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       # taz.de -- Nach dem Wintereinbruch in Spanien: Das Eis-Chaos bleibt
       
       > Als es kürzlich schneite wie ewig nicht mehr, reagierten weder Stadt-
       > noch Regionalverwaltung. Die Madrider waren auf Selbsthilfe angewiesen.
       
   IMG Bild: Seltener Anblick: Schneeräumarbeiten in Madrid am 13. Januar
       
       Madrid taz | Die beiden städtischen Straßenkehrer erinnern irgendwie an
       Jacques Tati in seinem Film „Schützenfest“, wie er als Dorfbriefträger von
       der modernen Postzustellung in den USA träumt. „Du weißt schon, dass es
       Maschinen gibt, mit denen das Eis einfach weggefräst werden kann, ohne die
       Gehwegplatten zu beschädigen?“, fragt einer der beiden, während er mit
       einer Hacke auf die 15 Zentimeter dicke Eisschicht auf einem Trottoir im
       Stadtteil Lavapiés in der Madrider Altstadt einschlägt. Der Kollege
       schaufelt weg, was sich löst. Hinter den beiden liegen Hunderte Meter
       Gehsteig, vor ihnen auch.
       
       „Hätten sie uns rechtzeitig losgeschickt, wäre es gar nicht erst soweit
       gekommen“, ist er sich sicher. [1][Als es am vergangenen Wochenende in
       großen Teilen Spaniens schneite wie seit mindestens 50 Jahre nicht mehr,
       reagierten weder Stadt- noch Regionalverwaltung]. Der Schnee blieb liegen.
       
       Als die ersten Räumfahrzeuge und Arbeiter montags ausrückten, [2][hatten
       die tiefen Temperaturen längst alles zu Eis werden lassen]. Die großen
       Verkehrsadern sind jetzt wieder frei. Doch in den Stadtteilen herrscht auch
       eine Woche nach dem Schneefall Chaos. Eis bedeckt noch immer die Straßen,
       unter der Schneelast zusammengebrochene Bäume und herabgestürzte Äste
       liegen überall herum. Autos stecken weiterhin im Eis fest. Der Müll wird
       nicht abgeholt.
       
       „Mehrere Lieferanten sind seither nicht gekommen“, sagt Tere, die Inhaberin
       eines kleinen Bioladens um die Ecke. Die Straße vor dem Geschäft ist für
       Fahrzeuge unpassierbar. Nicht nur bei ihr fehlt es an Gemüse. Auch die
       Supermärkte sind leergekauft. Bäckereien, die vorgebackene Ware beziehen,
       haben kein Brot.
       
       ## „Klar hat die Verwaltung versagt“
       
       „Auch für Fußgänger ist es gefährlich glatt“, erzählt Tere. Ihre
       Mitarbeiterin ist eine von Tausenden, die nach einem Sturz ins Krankenhaus
       eingeliefert werden mussten. „Sie hat sich an der Schulter verletzt. Ein
       Riss in einem Knochen. Sie muss zu Hase bleiben, mit dem Arm in einem
       Verband und einer Schlinge.“
       
       „Es war seit Tagen klar, dass das Sturmtief viel Schnee bringt. Und nichts
       wurde unternommen. Nicht einmal vor den Krankenhäusern und Schulen wurde
       der Schnee weggeräumt. Ein Skandal“, beschwert sich Maribel. Sie ist
       Professorin an der Universität. Bis Montag wurde der Unterricht an Schulen
       und Unis auf online umgestellt. Maribel ist gespannt, wie es dann
       weitergeht. „Wegen Covid haben wir bisher mit offenen Fenster unterrichtet,
       aber bei den niedrigen Temperaturen ist das keine Option“, sagt sie.
       
       „Wenn wir nicht selbst die Schaufel in die Hand genommen hätten, sähe es
       noch schlimmer aus“, sagt Cesar, der seinen Hund ausführt. „Ich habe den
       Gehsteig vor unserem Gebäude gereinigt und die Einfahrt und den Eingang in
       der Altentagesstätte nebenan auch.“
       
       „Klar hat die Verwaltung völlig versagt. Aber die Zivilgesellschaft hat
       sich organisiert“, gewinnt Rentner Rafa dem Ganzen etwas Positives ab. Als
       Beweis dient ihm vor allem eine besondere Initiative. „Du hast sicher die
       Telegram-Gruppen für Geländewagenbesitzer gesehen. Über 8.000 Freiwillige,
       die Allradfahrzeuge besitzen, haben sich eingeschrieben“, sagt er. Als die
       Ambulanzen und selbst die Polizei mangels Winterreifen und Schneeketten
       nicht mehr durch das Chaos kam, beförderten die Geländewagen Notfälle und
       Personal in die Krankenhäuser.
       
       ## „Ihr müsst selbst schauen, wie Ihr ins Krankenhaus kommt“
       
       Miguel und Francisca, ein junges Pärchen, das vor einigen Monat auf der
       Flucht vor Coronavirus und hohen Mietpreisen den Stadtteil gegen ein Dorf
       im Umland tauschten, musste von dem Dienst der Freiwilligen Gebrauch
       machen. Am Mittwoch setzten bei der hochschwangeren Francisca überraschend
       die Wehen ein. „Mit dem Auto kamen wir nicht vorwärts, selbst mit Ketten
       nicht. Wir riefen die Ambulanz und Polizei an. ‚Es ist unmöglich, euch
       abzuholen, ihr müsst selbst schauen, wie ihr ins Krankenhaus kommt.‘
       
       Schließlich gelang es uns, mit einem Freiwilligen mit Geländewagen Kontakt
       aufzunehmen“, teilte der glückliche Vater Miguel kurz nach der Geburt in
       den sozialen Netzwerken mit. „Für immer dankbar“, endet sein Post unter dem
       Hunderte Glückwünsche von Freunden und ehemaligen Nachbarn aus Lavapiés
       stehen.
       
       16 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://elpais.com/espana/madrid/2021-01-12/filomena-cronica-de-una-catastrofe-a-camara-lenta.html
   DIR [2] https://elpais.com/espana/2021-01-09/la-nieve-acumulada-permanecera-al-menos-una-semana.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
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