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       # taz.de -- Serie „Star Trek: Lower Decks“: Beam me down, Scotty!
       
       > Der Weltraum mal unglamourös? Die Serien „Star Trek: Lower Decks“ und
       > „Moonbase 8“ erzählen vom Alltag von Normalo-Astronaut:innen.
       
   IMG Bild: Die Moonbase in „Moonbase 8“ ist nicht auf dem Mond, sondern in der Wüste Arizonas
       
       Der Weltraum, unendliche Weiten. Aber darf man im Weltraum auch unendlich
       breit sein? Etwa auf eine Runde Frozen Margaritas, wie sie sich die jungen
       Fähnriche, frisch von der Sternenflotten-Akademie, in der neuen animierten
       Serie „Star Trek: Lower Decks“ genehmigen?
       
       Weltraumabenteuer, das waren lang die pathetischen Verlängerungen des
       Westerns in die nächste Dimension: Als die europäischen Eroberer ganz im
       US-Westen angekommen waren, in Kalifornien, blieb ihnen nur noch die
       Verlagerung, um nicht zu sagen: das Beamen, der Entdeckungs- und
       Eroberungsschauplätze in den Weltraum – natürlich von Kalifornien, von
       Hollywood aus. Der Revolverheld, der John Wayne der Zukunft – das war der
       Typ, der die Aliens zum Wohle der Menschheit wegballert.
       
       Im Science-Fiction-Klassiker „[1][Star Trek]“ verhielt es sich von Beginn
       an anders: Hier lag Utopia im All. Captain Kirk in der Originalserie
       (1966–1969) und, mehr noch, [2][Captain Picard] im Nachfolger „Raumschiff
       Enterprise: Das nächste Jahrhundert“ (1987–1994) waren, im Auftrag der
       antirassistischen, antikapitalistischen, kurzum humanistischen
       Planetenföderation keine Haudraufs, sondern weltoffene Erkunder – auf
       Mission, dorthin zu fliegen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist, und
       friedlich den Kontakt mit fremdem Leben zu suchen.
       
       Doch auch sie: Lichtgestalten, die man anhimmelt. Die neuen Sci-Fi-Serien
       „Star Trek: Lower Decks“ und „[3][Moonbase 8]“ zeigen hingegen keine
       solchen heroischen Überflieger:innen, sondern mittelmäßige
       Normalo-Astronaut:innen auf Nebenschauplätzen. Was ist denn da los?
       
       ## USS Cerritos statt Raumschiff Enterprise
       
       In „Star Trek: Lower Decks“, (Amazon Prime) der neuesten, animierten Serie
       im „Star Trek“-Franchise geht es um vier junge Sternenflotten-Ensigns,
       darunter die ultrademotivierte Becket Mariner (heimlicherweise die Tochter
       des Captains) und der tollpatschige Streber-Weirdo Brad Boimler. Sie
       arbeiten keineswegs, wie es gute „Star Trek“-Tradition wäre, auf dem
       berühmten Flaggschiff Enterprise, sondern auf der USS Cerritos, einem
       völlig unwichtigen Raumschiff.
       
       Denn, anders als die Enterprise, stellt die Cerritos keine Erstkontakte mit
       fremden Spezien her, sondern kümmert sich um den langweiligen Papierkram
       danach à la: „Wie schreibt man diesen Planeten noch mal richtig?“ Nicht
       genug der Schmach: Die Protagonist:innen aus „Lower Decks“ sind nicht
       mal Teil der Brückencrew, der Führungsoffiziere, wie man es bei „Star Trek“
       kennt, sondern arbeiten, wie es der neue Serienableger schon im Titel
       triggert, auf den lower decks, den tieferen Raumschiff-Stockwerken – den
       billigen Plätzen: Sie nächtigen unweit der Schallduschen in viertklassigen
       Schlafkajüten, die jeder Jugendherberge zu peinlich wären.
       
       Davon könnten die Protagonisten der Sky-Serie „Moonbase 8“ nur träumen:
       Anders als man anhand des Titels meinen könnte, sind sie keineswegs auf dem
       niedlichen Erdtrabanten stationiert, sondern in einem
       Astronauten-Vorbereitungscamp auf einem Gelände, das nur ungefähr so
       ausschaut wie der Mond: die Wüste von Arizona. Ob sie es jemals auf den
       echten Mond packen?
       
