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       # taz.de -- Aufarbeitung von Attentat im Kongo: Geheimakte Kabila
       
       > Vor zwanzig Jahren wurde Kongos Präsident Laurent-Désiré Kabila
       > erschossen. Jetzt wurde der Hauptverurteilte begnadigt. Es wird Zeit für
       > die Wahrheit.
       
   IMG Bild: Kongos Präsident Tshisekedi (l.) und sein Vorgänger Joseph Kabila (r.) im Januar 2019
       
       Eddy Kapend war sichtlich überwältigt, als er am 8. Januar das
       Zentralgefängnis der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa verließ, genau 18
       Jahre und 1 Tag nach seiner Verurteilung zum Tode. Der kleine schmächtige
       Mann nahm feierlich gerührt seine Begnadigung entgegen. [1][Im Autokonvoi
       nach Hause] zeigte er, was in ihm steckt: Durchs offene Dach winkte er der
       Menschenmenge zu, mit dem Herrschersymbol eines Stockes in der erhobenen
       Hand grüßte er vor dem Familiengrundstück. Seitdem schaut das Land gebannt
       auf diesen ehemaligen Oberst. Wenn er sein Schweigen bricht, kann er die
       Demokratische Republik Kongo in den Grundfesten erschüttern.
       
       Eddy Kapends Viertelstunde Berühmtheit datiert vom 16. Januar 2001, als er
       im Staatsfernsehen über das am selben Tag erfolgte [2][Attentat auf
       Staatspräsident] Laurent-Désiré Kabila informierte und Bevölkerung und
       Streitkräfte zur Ruhe aufrief. Kongo stand unter Schock und rätselte: Ist
       Kabila tot? Ist das ein Putsch? Wer ist dieser unscheinbare Offizier?
       
       Die offizielle Version: Laurent-Désiré Kabila saß mittags am 16. Januar
       2001 in seinem Amtssitz im Gespräch mit einem Berater, als ein junger
       Leibwächter hereinkam, sich zum Präsidenten beugte, als wolle er ihm etwas
       ins Ohr flüstern, und ihn dann aus nächster Nähe in den Kopf schoss.
       Kabilas Aide-de-Camp Eddy Kapend rannte in den Raum und streckte den
       Attentäter mit der eigenen Waffe nieder. Kabila wurde schwer verletzt oder
       auch schon tot weggebracht und nach Simbabwe ausgeflogen, während Kapend
       erste öffentliche Maßnahmen zur Beruhigung ergriff.
       
       Noch in der Nacht einigten sich die hohen Militärs auf den Sohn des
       Präsidenten als Nachfolger: Joseph Kabila. Der wurde eingeflogen – aus
       Lubumbashi in Kongos Südregion Katanga, sagte er selbst; aus Simbabwe,
       behaupteten andere – und wurde am 26. Januar 2001 Präsident.
       
       Es war damals der Höhepunkt der Kongokriege, die halb Afrika zerrissen.
       Kabila hatte 1997 als Rebellenchef die finstere Mobutu-Diktatur gestürzt.
       Aber seine Armee brach mit ihm, Krieg brach aus, von Sudan bis Namibia
       griffen afrikanische Staaten auf beiden Seiten ein, das Land zerfiel.
       
       Ende 2000 errangen die Kabila-Gegner wichtige Siege. Joseph Kabila, Sohn
       des Präsidenten und Armeechef, musste nach einer schweren Niederlage nach
       Simbabwe fliehen. Das Regime stand mit dem Rücken zur Wand. In den Villen
       am Seeufer der Rebellenhauptstadt Goma schilderte man damals mit
       leuchtenden Augen [3][den bevorstehenden Sieg]. Im Januar werde etwas
       Entscheidendes passieren, war auch anderweitig in der Region zu hören. Alle
       rüsteten sich für bewegte Zeiten.
       
       Was dann kam, machte alle sprachlos: Der Mord an Laurent-Désiré Kabila. Es
       war kein Kopfschuss im Affekt, so viel war klar. Er entsprach einem Plan.
       Aber welchem? Und wurde der Plan ausgeführt oder durchkreuzt? [4][Das
       bleibt offen], bis heute. Als neuer Präsident führte Joseph Kabila Kongo
       zum Frieden, aber über den Tod des Vaters breitete er den Mantel des
       Schweigens. Kongos Friedensordnung beruht auf einem ungeklärten
       Kapitalverbrechen mit Anklängen eines Vatermordes. 135 Angeklagte landeten
       vor einem Militärgericht, im Januar 2003 wurde Eddy Kapend wegen
       Putschversuchs zum Tode verurteilt. Aber das Mordkomplott wurde nicht
       aufgeklärt. Nicht einmal der Todeszeitpunkt ist gesichert.
       
