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       # taz.de -- Auf den Spuren des Nazi-Vaters: Doppeltes Schweigen
       
       > Bernardo Fuster sang in Spanien gegen Franco. Seit er weiß, dass sein
       > Vater ein hoher deutscher Nazi war, sieht er Parallelen zu seinem eigenen
       > Leben.
       
   IMG Bild: Unter dem Namen „Pedro Faura“ sang Bernando Fuster Lieder gegen die Franco-Diktatur
       
       Es ist wie in einem Roman“, sagt Bernardo Fuster, als könne er all das
       selbst nicht glauben. Seit sein Vater – der Deutsche Bernhard Feuerriegel –
       1995 verstarb, untersucht der spanische Musiker dessen Vergangenheit.
       Anfang November sprach der Liedermacher, der einst gegen die
       Franco-Diktatur ansang und dann erfolgreich Folkrock machte, erstmals für
       einen Podcast und für eine Onlinezeitung von dem, was er herausfand.
       
       Fuster erzählt eine Geschichte vom Schweigen und von Musik. Die Geschichte
       eines jungen Mannes, der 1944 nach einer Kriegsverletzung nach Spanien kam
       und seine wahre Identität verheimlichte. Die Geschichte eines Folksängers,
       der sich ebenfalls versteckte. Es ist eine Geschichte „voller unglaublicher
       Parallelen“, wie Fuster es auszudrücken pflegt, an den beiden Extremen des
       politischen Spektrums. Und damit ist es nicht zuletzt die Geschichte des
       20. Jahrhunderts und dessen, was zwei Länder – Deutschland und Spanien –
       verbindet.
       
       Fuster erinnert sich noch gut an jenen Tag, als er ein Album mit Hakenkreuz
       unter dem Nachlass seines verstorbenen Vaters fand. Die fein säuberlich
       eingeklebten Bilder zeigten einen Bernhard Feuerriegel bei feierlichen
       Anlässen in den deutschen Schulen überall in Spanien.
       
       ## Vater war Landesjugendführer der HJ
       
       Uniform, Hakenkreuzflaggen – die Bilder ließen keinen Zweifel daran, dass
       sein Vater nicht irgendwer gewesen war. Im Album lagen allerlei Zettel.
       Unter anderem auch eine Einladung, auf der zu lesen war: „Anwesend:
       Landesjugendführer der Hitlerjugend, Bernhard Feuerriegel.“ Überraschung,
       Schock, so genau kann Fuster gar nicht definieren, wie er sich fühlte: „Bis
       dahin wusste ich zwar, dass mein Vater Soldat und auch Nazi gewesen war,
       aber dass er jemand Wichtiges war, das wusste ich nicht.“
       
       Für ihn war sein Vater jemand, der mehrere Instrumente spielte und den
       Sport liebte, nach auskurierter Kriegsverletzung als Lehrer in den
       Jugendcamps der HJ für in Spanien lebende deutsche Kinder tätig gewesen
       ist. „So genau hat er das nie erzählt, aber das habe ich mir als Kind und
       Jugendlicher so zusammengereimt“, sagt Fuster.
       
       Einer der Zeitungsausschnitte im Album brachte schließlich die vollständige
       Gewissheit. Die spanische Tageszeitung ABC aus dem Jahr 1946 berichtete von
       drei Listen mit gesuchten Nazis, die die Alliierten an Spanien übermittelt
       hatten. Auf der dritten stand sein Vater.
       
       ## Verbindung von Franco-Spanien und Hitler-Deutschland
       
       „Ausgeliefert wurde er freilich nie“, sagt Fuster, für den die Bilder und
       die Geschichte seines Vaters die enge – von Spanien später gerne geleugnete
       – Verbindung von Franco-Spanien und Hitler-Deutschland belegt. Es war das
       Netzwerk von Clara Stauffer, einer wichtigen Persönlichkeit in der
       Frauensektion der spanischen Faschistenpartei Falange, die über 800 Nazis
       vor der Auslieferung an die Alliierten rettete.
       
       Mit falschen Papieren aus der Hand der Falange wurde aus Bernhard
       Feuerriegel Bernardo Fernández, von Beruf technischer Gutachter. Er
       versteckte sich in Madrid in der Wohnung einer regimetreuen Familie. Vier
       Jahre später, als die Alliierten die Suche einstellten, wurde aus Fernández
       wieder der deutsche Feuerriegel. Der junge Mann heiratete schließlich die
       Tochter jener Frau, die ihn versteckt hatte. Das Paar zog in ein Dorf
       unweit von Valencia. Feuerriegel arbeitete als Forstarbeiter. Bernardo, der
       den Nachnamen seiner Mutter benutzt, kam 1951 als erster von drei Söhnen
       zur Welt.
       
