW) der
       Arbeiterwohlfahrt Berlin bietet seit dieser Woche, wie schon im ersten
       Lockdown, online-Nachhilfe durch Ehrenamtliche in einem Lichtenberger Heim
       an. Den Stick fürs Internet habe man selbst gekauft, erzählt
       Projektleiterin Anna Lenk, ebenso ein Tablet – keines von den knapp 200
       Schulkindern im Heim habe eines. Mit einem Endgerät könne aber immer nur
       ein Kind Nachhilfe bekommen. „Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen
       Stein“, so Lenk.
       
       ## Wenig Tablets von den Schulen angekommen
       
       Auch Petra Becker vom Verein Back on Track weiß, wie schwierig bis
       unmöglich lernen ohne Computer jetzt ist. Ihr Verein organisiert seit 2016
       Nachhilfe auf Arabisch, zu den samstäglichen Lerntreffen im Kultur- und
       Begegnungshaus Ulme35 in Charlottenburg kamen vor Corona 120 bis 150 Kinder
       und Jugendliche. Durch die Umstellung auf Online-Unterricht seien viele
       Kinder erstmal weggeblieben, mit dem Handy sei es eben sehr mühsam, so
       Becker. Mit ihrem Verein hat sie versucht, für Familien beim Jobcenter
       Computer zu beantragen. „Die Anträge wurden aber immer abgelehnt mit dem
       Argument, dafür seien die Schulen zuständig.“
       
       In der Tat sollen inzwischen rund 51.000 Tablets über die Schulen verteilt
       worden sein. Viele Flüchtlinge hätten aber noch keines erhalten, sagt
       Christian Lüder. Felicitas Karimi berichtet, dass manche Schulen zunächst
       eine Ablehnung vom Jobcenter sehen wollen, bevor sie – wenn überhaupt –
       Tablets herausgeben. Im Beelitzhof hätten viele Kinder Tablets von ihrer
       Schule bekommen – nur fehlt dort ja das Internet. Das ist auch die
       Erfahrung von Amei von Hülsen-Poensgen aus Charlottenburg. „Ich kenne
       Kinder, die Tablets von der Schule bekommen haben. Aber was nützt das ohne
       WLAN?“
       
       15 Jan 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
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