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       # taz.de -- Nach Brand im Flüchtlingslager Lipa: Tausende der Natur ausgeliefert
       
       > Am Mittwoch brannte das Lager Lipa in Bosnien und Herzegowina nieder.
       > Heftige Schneefälle erschweren die Situation der Menschen noch
       > zusätzlich.
       
       Split taz | Für die rund 10.000 MigrantInnen, die sich in Bosnien und
       Herzegowina aufhalten, wird die Lage immer bedrohlicher. Heftige
       Schneefälle haben große Teile des Landes lahmgelegt. Nach dem Brand im
       Flüchtlingslager Lipa in der Nähe der bosnischen Stadt Bihac am
       Mittwochabend sind mindestens 1.300 ehemalige BewohnerInnen des Lagers der
       Natur schutzlos ausgeliefert.
       
       Ihnen und den vielen Tausend MigrantInnen, die das Lager schon vor dem
       Brand verlassen hatten und in provisorischen Unterkünften nahe der
       kroatischen Grenze leben, fehlt es an allem. An Nahrung, an Wärme, an
       medizinischer Versorgung. Was sich aktuell in Bosnien abspielt, ist eine
       humanitäre Katastrophe.
       
       Die Infrastruktur des verlassenen Lagers Lipa sei laut einem
       Polizeisprecher von den Flammen komplett vernichtet worden. Tote habe es
       keine gegeben. Die Feuerwehr habe den Brand inzwischen gelöscht. Die
       Polizei nimmt an, dass das Zeltlager von den BewohnerInnen selbst
       angezündet worden sei.
       
       Statt die mutmaßliche Brandstiftung als Aufschrei über die Zustände in Lipa
       zu verstehen – das Lager war keineswegs winterfest und weder an Strom- noch
       Wasserversorgung angeschlossen – beklagte der Polizeisprecher das Feuer als
       „kriminelle Tat“.
       
       ## Chef der IOM-Mission kritisiert Bosnien
       
       Verantwortliche für die Situation der Geflüchteten in Bosnien gibt es
       einige. Zum einen hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM)
       das Lager einen Tag vor Weihnachten geschlossen, ohne den Menschen eine
       Alternative anzubieten. [1][Das alte Lager Bira] in einer ehemaligen
       Fabrikhalle der Stadt Bihac war bereits vor mehreren Monaten aufgelöst
       worden.
       
       Der Chef der IOM-Mission für Bosnien, Peter van der Auweraert, beklagt
       jetzt zu Recht die Unfähigkeit der bosnischen Behörden. Die Geflüchteten
       hätten „ebenso wie der Rest Europas“ über die Feiertage warm untergebracht
       werden sollen, erklärte er. Wie und wo das hätte passieren sollen, sagte
       von der Auweraert allerdings nicht.
       
       Zum anderen verantwortlich sind die bosnischen Behörden. Die Stadt und der
       Kanton Bihac sind seit Jahren mit der Unterbringung Tausender MigrantInnen
       überfordert und fühlen sich von der Zentralregierung alleingelassen. Die
       meisten Geflüchteten wollen nicht in Bosnien und Herzegowina bleiben,
       sondern versuchen die Grenze nach Kroation zu übertreten und von dort in
       weitere Länder der EU zu gelangen.
       
       ## Widerspruch mit europäischem Recht und Gewissen
       
       Doch da die kroatische Polizei die MigrantInnen [2][mit brutalen Methoden
       immer wieder nach Bosnien zurückdrängt], sitzen sie in Bihac in der Falle.
       Die anfängliche Hilfsbereitschaft der Menschen dort ist mittlerweile
       spürbar zurückgegangen.
       
       Alle Aufrufe des Kantons Bihacs, die Geflüchteten auch in anderen Teilen
       Bosniens aufzunehmen und Lager im ganzen Land zu errichten, verhallen. Nur
       in Sarajevo sind Unterkünfte geschaffen worden. Die meisten Städte und
       Gemeinden fürchten Konflikte mit den MigrantInnen. Die überwiegend
       christlich geprägten Landesteile Bosnien und Herzegowinas – so die
       serbische Teilrepublik und die kroatisch dominierten Kantone – befördern
       die Menschen, die meist über Serbien einreisen, schnell in die mehrheitlich
       bosniakisch-muslimischen Gebiete, vor allem also nach Bihac.
       
       Schuld aber trägt auch die EU. Sie hielt es bisher nicht für nötig,
       Kroatien aufzufordern, EU-Recht anzuwenden und den MigrantInnen
       Asylverfahren anzubieten. Schon lange weisen BeobachterInnen darauf hin,
       dass die Vorgänge rund 600 Kilometer von Deutschland entfernt, europäischem
       Recht und Gewissen widerspreche.
       
       26 Dec 2020
       
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