       „Die Vergangenheit war zu Hause nie ein Thema“, sagt Fuster, der die
       hauptstädtische Wohnung, in der sich der Vater einst versteckte, nur zu gut
       kennt. „Ich selbst tauchte dort unter.“ Als junger Mann, mit dem Abitur der
       deutschen Schule in Valencia in der Tasche, schloss er sich dem
       antifrankistischen Widerstand an. Er gehörte zum Propagandaapparat der
       Revolutionären Antifaschistischen Patriotischen Front (FRAP) in seiner
       Heimatregion.
       
       Als die Organisation dort ein faschistisches Denkmal einriss, musste
       Fuster 1973 das Weite suchen. Nach einer längeren Odyssee durch
       verschiedene Städte tauchte er schließlich in der mittlerweile
       leerstehenden großmütterlichen Wohnung in Madrid unter. „Ohne zu wissen,
       dass mein Vater 30 Jahre zuvor hier versteckt lebte“, sagt Fuster.
       
       ## Protestlieder gegen Franco
       
       „Ich sang und schrieb Protestlieder“, berichtet Fuster, der anonym
       Kassetten aufnahm. Sie wurden unter der Hand vertrieben. „Die FRAP-Führung
       wurde darauf aufmerksam. Sie boten mir an, ins Ausland zu gehen und
       Konzerte auf Protestmeetings gegen die Diktatur zu geben“ – Fuster stimmte
       zu, nahm im Juni 1975 seinen deutschen Pass, die Gitarre, die er
       „Revolución 3“ getauft hatte, und zog als Liedermacher unter dem Namen
       Pedro Faura von Stadt zu Stadt. Mailand Kopenhagen, Stockholm, Berlin,
       Paris … schließlich nahm Faura sogar zwei Platten in Köln auf.
       
       Obwohl kaum jemand im Publikum die Texte über Revolution, Streiks, Guerilla
       und Kampf gegen die Franco-Diktatur verstand, zog Faura mit seinen Liedern,
       die zu Hause in den Gefängnissen gesungen wurden und selbst in
       Lateinamerikas Guerillabewegung die Runde machten, Tausende in seinen Bann.
       
       Eines der größten Konzerte fand am 26. September 1975 statt. Es war der
       Abend vor den letzten Hinrichtungen von Gegnern des Franco-Regimes – „drei
       Genossen von der FRAP und zwei von der baskischen ETA“, erinnert sich
       Fuster. Nach dem Konzert ging in Lissabon das spanische Konsulat in Flammen
       auf. Auch in anderen Städten, wie zum Beispiel in Frankfurt, wurden
       Konsulate und Botschaften gestürmt.
       
       ## Lied für die Guerilleros
       
       „Auf einem der Konzerte in Frankreich kamen ein paar ältere Männer auf mich
       zu“, erinnert sich Fuster – oder besser Faura. Sie erzählten von ihrem
       Kampf als Guerilleros in den ersten Jahren nach dem Spanischen Bürgerkrieg.
       Er schrieb ein Lied mit dem Titel „Maquis“ über sie. „Jahre später fand ich
       heraus, dass ebenjene Gruppe versucht hatte, meinen Vater zu entführen.
       Hätten sie ihn bekommen, wäre ich wahrscheinlich nie geboren worden“, sagt
       er.
       
       Es sind Verstrickungen wie diese, die in ihm ein fast schon „ungesundes
       Interesse“ an der Geschichte seines Vaters wecken. „Du fragst dich, was
       noch alles auf dich wartet“, sagt Fuster.
       
       1976 überwarf sich Faura mit der FRAP. „Ich war mit deren Kurswechsel hin
       zum bewaffneten Kampf nicht einverstanden“, erklärt er. Mittlerweile war
       Franco gestorben. Spanien stand am Anfang eines nicht einfachen Weges zu
       Demokratie. Eine Amnestie ermöglichten die Rückkehr von Pedro Faura in das
       Leben von Bernardo Fuster.
       
