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       # taz.de -- Hunger in Nordäthiopien: Die Lage in Tigray ist dramatisch
       
       > In der nordäthiopischen Region Tigray droht eine Hungersnot, Millionen
       > Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Es häufen sich Berichte über Terror.
       
   IMG Bild: Äthiopischen Geflüchtete in der Region Tigray droht eine Hungersnot
       
       Nairobi taz | Drei Monate, nachdem die äthiopische Regierung die
       Regionalregierung der Tigray-Volksbefreiungsfront TPLF [1][militärisch in
       den Untergrund zwang], mehren sich Berichte über eine [2][katastrophale
       Lage] in der nordäthiopischen Region. Erst allmählich erreicht humanitäre
       Hilfe die knapp fünf Millionen Tigrayer, die monatelang weitgehend von der
       Außenwelt abgeschnitten waren.
       
       „Jedes Mal, wenn wir ein neues Gebiet erreichen, treffen wir auf einen
       Mangel an Nahrung und Wasser, erschöpfte Gesundheitsdienste und viel Angst
       in der Bevölkerung. Alle bitten um Essen“, sagt Mari Carmen Vinoles von
       Ärzte ohne Grenzen nach einer ersten Erkundungsmission in ländlichen
       Gebieten außerhalb der Städte Adrigat und Axum.
       
       Die Hälfte der Bevölkerung in Tigray braucht Hilfe, schätzt die UNO.
       Berhane Gebretsadik von der neu eingesetzten Tigray-Interimsverwaltung gab
       während eines Treffens mit UN-Offiziellen und Hilfswerken am 8. Januar zu,
       dass „Menschen hungern“. Nothilfe werde dringend gebraucht, sonst „könnten
       Hunderttausende verhungern“. Als die Kämpfe Anfang November 2020 begannen,
       stand die Erntesaison kurz bevor – viele Bauern mussten fliehen und ließen
       Äcker und Ernte im Stich.
       
       Dazu kommt der Terror ethnischer Milizen aus anderen Gebieten, die die
       nationale Armee gegen die TPLF unterstützen. Kämpfer aus der Nachbarregion
       Amhara werden massiver Verbrechen bezichtigt. Tigray und Amhara sind
       historische Rivalen um die Macht in Äthiopien, und die beiden Regionen
       streiten überdies um die gemeinsame Grenze.
       
       ## Journalisten kommen nicht in die Region
       
       Auch Soldaten aus dem Nachbarland [3][Eritrea] sollen in Tigray zur
       Unterstützung der äthiopischen Armee aktiv sein und dabei Plünderungen und
       Vergewaltigungen verüben. Die neue US-Regierung von Präsident Joe Biden
       fordert ihren sofortigen Abzug. Die Nachrichtenagentur AP zitiert einen
       Sprecher des US-Außenministeriums: „Es gibt glaubwürdige Berichte über
       Plünderungen, sexuelle Gewalt, Übergriffe in Flüchtlingslagern und andere
       Menschenrechtsverletzungen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass eritreische
       Soldaten eritreische Flüchtlinge gewaltsam von Tigray nach Eritrea
       zurückbringen.“
       
       Vor zwanzig Jahren war Äthiopien, regiert von einer TPLF-dominierten
       Regierung, gegen Eritrea in einen blutigen Grenzkrieg verwickelt. Der seit
       2018 amtierende äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed von Äthiopiens
       größter Volksgruppe, der Oromo, schloss Frieden mit dem einstigen Erzfeind,
       wofür er 2019 den [4][Friedensnobelpreis] erhielt.
       
       Jetzt kämpfen sie gemeinsam gegen die TPLF. Eritrea begleicht damit alte
       Rechnungen. Obwohl die äthiopische Regierung bestreitet, dass eritreische
       Truppen in Tigray sind, hat selbst die äthiopische Menschenrechtskommission
       berichtet, das eritreische Soldaten plünderten.
       
       Rund 50.000 Tigrayer sind nach Sudan geflohen und zahlreiche Frauen
       erzählen dort von Vergewaltigungen. Eine Kaffeeverkäuferin, die auf der
       Flucht von ihrer Familie getrennt wurde, berichtete, dass ein äthiopischer
       Soldat, dem sie begegnete, sie vor eine grauenhafte Wahl stellte: „Entweder
       ich bringe dich um oder ich vergewaltige dich“, habe er gesagt, erzählte
       sie einem Arzt in einem Flüchtlingslager in Sudan. Es ist unmöglich, solche
       Aussagen zu verifizieren, weil Journalisten nur selten nach Tigray gelassen
       werden. Selbst für Hilfswerke sind nicht alle Teile der Region zugänglich.
       
       Das gleiche gilt für Berichte über den Einsatz somalischer Soldaten in
       Eritreas Armee in Tigray. Bei Demonstrationen in Somalias Hauptstadt
       Mogadischu und anderswo fordern Mütter Aufklärung über das Schicksal ihrer
       Kinder, von denen sie lange nichts gehört haben. „Ich habe gehört, dass
       unsere Kinder, die zur militärischen Ausbildung nach Eritrea geschickt
       wurden, Abiy übergeben wurden, um für ihn zu kämpfen“, sagte Fatuma Moallim
       Abdulle, die Mutter eines 20-jährigen Soldaten. Die somalische Regierung
       dementiert.
       
       Von Äthiopiens Premier Abiy sieht oder hört man seit zwei Wochen nichts
       mehr. Er reagierte nicht einmal auf die Meldung der äthiopischen Armee, sie
       habe [5][historische TPLF-Führer in den Bergen aufgespürt und getötet] –
       darunter der respektierte ehemalige äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin
       (71).
       
       29 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
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