       Joseph Kabila regierte als Präsident genau 18 Jahre minus drei Tage. Am 23.
       Januar 2019 übergab er das Amt einem anderen Sohn eines illustren Toten:
       Felix Tshisekedi, Sohn von [5][Etienne Tshisekedi], historischer Vorkämpfer
       der kongolesischen Demokratiebewegung. Bei Kongos Wahlen 2011 hatte Joseph
       Kabila durch Fälschung Etienne Tshisekedi um den Wahlsieg betrogen – 2018
       betrog Kabila erneut und schenkte einen weiteren gefälschten Wahlsieg
       Tshisekedis Sohn. Kabila wollte einen gefügigen Statthalter als Nachfolger.
       Doch für Tshisekedi ist es eine späte Revanche für seinen Vater und er
       genießt die Rache langsam, [6][er höhlt das Kabila-Gewaltsystem von innen
       aus, jedes Jahr ein wenig mehr].
       
       Jetzt also Gnade für Eddy Kapend – und damit wird es persönlich. Aus der
       Haft heraus hatte Eddy Kapend schon bei einer Gedenkmesse vor drei Jahren
       klare Worte gewählt: „Alle Mörder Kabilas, alle Auftraggeber und alle, die
       ihn im Stich gelassen haben, sind in Freiheit. Im Gefängnis sitzen nur die
       Unschuldigen. Die Mörder sind draußen und sie wissen, dass wir wissen, dass
       sie draußen sind.“
       
       Indem er sich zum Beschützer des toten Kabila erklärt, macht Kapend sich
       unantastbar. Er kann auf einflussreiche Freunde zählen, Kameraden aus
       seiner Zeit als katangischer Exilant in Angola. Die „Katanga-Tiger“, Reste
       der Armee des kurzlebigen unabhängigen Katanga nach Kongos Unabhängigkeit
       1960, halfen 1997 Vater Kabila, Mobutu zu stürzen, und sie blieben ihm treu
       – nicht aber seinem Sohn, dem sie nicht trauten. Bis heute sorgt dies für
       Zerwürfnisse.
       
       Eddy Kapend hat sich inzwischen wieder zu Wort gemeldet, am 23. Januar, mit
       einem [7][Dankesvideo] an den Mwant Yav, den traditionellen König seiner
       Lunda-Volksgruppe – historisch eine Säule des Katanga-Separatismus. „Ich
       bin euer Sohn, den die Bösen in den Tod geschickt haben“, hob er an und
       stellte klar: „Ich habe Kabila nichts getan, ich habe ihn nicht getötet (…)
       Aber diejenigen, denen ich Gutes getan habe, die ich an die Macht gebracht
       habe, wendeten sich gegen mich, sie steckten mich ins Gefängnis, um mich zu
       töten.“
       
       Deutlicher kann man Joseph Kabila nicht den Krieg erklären, ohne den Namen
       auszusprechen. Die Aufarbeitung des 16. Januar 2001 ist nun dringender denn
       je – im Rahmen einer Gesamtaufarbeitung der Kongokriege insgesamt, die noch
       aussteht. Wer könnte dies einleiten, wenn nicht Felix Tshisekedi selbst,
       Kongos erster ziviler Präsident seit über einem halben Jahrhundert? In Eddy
       Kapend hätte er seinen ersten Kronzeugen.
       
       25 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=_zeE4fisG6c
   DIR [2] /!1191562/
   DIR [3] /!1197264/
   DIR [4] https://ifex.org/fr/rapport-de-jed-sur-lassassinat-de-kabila-a-loccasion-de-la-journee-mondiale-de-la-liberte-de-la-presse/
   DIR [5] /Jonas-Savimbi-und-Etienne-Tshisekedi/!5596558
   DIR [6] /Kolumne-Afrobeat/!5578452
   DIR [7] https://www.youtube.com/watch?v=ADjSwKK3Nis
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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