       Zurück in Spanien, wusste niemand, dass er der „Liedermacher der FRAP“
       gewesen war. „Ich erzählte es nicht“, sagt Fuster. Was ihn zum Schweigen
       verdammte, war die Angst vor den einstigen Genossen, für die er ein
       Verräter war. „Und die Angst vor der extremen Rechten und deren
       Mordkommandos, denen so mancher zum Opfer fiel“, fügt er hinzu.
       
       ## Schweigen über die Vergangenheit
       
       Auch in seinem Elternhaus wurde über die drei Jahre, die Bernardo weg war,
       nie geredet. Das Schweigen, das bereits die Vergangenheit des Vaters
       überschattete, legte sich auch über die Geschichte des Sohnes. „Ich
       erzählte nichts, und er fragte mich nicht.“ Erst nach Vaters Tod erfuhr
       Fuster, dass sein Vater über mehr informiert war, als er dachte.
       „Vielleicht war sein Schweigen auch so etwas wie ein Akt der Toleranz“,
       hofft er.
       
       Es waren vor allem Gespräche über Musik, die das Schweigen füllten. „Mein
       Vater hatte eine gute musikalische Bildung und ihm gefiel, was ich machte“,
       sagt Fuster. Damit sind nicht die Protestsongs von Faura gemeint, sondern
       der Folkrock von Fusters Band Suburbano. „Wir redeten viel über
       musikalische Einflüsse, über deutsche und spanische volkstümliche Musik“,
       erinnert sich Fuster.
       
       „Deutschland und Spanien sind die Länder des Schweigens über die
       persönliche Vergangenheit“, sagt Fuster. „Alle schwiegen, um weiterleben zu
       können“, beschreibt Fuster die spanische Nach-Franco-Gesellschaft und das
       Nachkriegsdeutschland. 1979 machten Fuster und seine Gruppe Suburbano in
       einem ihrer ersten Stücke diese Stille zum Thema: „Breche das Schweigen und
       singe ein Lied in den Wind, es gibt keine Ketten, die die Stimme deiner
       Gefühle verstummen lassen können“, sangen sie.
       
       ## Liedermacher der FRAP
       
       Fuster folgte seinem eigenen Ratschlag nur zögerlich. Erst 2006, als ein
       Freund eine Ausstellung über antifrankistische Liedermacher organisierte,
       bekannte er sich öffentlich zu jenem Pedro Faura, der als „Liedermacher der
       FRAP“ so vielen Hoffnung im Kampf gegen die Diktatur gemacht hatte.
       
       „Als Künstler interessiert mich der psychologische Aspekt dieser
       Geschichte“, kommt Fuster wieder auf „die unglaublichen Parallelen“ zu
       sprechen. „Mein Vater tauchte unter, ich tauchte unter, mein Vater hatte
       einen anderen Namen, ich auch, mein Vater ging ins Ausland, ich auch“, sagt
       Fuster. „Wenn du am Limit lebst, egal auf welcher Seite, gibt es Dinge, die
       sich wiederholen.“
       
       Doch während er immer mehr Informationen über seinen Vater zusammenträgt,
       droht seine eigene Vergangenheit zu verblassen. Denn damals, als er bei der
       FRAP ausstieg, verlor er alles. Seine Genossen wollten ihm eine Abrechnung
       verpassen. Faura entkam, wie einst der Vater, und wurde wieder Fuster.
       „Alles was ich hatte, Zeitungsausschnitte, Reiseunterlagen, ließ ich in
       meinem Zimmer in Paris zurück“, berichtet er.
       
       ## Ein Buch über den Vater?
       
       Bleiben die Lieder. Als ersten Schritt, um seiner selbst zu gedenken,
       spielt Fuster dieser Tage endlich unter eigenem Namen neue Versionen der
       Faura-Songs ein. Und was er mit all dem, was er über seinen Vater
       zusammengetragen hat, machen wird? „Ein biografisches Buch? Einen Roman?
       Ich weiß es nicht. Das hängt nicht zuletzt davon ab, was ich noch alles
       herausfinde.“
       
       Da bleibt vor allem die eine Frage: „Wie kam es, dass sie meinen Vater als
       Chef der HJ nach Spanien schickten? Wer war er zuvor? Was machte er in dem
       Jahr zwischen dem Lazarett und seiner Abreise nach Spanien?“ Fuster sucht
       nach Antworten und bewegt sich dabei „zwischen dem Reellen und dem
       Möglichen“ – zwischen dem, was er weiß, und dem, was er sich zusammenreimen
       kann und will.
       
       29 Jan 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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