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       # taz.de -- Pro und Contra zu Coronamaßnahmen: Quarantäne-Verweigerer wegsperren?
       
       > Bisherige Maßnahmen gegen hohe Infektionszahlen wirken kaum.
       > Schleswig-Holstein will Uneinsichtige in den Jugendknast sperren.
       
   IMG Bild: Hier könnten bald Quarantäne-Verweigerer einsitzen: Arrestanstalt bei Neumünster
       
       Heute treffen sich Kanzlerin Merkel und die Länderspitzen zum vorgezogenen
       Coronagipfel. Aber die Infektionszahlen, die trotz der Einschränkungen
       nicht nennenswert sinken, sorgen auch in den Ländern für Debatten.
       Schleswig-Holstein will nun zu einem drastischen Mittel greifen. Ist es
       richtig, Quarantäne-Verweigerer wegzusperren? 
       
       ## Ja,
       
       denn das ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit. Bei wenigen Ereignissen lässt
       sich so wenig behaupten, es handele sich um eine Erfindung wie bei der
       Coronapandemie. [1][Weltweit], in den verschiedensten Kulturen und unter
       den verschiedensten [2][Regierungsformen] wird wahrgenommen, dass
       ungewöhnlich viele Menschen erkranken und sterben. So viele Zeugen gab es
       selten.
       
       Dazu kommt der seltene Fall, dass sich während der Pandemie live
       vergleichende Regierungsforschung betreiben lässt. Die Basis hierfür ist
       die statistische [3][Übersterblichkeit in verschiedenen Ländern], in denen
       die Epidemie mehr oder weniger unter Kontrolle gehalten wurde. In
       Deutschland war sie moderat, in Belgien exorbitant, wie sich auf der
       Website des Statistischen Bundesamts nachschauen lässt.
       
       Wenn also das Risiko, jemanden tödlich anzustecken, bei Corona wesentlich
       höher ist als bei einer normalen Grippe, dann ist es geboten, sich so zu
       verhalten, dass man andere Menschen nicht mutwillig ansteckt. Was beim
       Aids-Virus als selbstverständlich angesehen wird, sollte auch bei Corona
       gelten.
       
       Nun steckt man sich mit Corona viel leichter an als mit Aids: Wo im einen
       Fall ein Kondom genügt, ist im anderen Falle eben eine Quarantäne
       erforderlich. Diese ergibt nur Sinn, wenn sie auch durchgesetzt wird. Das
       heißt: Wer nicht das Moralgefühl besitzt oder den Anstand, andere von sich
       aus zu schützen, muss gezwungen werden.
       
       Nach den Regeln, die hierzulande gelten, ist das auch möglich, ja sogar
       zwingend. Mag in dem einen oder anderen Kopf auch das Wort „Schutzhaft“ aus
       der Nazi-Zeit aufploppen, so ist das ein Reflex, der in die völlig falsche
       Richtung führt.
       
       Das Grundgesetz wägt die Freiheit des Einzeln fein gegen die Rechte der
       anderen ab. „Jeder hat das Recht auf die [4][freie Entfaltung seiner
       Persönlichkeit], soweit er nicht die Rechte anderer verletzt“, heißt es in
       Artikel 2. Zu den Rechten anderer gehört „das Recht auf Leben und
       körperliche Unversehrtheit“. Weigert sich jemand, der als ansteckend zu
       gelten hat, in Quarantäne zu bleiben, muss er deshalb als letztes Mittel
       festgesetzt werden. Darüber muss im Übrigen ein Richter entscheiden; steht
       auch im [5][Grundgesetz]. Gernot Knödler
       
       ## Nein,
       
       denn das wäre eine vollkommen überzogene Reaktion eines autoritär
       anmutenden Staates. Es ist der Versuch, von den bislang [6][recht
       erfolglosen Maßnahmen der Landesregierungen], die Virusausbreitung zu
       mindern, abzulenken. Statt Menschen wegzuknasten sollte die Politik
       anfangen, das Problem mit wirksamen Maßnahmen anzugehen.
       
       Es ist unbestritten, dass es sich bei den Quarantänebrecher:innen um
       idiotische Schwurbler:innen handelt. Auf die [7][muss der Staat reagieren],
       damit sie nicht andere Menschen anstecken. Das kann er und macht es bislang
       auch, ohne dass dafür ein Knast nötig wäre.
       
       So viele sinnvolle Maßnahmen liegen auf dem Tisch, wie die Zahlen wieder
       durch nicht-autoritäre politische Maßnahmen nach unten gedrückt werden
       können – von Massentestungen über kostenlose FFP2-Masken bis hin zum
       umfassenden Recht von Büro-Beschäftigten auf Homeoffice.
       
       Stattdessen wird überlegt, als letzte Maßnahme des Strafenkatalogs eine Art
       Knast für die ohnehin wenigen Menschen einzurichten. Für ein paar Personen
       kostet das unnötig viel Arbeitskraft. Die wäre besser in der
       Kontaktverfolgung der Gesundheitsämter aufgehoben.
       
       Es ist bezeichnend, wie locker leicht Menschen nun weggesperrt werden
       sollen und wie die Politik gleichzeitig fast schon zärtliche und demütige
       Appelle an die Wirtschaft stellt, doch bitte für ein klein wenig mehr
       Homeoffice-Möglichkeiten der Beschäftigten zu sorgen.
       
       Auch hier ist zu fragen: Warum soll nun viel Energie in den Betrieb eines
       Knastes gesteckt werden statt energisch das Einhalten des Arbeitsschutzes
       in Büros und Betrieben zu überprüfen? Es muss daher über eine
       [8][Schließung von Arbeitsstätten nachgedacht werden], in denen es nicht
       möglich ist, Abstand zu halten. Wir brauchen jetzt keinen strafenden,
       sondern einen schützenden Staat.
       
       Neu ist es nicht, dass sich die politischen Entscheidungsträger:innen nur
       allzu gern gegen kluge und stattdessen für autoritäre Problemlösungen
       entscheiden, deren Ergebnis dürftig sein wird. Das war schon mit dieser
       kaum verständlichen 15-Kilometer-Radius-Regelung der Fall, das wird die
       bald kommende nächtliche Ausgangssperre, und das ist auch ein Knast für ein
       paar Quarantäne-Verweiger:innen. Dennoch ist es einmal mehr ärgerlich.
       André Zuschlag
       
       18 Jan 2021
       
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   DIR [4] http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html
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