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       # taz.de -- Von Armenien nach Bergkarabach: Acht Kontrollen bis Stepanakert
       
       > Immer wieder werden Reisende auf der einzigen Straße von Armenien nach
       > Bergkarabach angegriffen. Unser Autor ist den Weg nachgefahren.
       
   IMG Bild: Der Grenzpunkt Armenien-Bergkarabach
       
       Die Straße, die Armenien mit Bergkarabach verbindet, ist ein Weg in die
       Hölle geworden – zumindest, wenn man Gerüchten Glauben schenkt, die in
       Armenien die Runde machen. Aserbaidschanische Soldaten sollen plötzlich aus
       Verstecken auftauchen und versuchen, Reisende zu fangen. Medien berichten,
       wie Aserbaidschaner*innen von Bergen Steine auf Autos werfen oder schießen.
       Mit diesem Kopfkino also beginnt die Autofahrt nach Bergkarabach.
       
       Die einzige schmale Straße dorthin ist etwa 75 Kilometer lang, zweispurig
       und führt durch den Latschin-Korridor. Nur über diesen Weg geht es für
       viele nach Hause – bis heute sind etwa 50.000 Armenier*innen nach
       Bergkarabach zurückgekehrt, die wegen der Kämpfe um die Region geflüchtet
       waren. Seit dem 1. Dezember 2020 wird die gleichnamige Region Latschin
       [1][gemäß des Waffenstillstandsabkommens vom 9. November] zwischen
       Armenien, Aserbaidschan und Russland von Aserbaidschan kontrolliert.
       
       Hier hat Russland Truppen stationiert, die das Geschehen für die nächsten
       fünf Jahre überwachen. Der erste von acht Kontrollpunkten befindet sich an
       der südlichen Grenze Armeniens. Hinter dem Grenzdorf Tegh sind Zelte zu
       beiden Seiten der Straße aufgeschlagen. Auf ihren Dächern flattern
       armenische und russische Flaggen. Ein armenischer Soldat kontrolliert die
       Ausweise der Reisenden. Von dort dauert die Fahrt bis Stepanakert,
       Hauptstadt von Bergkarabach, noch 90 Minuten. Bis zum letzten Tag vor der
       Übergabe der Region an Aserbaidschan hatte die armenische Regierung den
       Bewohner*innen keine klare Antwort gegeben, ob die Stadt Latschin
       (armenisch: Berzor) und zwei an der Straße gelegene Dörfer armenisch
       bleiben oder nicht.
       
       Der Blick auf dem Weg fällt auf grüne felsige Täler. Dort sind viele Häuser
       verlassen und teilweise zerstört. Nur in einzelnen Haushalten brennt Licht.
       Zum Anhalten ist das Risiko zu hoch. Hier bewachen nicht nur russische
       Friedenstruppen die Kontrollpunkte. Direkt daneben haben Panzer mit
       aserbaidschanischen Flaggen Positionen bezogen.
       
       Auf der rechten Seite erheben sich riesige Berge, auf der linken Seite geht
       es steil hinab. Die Straße befindet sich etwa 1.000 Meter über dem
       Meeresspiegel und steigt plötzlich steil bergan – innerhalb weniger Minuten
       auf über 2.000 Meter. An einer Kurve liegt ein umgekippter Zementwagen. Die
       Feuerwehr versucht zu helfen. Ein paar Kilometer weiter liegt ein Laster
       mit Weizen auf der Seite.
       
       Hier oben sind Himmel und Erde vor lauter Nebel nicht mehr zu
       unterscheiden. Plötzlich erscheinen zwei Soldaten und versperren den Weg.
       Aserbaidschaner? Nein. Zwei junge russische Soldaten. Sie haben vor Kälte
       gerötete Wangen und fragen freundlich, ob alles in Ordnung sei.
       Erleichterung. Doch die Anspannung will nicht weichen. Die Straßen säumen
       Militärgräben, die armenische Soldaten für ihre Verteidigung während des
       44-tägigen Krieges ausgehoben haben.
       
       Der Nebel steigt in die Schluchten hinab und verschwindet für ein paar
       Minuten. An einer Stelle haben Russen einen großen Unterschlupf für sich
       gebaut, der mit hohen Zäunen und Stacheldraht befestigt ist. Auf einem
       großen Schild steht: „Dort, wo wir sind, herrscht Friede“.
       
       Ein 21-jähriger Soldat freut sich über seinen Sold. Der sei nämlich in
       Armenien doppelt so hoch wie in seiner Heimat. „Aber die Armee ist nicht
       mein Ding“, sagt er. „Wenn ich wieder zurückgehe, wird dies hoffentlich
       meine letzte Erfahrung mit einer Waffe gewesen sein.“ An einem
       Kontrollpunkt ein paar Meter weiter will sein beleibter Kollege das Auto
       überprüfen. Mit einer Waffe in der Hand redet er lallend in forderndem Ton
       und schwankt hin und her. „Packt eure Handys und Kameras weg“, wiederholt
       er mehrmals mit drohender Stimme.
       
       Es geht wieder die Berge hinunter. Dann taucht der größte Kontrollpunkt
       auf. Die Straßen trennen sich. Eine führt in ein Tal, dort liegt
       Stepanakert, die Hauptstadt von Bergkarabach, die andere nach Schuscha. Das
       ist die zweitgrößte Stadt in Bergkarabach, die die Aserbaidschaner*innen
       während des Krieges erobert haben. Dutzende Soldaten und Offiziere, Panzer
       und Militärtechnik stehen aufgereiht. [2][Hier weht auch die türkische
       Flagge.]
       
       Es bleiben nur noch wenige Minuten bis Stepanakert. In der Ferne ist die
       armenische Flagge zu sehen, der letzte Kontrollpunkt. Ein armenischer
       Polizist blickt auf eine Liste und macht sich nicht einmal die Mühe, die
       Namen aller Reisenden zu überprüfen. Dieses Stück der Verbindungsstraße
       soll Russland teilweise neu bauen und auf fünf Kilometer verbreitern.
       Dadurch sollen direkte Kontakte mit den Aserbaidschaner*innen vermieden und
       die Sicherheit von Reisenden erhöht werden. Bis dahin werden in Stepanakert
       und Armenien wohl noch viele Geschichten darüber erzählt werden, was so
       alles auf dem Hin- und Rückweg passieren kann.
       
       11 Jan 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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