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       # taz.de -- Die Rolle der Trolle in den USA: Das Vermächtnis von Trumps Trollen
       
       > Politischer Aktivismus muss sich heute in den sozialen Medien und im
       > Livestream zeigen. Er wird so auf eine Art sichtbar, die ihn angreifbar
       > macht.
       
   IMG Bild: Shia LaBeouf (links) im Januar 2017 vor einer Kamera mit dem Slogan „He will not divide us“
       
       Als Donald Trump am 20. Januar 2017 in sein Amt als Präsident der
       Vereinigten Staaten eingeführt wurde, begann das Museum of the Moving Image
       in New York ein Netzkunstwerk von LaBeouf, Rönkkö & Turner zu zeigen, das
       man wohl für einen pfiffigen künstlerischen Kommentar zum Wahlausgang
       gehalten hatte: [1][„hewillnotdivide.us“].
       
       Die Arbeit bestand aus einer Webcam, die neben dem Eingang des
       Medienmuseums angebracht war und vor der die Betrachter den Titel der
       Arbeit sprechen sollten. „Er wird uns nicht spalten“ – als ob Trump das zu
       dieser Zeit nicht schon erfolgreich mit der Bevölkerung der USA getan
       hätte. Die Aufnahmen der Cam wurden in Echtzeit ins Internet gestreamt.
       Schnell fanden sich vor der Kamera Gruppen von jungen Leuten ein, die den
       Satz in die Kamera sprachen, sangen und rappten.
       
       Doch bald tauchten zwischen den urbanen, multikulturellen Hipstern düstere
       Gestalten auf. Sie trugen Basecaps mit dem Trump-Slogan „Make America Great
       Again“ und waren gekommen, um das bunte Treiben vor der Internetkamera zu
       stören. Sie zeigten den Hitlergruß, sie ließen die Hosen herunter, sie
       klebten nachts die Kamera zu und hielten Bilder von der Troll-Ikone Pepe
       the Frog hoch.
       
       Einer der Wortführer des Mobs war ein bärtiger junger Mann mit dem
       bürgerlichen Namen Tim Gionet, der unter dem Netzpseudonym „Baked Alaska“
       auftrat und sich so provokativ gebärdete, dass er Hausverbot erhielt.
       Innerhalb kurzer Zeit eskalierte die Situation. Nach drei Wochen baute das
       Museum die Arbeit ab.
       
       ## Eindringlinge ins Kapitol
       
       Fast genau vier Jahre später stürmte ein Mob von Randalierern [2][das
       Kapitol in Washington]. Viele der Eindringlinge streamten ihren Angriff per
       Smartphone ins Internet. Einer von ihnen, der seine Eskapaden vor mehr als
       10.000 Zuschauern online übertrug, war der inzwischen nicht mehr ganz so
       junge Mann, der immer noch unter dem Namen „Baked Alaska“ im Netz unterwegs
       ist, inzwischen ein verhärteter Neonazi-Aktivist.
       
       Diese beiden mob scenes markieren Anfang und Ende der Amtszeit Donald
       Trumps und fassen ihren Geist besser zusammen als die meisten politischen
       Analysen. Zwischen den beiden Ereignissen entstand mithilfe der sozialen
       Medien in den Köpfen vieler Trump-Anhänger eine Simulation der Welt, die –
       wie eine Art Neuauflage von [3][Guy Debord]s Konzept von der
       unhintergehbaren „Gesellschaft des Spektakels“ – so absolut ist, dass sie
       die auf belegbaren Tatsachen beruhende Wirklichkeit ersetzen kann.
       
       Doch kehren wir noch einmal zur Urszene dieser Entwicklung zurück: zu den
       unwürdigen Szenen, die sich im Januar 2017 vor dem Museum in Queens
       zutrugen. „This is shit-posting IRL“, bemerkte einer der
       Onlinekommentatoren auf 4Chan. „Shitposting“ ist die beleidigende, zynische
       und nur dem Zweck der Provokation dienende Form des Onlinekommentierens,
       wie Internettrolle sie praktizieren, hier allerdings ins „Real Life“ (IRL)
       verlegt.
       