       Eigentlich sind die drei Dudes ziemlich beste Taugenichtse: Cap aus Hawaii
       ist bankrott und flieht vor seinen Geldeintreibern. Skip ist Astronaut,
       weil, na ja, sein Papa war halt auch schon Astronaut. Und Rook, der
       Religiöse, ist deshalb motiviert, zum Mond durchzustarten, weil er die
       Botschaft Gottes in das Universum tragen will. Kam sie da nicht eh her?
       
       ## Inspiriert von Donald Trump
       
       „Moonbase 8“ ist nicht allein damit, mit dem Szenario zu spielen, dass wir
       vielleicht bald wieder auf den Mond fliegen: Auch die Serie „Space Force“
       (Netflix) griff 2020 humoristisch die imperialistische Idee und Geste von
       Donald Trump auf, dass US-Ameriker:innen bald wieder den Mond besteigen
       sollten. All diese neuen Serien betreiben indes eine Dekonstruktion von
       Heldentum: Raumschiffmissionen erscheinen nicht mehr so weltverändernd wie
       noch in den fortschrittsoptimistischen, vom Aufbruch besessenen 1960er
       Jahren.
       
       Die drei in „Moonbase 8“ kochen Rührei, strampeln auf dem Heimtrainer,
       pflegen die Laborratte Jeremy und umarmen sich, damit die Isolation nicht
       zu schlimm wird. Bei all dem tun sie geradezu besessen so, als wären sie
       jetzt aber in ganz echt auf dem Mond, wirklich. Sie nehmen ihren Traum auf
       eine anrührende Weise ernst.
       
       Die Fähnriche in „Lower Decks“ machen allen Mistkram, auf den die Oberen
       keinen Bock haben. Wenn sie doch mal an einem Abenteuer mit einer
       Schleimspinne, sprechenden Hunden, fiesen Parasiten oder anderen
       beleidigten Aliens teilhaben dürfen, dann meist nur durch einen
       (un-)glücklichen Zufall. Die Männer in „Moonbase 8“ sind schon überfordert,
       wenn ein Skorpion aufkreuzt oder Waschbären ihren Müll plündern – oder
       ihnen das Wasser ausgeht und sie dann filtrierte Pisse trinken müssen.
       Prost!
       
       Zum Glück steht noch eine Flasche Champagner im Eisfach – eigentlich
       gedacht für einen gloriosen Moment. Beide sehenswerte, wenn auch
       passenderweise nicht herausragende Serien bauen ihren Humor auf der
       Tatsache auf, dass die Charaktere im konventionellen Sinne,
       gesellschaftlich wie popkulturell-erzählerisch, vernachlässigte Underdogs
       sind. Aber die Witze in den Serien sind (fast) nie gehässig, sondern
       neckisch-liebevoll.
       
       ## Fanservice-Referenzen
       
       Bei „Lower Decks“ überschlagen sich die Plotpoints, gespickt mit
       Fanservice-Referenzen auf vorige „Star Trek“-Serien, und man parliert in
       derber Sprache. „Moonbase 8“ zelebriert eher lakonisch das Nichtpassieren.
       Beide Comedy-Serien lassen an ein Gedicht von Bertolt Brecht denken:
       „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von 1935: „Wer baute das siebentorige
       Theben? / In den Büchern stehen die Namen von Königen. / Haben die Könige
       die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ Spoiler: Haben sie nicht. „Wohin gingen
       an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war / Die Maurer?“, fragt
       Brecht auch. Wahrscheinlich auf die Lower Decks.
       
       Brecht beklagt, dass wir Geschichte allzu oft aus der Sicht der
       Herrschenden erzählen. Was wäre, wenn wir uns Geschichten erzählten von
       Menschen, die unten schuften – und Sorgen haben, die nicht gleich die Welt
       bedeuten? Beide Serien, „Lower Decks“ und „Moonbase 8“, regen, obwohl
       primär Comedy, zum Umdenken, Umschreiben von sogenannten
       Held:innengeschichten an: Es ist voll okay, nicht Will Smith oder Tom
       Cruise zu sein und pathetisch Aliens wegzuballern. Ein Mensch, der in der
       Arizona-Wüste davon träumt, zum Mond zu starten, ist nicht minder liebens-
       und erzählenswert. Beam us down, Scotty!
       
       22 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /TV-Jubilaeum-von-Star-Trek/!5333110
   DIR [2] /Star-Trek-Picard-bei-Amazon/!5656116
   DIR [3] https://www.sky.de/programm/film-serien-news/neue-comedyserie-moonbase-8-209824
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hochgesand
       
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