       ## Internetkreaturen, die provozieren
       
       Ein Troll, wie ihn die amerikanische Soziologin Whitney Phillips in ihrem
       Buch „This Is Why We Can’t Have Nice Things“ beschreibt, ist eine
       Internetkreatur, der es Vergnügen bereitet, andere durch ihre Kommentare zu
       „triggern“ – also so lange zu provozieren, bis er oder sie ausrastet. Ihre
       natürlichen Habitate sind soziale Medien wie Facebook und Twitter sowie
       Debatten- und Imageboards wie Reddit und 4Chan. Letztere Seite gilt vielen
       als „Kloake des Internets“: Hier teilen Trolle anonym Ekelbilder, dumme
       Sprüche und provokante Memes – alles, womit man Leute nerven kann.
       
       All das passiert zunächst nur online und nur for the lulz, also zum Spaß.
       Es war ja nicht real, sondern nur ein Spiel, das im Internet gespielt wird.
       Wenn man sich darüber aufregt, hatte man das Spiel nicht verstanden.
       
       Aus dieser Kultur ging die Netzprotestbewegung Anonymous hervor, die mit
       ihrer Mischung aus widersprüchlichen Statements, jugendlicher Angeberei und
       kryptischen popkulturellen Referenzen den 4Chan-Stil erstmals in die
       breitere Öffentlichkeit brachte. Anonymous verfolgte dabei zunächst
       durchaus progressive Ziele wie die Bloßstellung der Scientology-Sekte oder
       die Unterstützung des Arabischen Frühlings und von Wikileaks.
       
       ## Aus dem Internet in die Realität
       
       Aber vor allem verlagerten sie die Trollkultur, die in der Anonymität des
       Internets entstanden war, unter Guy-Fawkes-Masken aus dem Netz wieder in
       den physischen Raum. Das Spiel im Internet war zu einem Spiel in der
       Realität von Städten, Straßen und Körpern geworden.
       
       Der Tumult vor dem Museum of the Moving Image kam von einer düsteren
       Variante dieser Netzsubkultur – verantwortungsloser, zynischer Joker statt
       des common good verpflichteten Hackers. Es ging nicht mehr darum, das
       System zu knacken, um seine Schwächen aufzuzeigen, sondern darum, alles zum
       Absturz zu bringen.
       
       „hewillnotdivide.us“ war das erste Mal, dass dieses neue Gesicht der
       Trollbewegung in großem Stil und jenseits seiner Nischen im Internet global
       sichtbar in der Öffentlichkeit auftauchte. Mit Donald Trump hatte man eine
       ideale Identifikationsfigur gefunden, denn der verhielt sich selbst wie ein
       Troll.
       
       ## Wir gegen sie
       
       War das Selbstverständnis der ursprünglichen Internettrolle einer „Wir
       gegen sie“-Dynamik gefolgt (also Netzversteher gegen den Rest der Welt),
       war bei den Trollen der Alt-Right-Bewegung in den USA zu dieser Zeit ein
       Diskurs der Entrechtung von zuvor privilegierten Bevölkerungsgruppen
       aufgekommen.
       
       „hewillnotdivide.us“ lieferte Leuten eine Steilvorlage, die sich –
       berechtigterweise oder auch nicht – als deklassierte Opfer des ökonomischen
       und politischen Status quo in den USA betrachteten: Da war eine arrogante
       Elite (Museum), die ein demokratisches Wahlergebnis hämisch online mit
       einem vorgegebenen Statement kommentieren lässt.
       
       In der Tat kann man sich kaum ein schlechteres Kunstwerk für das Internet
       vorstellen: Das Publikum wird in einem interaktiven Medium dazu
       aufgefordert, einen Satz, dessen Wahrheitsgehalt, gelinde gesagt, strittig
       ist, wie Hare-Krishna-Jünger in die Kamera zu wiederholen? Come on!
       
       Zur medialen Zuspitzung der Debatte hat natürlich auch beigetragen, dass
       ein Mitglied des Künstlerkollektivs ein privilegierter weißer, männlicher
       Künstler ist: Mitglied von LaBeouf, Rönkkö & Turner ist Shia LaBeouf,
       bekannt aus Blockbustern wie „Transformers“ und aus Independentfilmen wie
       „Nymphomaniac“. Seine Verhaftung vor laufender Kamera nach einer Rempelei
       mit einem Troll bescherte dem Internetmob einen Höhepunkt der
       Schadenfreude, den sie in Echtzeit feierte.
       
       ## Alt-Right-Bewegung radikalisiert sich
       
       Die Alt-Right-Bewegung radikalisierte sich in den kommenden Jahren im Netz
       so wie „Baked Alaska“: Die Trolle und ihre Methoden waren Vorbild für die
       echten Faschisten, die Anfang des Monats das Kapitol stürmten. Dieser
       „Erfolg“ ist zu einem wichtigen Teil durch ihre virtuose Nutzung der
       sozialen Medien zu erklären. Das Fluten von Plattformen wie Facebook,
       Twitter oder Youtube mit den Botschaften einer letztlich kleinen radikalen
       Minderheit war aber auch ein wichtiges Element der Strategie der AfD wie
       von anderen Rechtsradikalen, Impfgegnern und Coronaleugnern.
       
       Der Attentäter von Christchurch orchestrierte seinen Amoklauf für seine
       Streamingkamera und kommentierte seine Morde mit Trollsprüchen („Subscribe
       to PewDiePie“); der Attentäter von Halle lamentierte vor laufender Kamera
       darüber, dass ihm kein streamingtaugliches Morden gelang.
       
       Doch je stärker sich die Nutzung von Streams von der Propaganda zur
       Dokumentation eigener Aktivitäten verlagert, desto mehr wird diese
       Selbstdarstellung auch zum Beweismittel. Das Herunterladen derartiger
       Livestreams und Youtube-Clips ist inzwischen ein wichtiges Werkzeug von
       Menschen geworden, die sich ohne direkte Konfrontation auf der Straße gegen
       unliebsame politische Gruppierungen wenden wollen.
       
       Auch in Deutschland werden die Aufnahmen, die Coronaleugner, Querulanten
       und andere selbst ernannte Widerstandskämpfer bei Youtube und Telegram
       verbreiteten, von Sofa-Aktivisten gespeichert und als Beweismaterial für
       Anzeigen nach Vorfällen benutzt, bei denen die Polizei nicht anwesend war.
       
       ## Politischer Aktivismus über Soziale Medien
       
       Sosehr man es bei derartigen Mobs schätzen mag, dass sie durch die
       Dokumentation ihrer Aktivitäten gleich die Beweismittel für ihre Bestrafung
       liefern, so beunruhigend ist es, dass in Zukunft jede Form von politischem
       Aktivismus dieser Dialektik ausgeliefert ist: Wenn man zur Kenntnis
       genommen werden will, muss man sich in den sozialen Medien und in
       Livestreams zeigen.
       
       Damit aber macht man sich gleichzeitig auf eine Weise sichtbar, die
       angreifbar macht. In den USA sammelt nun das FBI online Aufnahmen von der
       Stürmung des Kapitols als Beweismittel gegen die Beteiligten. Wer dies
       begrüßt, darf nicht vergessen, dass es beim nächsten Mal Demonstranten von
       Black Lives Matter, Antifa oder osteuopäische Regimegegner treffen kann.
       
       Der Text ist die gekürzte Fassung eines Essays, das in der Frühjahrsausgabe
       der Zeitschrift „Pop. Kultur und Kritik“ erscheint.
       
       23 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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